Foto: Karl Forster (c)
Staatsoper Hamburg, 14. Juni 2018
Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro
von Sarah Schnoor
„Le Nozze di Figaro“ ist ein grandioses Werk von Mozart und Da Ponte mit komplexer Handlung und damals skandalträchtigem Material. Die Hamburgische Staatsoper holte sich für die Inszenierung des „Figaro“ 2015 Stefan Herheim ans Haus. Und das Ergebnis ist gleich von Beginn an ein Blickfang. Auf eine weiße Leinwand wird das Figaro-Autograph projiziert und läuft im Tempo mit, während das Philharmonische Staatsorchester die Ouvertüre spielt. Plötzlich verselbstständigen sich einzelne Noten und bald wird ein Mann, bald eine Frau aus herumfliegenden Achteln geformt. Er läuft ihr hinterher, macht ihr den Hof, blickt verschmitzt unter ihren Rock und verführt sie schließlich. Wie Spermien fliegt ein Schwarm aus Achtelnoten in der Animation auf die davonlaufenden Frauen, und das Publikum johlt und applaudiert, während die Ouvertüre noch läuft. Eine sehr lustige Einstimmung auf das, was noch kommt. Wer mit wem darf, kann und will, ist schließlich auch der Inhalt dieser Oper.
Viele weitere Lacher folgen durch eingebaute Witze wie die Frisur des Bartolo (Alexander Roslavets). Seine Haare blähen sich auf wie das Gefieder eines Pfaus, während er zum Abschluss des eher pflichtgemäßen als genüsslich wirkenden Sex mit Marcelina kommt. Das Libretto könnte auch kaum lustiger sein, das kann selbst Hollywood heute nicht besser. Herheims humorvolle Inszenierung gibt dieser Komödie viel Leichtigkeit – ästhetisch glänzen auch das von Mozarts Notenschrift bestimmte Bühnenbild (Christof Hetzer) und die traumhaften Kostüme als Mix aus historisch und modern (Gesine Völlm).
Auch musikalisch macht dieser Abend Spaß! Sopranistin Hayoung Lee gibt eine herrliche Susanna. Ihr heller, oft zarter Sopran ist angenehm anzuhören; sie spielt die liebende Verlobte ebenso hervorragend wie die stolze Frau. Obwohl sie schon von Beginn an gut singt, steigert Sie sich noch im Laufe des Abends. Rezitative und Arien sind gleichermaßen gelungen. Nachdem fast alle Männer versucht haben Susanna herumzukriegen und der Hochzeit mit Figaro einiges im Weg stand, kann sie zum Schluss doch jubilieren. Die Erleichterung darüber und die Liebe für ihren Verlobten drückt Lee sehr gefühlvoll in der finalen Arie „Deh vieni non tardar, o gioia bella“ („O säume länger nicht, geliebte Seele“) aus.
Alin Anca singt die Rolle ihres baldigen Mannes Figaro. Leider scheint er angeschlagen zu sein. Anca steigert sich aber im Laufe der Zeit, und die bekannte Arie „Non più andrai, farfallone amoroso“ singt er wieder mit für ihn üblicher sonorer und voller Stimme. Sein Bass hat einen hohen Wiedererkennungswert. Er ist sehr angenehm und hat interessante Farben, was Alin Anca an diesem Abend leider nur in einigen Passagen zeigen kann.
Internationaler Star des Abends ist die Sopranistin Olga Peretyatko (La Contessa d’Almaviva). Nachdem sie 2005 bis 2007 Mitglied des Internationalen Opernstudios in Hamburg war, eroberte sie die großen Bühnen der Opernwelt (München, Wien, New York). Ihr schöner, vibratoreicher Koloratursopran ist allerdings eher unpassend für die Rolle der Gräfin, insbesondere die Rezitative, da der Stimme in der Mittellage die Substanz fehlt. Beeindrucken kann Sie aber trotzdem durch ihre unglaubliche Stimmenkontrolle und Spiellust. Und auch mit der lieblichen Arie „Dove sono i bei momenti“ („Nur zu flüchtig bist du verschwunden“) im dritten Akt verzückt sie das Publikum. Olga Peretyatko steht Alexey Bogdanchikov als Graf zur Seite. Er spielt sehr überzeugend und singt einen soliden Grafen.
Als Maite Beaumont (Cherubino) auftritt, merkt man sofort: Die Sängerin hat Erfahrung mit dieser Rolle und im Fach. Sie ist sehr sicher in der Stimmführung, hat ein angenehmes Timbre, und diese lustige Hosenrolle bereitet ihr sichtlich Spaß.
Der amüsanteste Schauspieler war mal wieder Thomas Ebenstein (Don Basilio). Neben den großen Gesten und ulkigen Verrenkungen weiß er auch noch mit seiner angenehmen, vollen Stimme umzugehen.
Im Gegensatz zum wilden Humor auf der Bühne dirigiert Nathan Brock eher uninspiriert, aber dafür sehr klar. Mozarts Musik ist zum Glück auch ohne Zauberei am Pult wunderbar. Und das Philharmonische Staatsorchester spielt vielleicht gerade wegen der Klarheit des Dirigats sehr gut zusammen, die Einsätze sind präzise und sauber. An einigen Stellen klappert es allerdings zwischen Orchester und Sängern.
Bis zum Schluss durchzieht Herheims humoristischer Zugang die Aufführung. Zum Finale wird die weiße Leinwand wieder heruntergelassen und die dahinterstehenden Sänger werden stellvertretend als Noten-Figuren darauf projiziert. Vor lauter Freude über den Ausgang der verworrenen Geschichte explodieren sie dann am Leinwandhimmel als Noten-Feuerwerke. Man sieht die letzten Takte des Autographs – Fine del opera. Mozarts Handschrift beginnt und beendet diesen Abend, für den besonders die Sängerinnen mit viel Applaus belohnt werden.
Sarah Schnoor, 15. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: Nathan Brock
Il Conte d’Almaviva: Alexey Bogdanchikov
La Contessa d’Almaviva: Olga Peretyatko
Susanna: Hayoung Lee
Figaro: Alin Anca
Cherubino: Maite Beaumont
Marcellina: Katharina Kammerloher
Don Basilio: Thomas Ebenstein
Don Curzio: Peter Galliard
Don Bartolo: Alexander Roslavets
Antonio: Roger Smeets
Barbarina: Narea Son
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
„Die Erleichterung darüber und die Liebe für ihren Verlobten drückt Lee sehr gefühlvoll in der finalen Arie `Deh vieni non tardar, o gioia bella´ (`O säume länger nicht, geliebte Seele´) aus.“
Vielleicht könnte man speziell in Rezensionen darauf achten, keine sinnentstellenden, falschen und verkitschten Übersetzungen zu verwenden, so beliebt diese auch sein mögen.
Empfehlenswert ist z. B. die wörtliche Reclam-Übersetzung von Dietrich Klose: „Ach komm und säume nicht, du schöne Freude“
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„Und auch mit der lieblichen Arie `Dove sono i bei momenti´ (`Nur zu flüchtig bist du verschwunden´) im dritten Akt verzückt sie das Publikum.“
Über die Einschätzung, dass diese Arie „lieblich“ sei, kann man (etwa im Hinblick auf die Takte 63 + 68) gewiss streiten, doch auch hier sollte man wörtlichen Übersetzungen den Vorzug geben: „Wo sind die schönen Augenblicke?“
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„und diese lustige Hosenrolle“
Inwiefern ist Cherubino „lustig“?
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