Foto: Claudia Höhne (c)
Yo-Yo Ma & Friends;
Yo-Yo Ma, Violoncello; Kinan Azmeh, Klarinette; Saleem Asckar, Klavier;
Johann Sebastian Bach, Suite Nr. 5 c-moll BWV 1011 für Violoncello solo;
Kinan Azmeh, The Fence, The Rooftop and the Distant Sea, 2016, Uraufführung;
Johannes Brahms, Klarinettentrio a-moll op. 114;
Issam Rafea, For you;
Kinan Azmeh, aus: Suite for Improvisor and Orchestra
Elbphilharmonie Hamburg, 26. Januar 2017
Der weltbeste Cellospieler Yo-Yo Ma, sein musikalischer Partner Kinan Azmeh sowie syrische Gastmusiker haben den Großen Saal der Elbphilharmonie am Donnerstagabend zum Kochen gebracht. Nach zwei Stunden und 20 Minuten war das Publikum so begeistert, dass es die Musiker nicht ziehen lassen wollte. Die Mischung aus barocker, klassischer und syrischer Musik ging den 2100 Zuschauern unter die Haut.
Wie am Dienstagabend war es ein Genuss zu hören und zu sehen, mit welcher Hingabe und Leidenschaft der 61 Jahre alte Yo-Yo Ma, der am 3. April 2017 ebenfalls in der Elbphilharmonie residieren wird, sich dem Spiel von Stücken hingab, die er schon Dutzende Male in seinem Leben aufgeführt hat. Dieser Mann ist Cello pur. Der butterweiche bis herbe Klang geht unter die Haut. Sie klingen göttlich, Yo-Yo.
That was Yo-Yo-phantastic!
Ihre Bogenkontrolle ist außergewöhnlich. Thank you, Yo-yo, für Ihren außerordentlichen Auftritt in Hamburgs neuer Perle. Das waren Devotion und Perfektion pur.
Wer Yo-Yo Ma spielen hört, der möchte eigentlich nichts anderes als Cello plus Begleitung hören. Wer Yo-Yo Ma auf seinem Kind spielen hört, der glaubt, er höre das schönste Musikinstrument der Welt.
Die meisten Kritiker sind sich einig: »Yo-Yo Ma ist der beste Cellist der Welt.« 18 Grammys und fast 100 Alben, von denen viele sogar Einzug in die amerikanischen Billboard-Charts hielten, untermauern diese Einschätzung – ebenso wie gefeierte Projekte mit klassischen Orchestern oder Weltmusik- und Jazz-Stars wie Bobby McFerrin. Auf dem europäischen Konzertpodium machte sich der Ausnahmekünstler zuletzt rar, um stattdessen sein Wissen in Meisterkursen und Education-Projekten an die junge Generation weiterzugeben. Daher war es eine kleine Sensation, dass er in der Eröffnungssaison der Elbphilharmonie für gleich drei ganz unterschiedliche Auftritte nach Hamburg kommt.
Yo-Yo Ma spielte bereits für acht amerikanische Präsidenten, so auch beim Antritt von Barack Obama. Er wurde 1955 in Paris als Sohn chinesischer Eltern geboren und erhielt seinen ersten Cellounterricht im Alter von vier Jahren von seinem Vater. Bald darauf zog er mit seiner Familie nach New York, wo er an der Juilliard School studierte. Zudem schloss er ein geisteswissenschaftliches Studium an der Harvard University ab. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Der Amerikaner spielt ein Montagnana-Cello aus Venedig von 1733 sowie das Davidoff-Cello von Stradivari aus dem Jahre 1712.
Ein Musiker wie der Syrer Kinan Azmeh hat zwangsläufig das Interesse des US-Amerikaners Yo-Yo Ma geweckt. Ma ist als Weltklasse-Cellist vielseitig bewandert; mit seinem Silk Road Ensemble hat er sich das Ziel gesetzt, musikalische Grenzen zu überwinden und unterschiedliche Kulturen in einen Dialog zu bringen. Wobei Grenzen, die in den Köpfen gezogen werden, bekanntlich schwerer zu passieren sind als real existierende.
