Mozarts "Figaro" in der Staatsoper Unter den Linden: Die Leute lieben Klamauk

Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro,  Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Foto: (c) Hermann und Clärchen Baus
Staatsoper Unter den Linden, Berlin,
21. Oktober 2018
Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro

von Yolanda Marlene Polywka

Ein Wort zu Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“ vorneweg: Sie gilt als eine der kurzweiligsten und gelungensten des jungen Genies. Man kann von der komödiantischen Handlung halten, was man möchte – Mozarts Musik ist über jeden Zweifel erhaben.

Der wunderschöne Saal der Staatsoper Unter den Linden in Berlin ist zur Aufführung des „Figaro“ am 21. Oktober 2018 nahezu voll besetzt, die Atmosphäre ist freudig erwartungsvoll. Auf dem dünnen Steg, der sich vor dem Orchestergraben befindet, steht ein einzelner Stuhl, dessen geringe Größe die Vermutung nahelegt, dass er eigentlich einem Kinderzimmer entstammt. Kaum beginnt das Orchester mit seinem Spiel, betreten auch schon die Sängerinnen und Sänger den Saal. Sie laufen mit Taschen und Koffern bepackt über den Steg, die Zuschauer in der ersten Reihe und der Dirigent im Graben müssen beinahe die Köpfe einziehen, um nicht von den voluminösen Gepäckstücken getroffen zu werden.

Die ganze eröffnende Sinfonia hindurch herrscht auf der Bühne reges Treiben, bis sich schließlich Susanna (Anna Prohaska) vorne auf dem kleinen Stuhl niederlässt, während Figaro (Lauri Vasar) im Hintergrund zugange ist. Bereits nach wenigen Augenblicken wird auf diese Weise klar, dass die Inszenierung von Jürgen Flimm großen Wert auf das szenische Spiel legt. Der erste Auftritt des Grafen macht das noch deutlicher: Als er schwungvoll auf Susanna, das Objekt seiner männlichen Begierde, zuläuft, stolpert er zunächst über den Kofferstapel, der sich zwischen ihnen befindet. Flimm war bis März dieses Jahres Intendant der Berliner Staatsoper, seine Inszenierung des Figaro feierte bereits 2015 Premiere.

Mozarts Verwirrungsspiel wird aus dem Rahmen der Feudalgesellschaft des 18. Jahrhunderts  heraus in ein Sevilla der 1920er-Jahre hinein transportiert. Graf und Gräfin Almaviva flüchten samt Personal vor der sommerlichen Hitze ans Meer. So weit zum Setting, das die Handlung auf erfrischende Art und Weise entpolitisiert und das Hauptaugenmerk auf das Sammelsurium an kuriosen Charakteren richtet, die sich an einem Ort versammeln.

Während sich Cherubino (gesungen von einer fantastischen Emiliy D’Angelo) und Barbarina (Sónia Grané) im Strandkorb am Bühnenrand wiederholt zum intimen Stelldichein treffen, nimmt die Verwechslungskomödie szenisch und musikalisch ihren Lauf. Besonders Lauri Vasar kann in der Rolle des Titelhelden glänzen, wenn er den Saal mit seinem klangvollen Bass füllt und das Publikum komplett in seinen Bann zieht.

In der ersten Hälfte verblasst Anna Prohaskadaneben etwas; nach der Pause zeigt die Sopranistin aber ihre ganze Klasse und begeistert mit der Arie „Deh vieni non tardar, o gioia bella“, einer herzzerreißenden Liebeserklärung an ihren Figaro.

Dazu konträr verhält sich die sonst so großartige Dorothea Röschmann. Während sie in der ersten Hälfte noch alles und jeden an die Wand singt, lässt sie im dritten und vierten Akt etwas nach.

Ildebrando D’Arcangelo meistert seine Rolle in gewohnt überzeugender Manier. Stimmlich ohnehin eine Wucht spielt er den schlüpfrigen Grafen grandios. Das Publikum dankt es ihm mit Lachern und Applaus. Dass seine Figur durch ihre extreme Tollpatschigkeit und die überspitzte Lüsternheit an Glaubhaftigkeit verliert und teilweise ins Lächerliche gezogen wird, liegt nicht in der Verantwortung des Sängers. Man kommt aber am Ende nicht umhin sich zu fragen, warum die Gräfin einen solch unfähigen Tunichtgut überhaupt zurückgenommen hat.

Generell glänzen die Sängerinnen und Sänger auf ganzer Linie, perfekt ergänzt durch eine fabelhaft spielende Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Alessandro De Marchi.

Alles in allem war es ein gelungener Abend in der Staatsoper Unter den Linden. Die ausgeklügelten Choreografien unterhalten die Zuschauer fast noch mehr als die gesanglichen Glanzleistungen auf der Bühne – für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr. Die ohnehin schon verwirrende Handlung wird durch das klamaukhafte, übertriebene Spiel noch verwirrender. Warum zum Beispiel muss Susanna, nachdem sie sich doch bereits perfekt im Schrankkoffer platziert hat, an dem Graf und Gräfin zerren, weil der Graf darin den Liebhaber seiner Frau vermutet, noch panisch in den Schrank umziehen, aus dem sie später unter lauten Ohs und Ahs heraustritt? Und warum schleicht Barbarina in beinahe jeder Szene des ersten und zweiten Akts im Hintergrund lauschend über die Bühne?

Das Publikum feiert die Künstler mit Bravo-Rufen, donnerndem Applaus und stehenden Ehrenbezeugungen. Wer diesen Klassiker von Mozart schon immer oder zum wiederholten Male sehen möchte und kurzweilige Unterhaltung zu schätzen weiß, dem sei die Inszenierung in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin wärmstens ans Herz gelegt.

Yolanda Marlene Polywka, 22. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung: Alessandro De Marchi
Inszenierung: Jürgen Flimm mit Gudrun Hartmann

Bühnenbild:Magdalena Gut
Kostüme: Ursula Kudrna
Choreographie: Catharina Lühr
Licht: Olaf Freese
Einstudierung Chor: Anna Milukova
Graf Almaviva: Ildebrando D’Arcangelo
Gräfin Almaviva: Dorothea Röschmann
Susanna: Anna Prohaska
Figaro: Lauri Vasar
Cherubino: Emiliy D’Angelo
Marcellina: Katharina Kammerloher
Basilio: Linard Vrielink
Don Curzio: Peter Maus
Bartolo: Otto Katzameier
Antonio: Olaf Bär
Barbarina: Sónia Grané
Due Donne: Konstanze Löwe und Verena Allertz

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert