Christoph Pohl (Il Conte d’Almaviva), Alexander Hajek (Antonio), Sarah-Jane Brandon (La Contessa d’Almaviva), Emily Dorn (Susanna), Zachary Nelson (Figaro) © Semperoper Dresden/Matthias Creutziger
Die schönsten Opernabende sind oftmals jene, die auf dem Spielplan zunächst recht unscheinbar daherkommen und dann zum phänomenalen Erlebnis werden. Zumal jene klassischen Repertoire-Abende auch nicht selten nach „Dienst nach Vorschrift“ klingen, was einem Repertoirebetrieb auch nicht zum Vorwurf zu machen ist. Doch dann gibt es jene Abende, an denen alles nicht nur – wie es an der Dresdner Semperoper ohnehin der Regelfall ist – sehr gut funktioniert, sondern darüber hinaus alle förmlich über sich hinauswachsen, und der Abend gleichsam abzuheben beginnt. Mit der „Hochzeit des Figaro“ unter der Leitung von Gaetano D’Espinosa gelingt ein ebensolcher Abend. Mozart at its best in Dresden!
Wolfgang Amadeus Mozart
Le nozze di Figaro
Libretto von Lorenzo Da Ponte nach dem Schauspiel »La folle journée ou le Mariage de Figaro« von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais
Gaetano D’Espinosa, Dirigent
Staatskapelle Dresden
Johannes Erath, Regie
Katrin Connan, Bühnenbild
Semperoper Dresden, 18. September 2023
von Willi Patzelt
Es ist schon sehr bemerkenswert: Nur wenige Meter entfernt proben zeitgleich die restlichen Kapell-Musiker mit Christian Thielemann den Strauss’schen Zarathustra für das anstehende Jubiläumskonzert zum 475. Gründungstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Ein Orchester, das sich zeitgleich einen Figaro und einen Zarathustra personell leisten kann, muss ohnehin schon als Ruhmesblatt einer Kulturstadt gelten!
Staatskapelle unter D’Espinosa in Bestform
Und diesen Status bestätigt die Kapelle im Graben der Semperoper an diesem Abend in besonderem Maße. Die durchaus filigrane Figaro-Partitur bewältigt sie mit äußerster Souveränität, technischer Perfektion und – das ist am Ende des Tages doch das Wesentliche – außerordentlicher Spielfreude. An diesem Abend am Dirigierpult: Gaetano D’Espinosa. Der vormalige Konzertmeister der Staatskapelle hat vor einigen Jahren gleichsam die Fronten gewechselt und kehrt nun, neben Engagements in der ganzen Welt, seit geraumer Zeit regelmäßig an die Semperoper zurück (mehr dazu im Interview mit klassik-begeistert). Mit raschen, aber nie überdrehten Tempi führt der gebürtige Sizilianer die Kapelle entschlossen und mit manchem musikalischen Augenzwinkern durch den Abend. Der Klang ist nie dick, sondern immer durchsichtig und pointiert, ohne – und das passiert nun bei Mozart leider nicht zu selten – je ins Schroffe abzugleiten.
So wird ein großer musikalischer Bogen spürbar: In D’Espinosas musikalischer Interpretation findet sich die ganze Spannweite der Gefühle, die über die Irrungen und Wirrungen der Figaro-Geschichte sich immer weiter fortspinnen, einen ganz unmittelbaren Niederschlag im musikalischen Ausdruck. So quillt dann das so versöhnliche Finale musikalisch nur so vor Emotionen über. Und natürlich ist diese Musik einfach zum Niederknien göttlich. Aber um es mit Figaro – sein Zitat aus dem für ihn etwas peinlichen Kontext reißend – selbst zu sagen: „Il resto nol dico, già ognuno lo sa.“
Nicht uncharmante und doch wenig inspirierende Inszenierung
Die Inszenierung entschließt sich allerdings weniger intuitiv und ist im Vergleich zur musikalischen Umsetzung doch eher gesundes Mittelmaß. Regisseur Johannes Erath will wohl – in freilich etwas aufdringlicher Art und Weise – ein Gefühl der Zeitlosigkeit vermitteln, indem seine szenische Umsetzung gleichsam eine Reise durch die Europäische Theatergeschichte ist. So wird der erste Akt im Stil der Commedia dell’arte gezeigt (freilich, wie es sich für modernes Theater gehört, das sich möglichen Anwürfen, gar reaktionär zu sein, präventiv entgegenstellen will, in möglichst stilbrechender und unästhetischer Pressspan-Umgebung), um dann über das Rokoko im zweiten Akt nach der Pause ins Heute zu finden. Dass Liebe, Eifersucht und Machtmissbrauch zeitlose Themen sind – naja, wer es noch nicht gewusst haben sollte, bekommt es hier eindrucksvoll vorgeführt. Wesentlich mehr ausdeutendes Storytelling wird nicht betrieben.
Das Ganze ist dennoch irgendwo putzig: Die Inszenierung legt viel Wert auf lustige Details, setzt immer wieder auf gut platzierte Pointen. Außerdem macht besonders die Personenregie beim Zusehen Freude; sie überlässt nichts dem Zufall und stellt feinste Details der doch zuweilen recht komplizierten und unübersichtlichen Gemengelage überzeugend und intuitiv wirkend dar. Besonders die und von Mozart und Da Ponte dramaturgisch genial angelegte Farce des vierten Aktes gelingt überzeugend. Beim Rollentausch von Susanna und Gräfin wird zwar mit dem Tausch der unterschiedlich gefärbten Perücken wieder – im annähernd wahrsten Sinne des Wortes – der ganz alte Regie-Hut herausgezogen. Nun aber halt auf einer Hollywoodschaukel. Der ganz große Wurf ist diese Inszenierung wirklich nicht; sie lässt sich aber gut anschauen.
Ausgezeichnete Sängerbesetzung
Die zweifelsohne starke Personendramaturgie kommt auch durch eine famose Schauspielleistung der Sänger zur Entfaltung. Besonders Cecilia Molinari gibt einen wunderbar ungeniert lasziven, ungezügelt pubertären Cherubino. Ihr agiler, warmer Mezzosopran lässt die beiden Cherubino-Arien im ersten und zweiten Akt zu Highlights des Abends werden. Zwischen dem überbrausenden „Non so più“ und dem so verletzlichen „Voi che sapete“ drückt die Italienerin gesanglich die ganze emotionale Spannweite eines jungen Draufgängers aus. Dies alles bereits hinter sich habend, ist Michael Nagls Figaro da schon etwas gesetzter. Gesanglich überzeugend, ist er jedoch über weite Strecken ein recht gemütlicher Figaro. Man würde sich manchmal doch eine etwas frechere, feurigere Herangehensweise wünschen. Irgendwo scheint es aber auch ins Konzept zu passen: Im vierten Akt sieht man ihm in Bademantel und maximal geschmacklosen Lederschlappen – zwar fehlen die Socken, aber es ist schon ein sehr deutsch geratener Figaro.
Christoph Pohl als Graf überzeugt mit seinem dunklen, virilen Bariton als souveräner Graf; Georg Zeppenfeld gibt, sicherlich bewusst, einen doch eher unfreiwillig komischen als so ganz überzeugend rachsüchtigen Bartolo – und ist eine absolute Luxusbesetzung. Neben den ebenfalls exzellenten Elena Gorshunova als Gräfin und Michal Doron als Marcellina ist vor allem Nikola Hillebrands Susanna ganz vorzüglich. Die lyrisch veranlagte Koloratursopranistin verleiht der Partie mit ihrem hellen, kristallklaren Timbre eine ganz liebenswerte Jugendlichkeit. Nichts klingt erzwungen, alles wirkt frei und ganz einfach.
Ein neues Gesicht
Noch jugendlicher geht es an diesem Abend wohl nur noch in der Staatskapelle selbst zu – zumindest am Konzertmeisterpult. Konzertmeisterin ist an diesem Abend nämlich die erst 23-jährige Charlotte Thiele. Seit dieser Spielzeit ist sie Konzertmeisterin der Giuseppe-Sinopoli-Akademie der Staatskapelle Dresden. Die junge Dresdnerin beeindruckt vor allem durch ihr unglaublich mitteilendes und sichtlich sehr impulsgebendes Musizieren. Oft schweift ihr Blick beim Spielen lächelnd und augenscheinlich kommunikativ mitreißend durch das Orchester. Die Liebe zu dieser Musik strahlt ihr förmlich aus dem Gesicht. Es bleibt zu hoffen, dass sie der Staatskapelle auch künftig erhalten bleibt. Ihre so unbändige Spielfreude zeigt die geniale Zeitlosigkeit und zeitlose Genialität dieser Musik nämlich deutlich besser an, als es der Inszenierung gelingt.
Willi Patzelt, 21. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview mit Gaetano D’Espinosa klassik-begeistert.de, 15. September
Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro Haus für Mozart, Salzburg, 30. Juli 2023
Le Nozze di Figaro, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Wiener Staatsoper, 11. März 2023 PREMIERE
Wolfgang Amadeus Mozart, „Le nozze di Figaro” Öffentliche Probe, Theater Lübeck, 16. Januar 2023