Matthew Polenzani (Idomeneo). Foto: © Wilfried Hösl
„Inszenatorische Opulenz trifft Mozartsche klangliche Eleganz in Exzellenz, sowohl orchestral als auch stimmlich. Ich bin beglückt!“
Wolfgang Amadeus Mozart, „Idomeneo“
Bayerische Staatsoper im Prinzregententheater, München, 24. Juli 2021
von Frank Heublein
Idomeneo wurde von Kurfürst Karl Theodor für die Karnevalssaison 1781 in Auftrag gegeben. Positiv überrascht war der Kurfürst wohl, allerdings blieb es der einzige Auftrag für Mozart aus München. 240 Jahre nach der Uraufführung kehrt Idomeneo als letzte Neuinszenierung der Ära Bachler nach München zurück. Nicht wie die Uraufführung im Cuvilliés-Theater, sondern dieses Mal im Prinzregententheater.
Was für ein brillanter Mozartklang, den ich heute höre. Klar, schlank, konzentriert. Genial von Mozart komponiert und hervorragend von Dirigent Constantinos Carydis mit dem Bayerischen Staatsorchester gespielt: Der Orchesterklang setzt musikalisch meine Stimmung und mein Gefühl. Die Sänger und Sängerinnen können stimmlich darauf surfen. Niemals ist das Orchester zu laut für die Stimmen. In der Komposition angelegt ist dies die Leistung Constantinos Carydis’.
Nur bei wenigen Stellen wird das Orchester satt und voll, nur da wo sich die Gelegenheit ergibt. Bei den Chorpartien etwa. Die sind im Zusammenspiel des Orchesters und des Chores kraftvoll, agil und dabei doch vollkommen klar. Ich frage mich im Dunkeln des Zuschauerraums, wann ich einen großen nahe beieinander stehenden Chor das letzte Mal auf der Bühne erleben durfte. Es ist so lange her, dass ich das Datum nicht mehr zu fixieren vermag. Mein Herz hüpft. Es sind die hellsten positivsten Stellen der ganzen Oper, inhaltlich macht der Chor Mut, versöhnt, bejubelt. Ich labe mich an diesem Klang.
In den solistischen Stimmen bietet die Oper eine interessante Zusammenstellung: Es betreten drei Sopran- und drei Tenorstimmen die Bühne. Ich unterstelle: Mozart wählt diese Zusammenstellung, um zum einen zu überraschen, zum anderen sind die höheren Stimmen musikalisch dramatischer. Die Kombination steigert die konstante Dramatik, die diesem Werk inne liegt.
Die Herausforderung besteht darin, die Stimmen zu differenzieren. Insbesondere in den eher seltenen Situationen eines gemeinsamen Auftritts gilt es, die jeweils klanglichen Persönlichkeiten der Figuren in der Stimmenpartie herauszuarbeiten.
Im dritten Akt gibt es die einzige gesungene Quartettszene des Abends. Alle drei Soprane sind vereint, dazu die Tenorstimme des Idomeneo. Idamante spielt Emily D’Angelo, spielt und singt diese Hosenrolle für Sopran hochdramatisch, kräftig, vorwärtsdrängend. Ihr Timbre ist eine Spur dunkler als das der beiden anderen Soprane. Olga Kulchynska singt die Ilia butterweich, sanft und warm. Hanna-Elisabeth Müller als Elettra hat die klarste reinste Sopranstimme der drei.
Ziemlich am Ende des dritten Aktes hat die Elettra das fulminante Solo „Oh smania! oh furie! oh disperata Elettra!“ (O wilde Wut! O Raserei! Verzweifelte Elektra!). Sie singt sich in den Wahnsinn, beschmiert sich mit Schlamm und frisst diesen gar am Ende in sich hinein. Hanna-Elisabeth Müllers Stimme beeindruckt mich über die Maßen. Brillant souverän singt sie die wütenden Koloraturen, das Abdriften in den Wahn mit beispiellos jederzeit stimmkontrollierter Superpower.