Heute begeben sich Musikwissenschaftler tatsächlich in den Nahen Osten, um die Wurzeln der westlichen Musik zu studieren. Die Spuren des Gregorianischen Chorals führen zu den Gesängen, die das Judentum dort in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung gepflegt hat. Die Musik der mittelalterlichen Troubadoure weist etliche Parallelen zur Musik des Nahen Ostens auf. Noch offensichtlicher werden die Verbindungen, wenn man das Instrumentarium unserer Sinfonieorchester in der Geschichte zurückverfolgt: Seine Ursprünge liegen im Ägypten der Pharaonen, in Mesopotamien, Persien und Afghanistan. Und bei den Osmanischen Janitscharen, wie Wolfgang Amadeus Mozart in der „Entführung aus dem Serail“ vorgeführt hat.
Überhaupt Mozart: Wer will, kann im Mittelteil seines berühmten „Rondo alla turca“ Anfänge an die sprudelnde einstimmige Melodik der osmanischen Musik erkennen.
– Warum erklang eigentlich während des Eröffnungsfestivals noch keine Note von Mozart im Großen Saal? –
Aber immerhin gab es ja schon einmal „Gottvater Bach“ im neuen Hamburger Prachtsaal. Die Suite Nr. 5 c-moll für Violoncello, gleich zu Beginn solo dargeboten von Yo-Yo Ma. Er spielt die Cello-Suiten von Bach täglich , als eine Art Reinigungsritus – ohne jemals das Gefühl zu haben, am Ende dieser unendlich tiefen Musik angekommen zu sein. Ma spielte die Suite Nr. 5 ohne Noten, voller Ergebung – Bach selbst dürfte sein Werk nie so schön gehört haben wie an diesem Abend in der Elbphilharmonie mitten in Hamburgs Hafen.
Das Werk „The Fence, The Rooftop and the Distant Sea“ hat Kinan Azmeh im Auftrag der Elbphilharmonie für Yo-Yo Ma und sich selbst geschrieben. Den Titel wählte er eher zufällig: er saß beim Komponieren am Schreibtisch in Beirut, in Blickweite einen Zaun, ein Dach und in der Ferne das Meer. Von der Hauptstadt des Libanon ist Damaskus zum Greifen nah. Doch wegen des Bürgerkriegs hat Azmeh sein Heimatland Syrien seit Jahren nicht mehr besuchen können.
Nach der Pause dann Yo-Yo Ma at its very, very best: gemeinsam mit Klarinette und Klavier gelang dem Amerikaner das Klarinettentrio a-moll op. 114 von Johannes Brahms an diesem Abend am herausragendsten. Bei diesem späten Brahms aus dem Jahre 1891 verschwimmen die Grenzen zwischen „östlicher“ Volksmusik, die der Wahl-Wiener und gebürtige Hamburger Brahms kannte und sehr schätzte. Die treffendste Zusammenfassung dieses Trios lieferte Brahms’ Freund Eusebius Mandyczewski in einem Brief an den Komponisten: „Es ist, als liebten sich die Instrumente.“
Und zum Abschluss hieß es zwei Mal: Syrien pur mit „For you“ von Issam Rafea, einem Oud-Virtuosen, und „November 22nd“ sowie „Wedding“ von Kinan Azmeh. Da war der Orient wieder zu Hause im Großen Saal: Mit Yo-Yo Ma am Cello, Kinan Azmeh an der Klarinette, einem Streichquartett und Percussion.
Wenn der Syrer Kinan Azmeh das Stück „Wedding“ spielt, „ist es auch inspiriert durch all die Syrer, die es in den letzten fünf Jahren geschafft haben, sich zu verlieben, trotz der Gewehrkugeln und Bomben, trotz der Tragödie, die sich in Syrien abspielt“, sagt der Komponist. „Denn sich zu verlieben ist eines der wenigen Grundrechte, die einem keine Macht wegnehmen kann.“
Andreas Schmidt, 27. Januar 2017
klassik-begeistert.de