Mein persönliches Highlight der beiden anderen Sopranstimmen ist der Beginn des dritten Aktes. Dieser beginnt mit dem zarten Solo Ilias „Solitudini amiche, aure amorose“ (Wohltuende Einsamkeit, linde Lüfte). Ich schmelze dahin bei Olga Kulchynskas sanftem, lieblichem Gesang. In dieser Inszenierung singt Ilia dieses Solo in luftigen Bühnensphären in einer Art Baumhaus. Ein zweites Baumhaus wird herbeigeschoben. In diesem steht Idamante, die Szene geht über in das Duett, in dem sich die beiden Ihre Liebe offenbaren. Idamante steigt (sicherheitsseilverdrahtet selbstverständlich) einmal hinab und wieder hinauf zu seiner Angebeteten. Die sanfte zarte Stimme Ilias – Kolchynskas und Idamante – D’Angelos energiegeladener kraftvoller Sopran verschmelzen in großartiger Harmonie.
Schon im zweiten Akt zeigt Emily D’Angelo ihre energetische Kraft mit „Non temer, amato bene” (Fürchte nichts, meine Geliebte). Ich komme ganz außer Atem, es geht Schlag auf Schlag. Gleich darauf wird Emily D’Angelos Solo stimmlich getoppt von Matthew Polenzani als Idomeneo. Eine tolle Tenorstimme: elastisch, kräftig, souverän bewältigt er die technisch schwierige Arie „Qual mi conturba i sensi“ (Wie verstören mich).
Was für eine opulente Inszenierung mit riesigen Bühnenelementen der englischen renommierten Bildhauerin Phyllida Barlow. Von Bühnentechnikern werden diese riesigen Bauten ziemlich regelmäßig über die Bühne verschoben. Klug werden die Techniker als Volk und stumme Rollen in die Inszenierung integriert. Die Kostüme sind bunt, die des Corps du Ballett gar neonknallig am Ende in der Ballettsuite, in der das Orchester noch einmal satt aufspielen darf. Die Bühne und auch der Zuschauerraum werden fast permanent intensiv unter Bühnennebel gesetzt, um stimmungsvolle Lichtkegel zu erzeugen.
Die fragmentarische Fantasie in D (KV 397) wird im zweiten Akt als Ballettsolo eingeschoben. Als wäre die geschundene Seele aus dem Körper getreten. Schmerzlich berührend. Im ersten Akt wird das Intermezzo ebenfalls getanzt: am Boden wie auch in der Luft an Seilen hängend! Musikalisch ausgestellt wird in dieser Szene das Hammerklavier mit seinem Solo, einfühlsam interpretiert von Andreas Skouras.
Das Klavier löste zu dieser Zeit das Cembalo ab. Mozart erzeugte damit einen avantgardistischen Klang in den Ohren der Zuhörer der Uraufführung. Zu den neuen Instrumenten zählten auch die Klarinetten. Die Mannheimer Hofkapelle des Kurfürsten, eines wenn nicht gar das weltbeste Orchester dieser Zeit, verfügte als eines der ersten Orchester ab 1760 über zwei Klarinettenstimmen, die bis 1777 zusätzlich Oboe spielten und erst ab 1778, also nur gute zwei Jahre vor der Uraufführung, reine Klarinettenmusiker wurden.
Mozart bedient in Idomeneo bekannte Opera-seria-Muster in Vollendung: Action und durchgehende Dramatik auf Kosten homogener Handlung. Häufig folgt Arie auf Arie. Am Ende der Akte dann jeweils eine schmissige Chorszene. Eine auf den totalen Effekt getrimmte Komposition. Die mir gezeigte Fassung nimmt den Geist Mozarts Komposition hervorragend auf. Inszenatorische Opulenz trifft Mozartsche klangliche Eleganz in Exzellenz, sowohl orchestral als auch stimmlich. Ich bin beglückt!
Frank Heublein, 25. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Musikalische Leitung Constantinos Carydis
Inszenierung Antú Romero Nunes
Choreographie Dustin Klein
Bühne Phyllida Barlow
Kostüme Victoria Behr
Licht Michael Bauer
Chor Stellario Fagone
Idomeneo Matthew Polenzani
Idamante Emily D’Angelo
Ilia Olga Kulchynska
Elettra Hanna-Elisabeth Müller
Arbace Martin Mitterrutzner
Oberpriester Poseidons Caspar Singh
Die Stimme (Orakel) Callum Thorpe
Chor und Extra-Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester