10 Fragen an die Sopranistin Eleonore Marguerre: „Wenn der Shutdown länger als fünf Monate gehen sollte, weiß ich nicht, wie es weitergeht"

10 Fragen an die Sopranistin Eleonore Marguerre  klassik-begeistert.de

Eleonore Marguerre ist auf vielen europäischen Bühnen ein gerngesehener Gast. Egal ob in Dresden, Mailand, Wien, Genf, Brüssel oder Venedig – die gebürtige Heidelbergerin hat bereits an vielen großen Häusern mit ihrer außergewöhnlichen Stimme und ihrer ausdrucksstarken Bühnenpräsenz einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Schon früh in ihrer Karriere debütierte Eleonore Marguerre als Venus in Mozarts Ascanio in Alba an der Mailänder Scala (2006), auch im Teatro La Fenice in Venedig stellte sie sich 2009 als Tänzerin Juliette in Die Tote Stadt vor. Von 2011 bis 2017 avancierte die Sängerin mit den belgisch-französischen Wurzeln am Dortmunder Opernhaus zum gefeierten Publikumsliebling. Insbesondere mit ihren Interpretationen der Violetta in Verdis La Traviata, der Marguerite in Gounods Faust und der Titelrolle in Arabella von Richard Strauss konnte sie wahre Triumphe feiern.

Auch am Théatre La Monnaie in Brüssel hat sich Eleonore Marguerre als Fuchs in Leos Janáceks Das schlaue Füchslein und als Elisabeth in der Uraufführung der Oper Frankenstein von Mark Grey einen Namen machen können. Zuletzt brillierte sie als Manon in der gleichnamigen Oper von Jules Massenet unter der Regie von Tatjana Gürbaca am Staatstheater Nürnberg. Eleonore Marguerre ist nicht nur in Sachen Oper unterwegs – ob in Mahlers 8. Sinfonie, dem Oratorium Eve von Massenet oder den Altenberg-Liedern von Alban Berg, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen – die Sängerin demonstriert ihre große Liebe zur Musik in einer bunten, facettenreichen Vielfalt und mit großer Hingabe. Wer ein Faible für unverwechselbare, farbenreiche und wohlklingende Stimmen hat, der kann sich glücklich schätzen, wenn er den Weg von Eleonore Marguerre bei ihren zahlreichen Vorhaben und Projekten in den kommenden Jahren kreuzen darf.

Foto: (c) Frauke Schumann

Ingo Luther korrespondierte für klassik-begeistert.de mit Eleonore Marguerre

klassik-begeistert.de: Liebe Eleonore Marguerre – wie geht es Ihnen in diesen schwierigen Zeiten, wie sieht Ihr Alltag im Moment aus? Wissen Sie noch, was Sie vor einem Jahr getan haben?

Eleonore Marguerre: Danke der Nachfrage, mir und meiner Familie geht es gut, die Sonne scheint und ich kümmere mich vor allem um meine beiden Kinder (9 und 12), mache Schule mit ihnen, gehe mit dem Hund spazieren, übe, bastele Corona-Masken… Außerdem bereite ich den zweiten Band meiner heiteren Info-Grafiken zum Thema Musik vor, nachdem der erste Band „Wozu das ganze Theater“ im Januar im Donatus-Verlag erschienen ist und nach Fortsetzung ruft.

Wenn sie den Begriff „Corona“ hören, welche drei Schlagworte fallen Ihnen da als Erstes ein?

Kultursperre, Risikogruppen, soziale Isolierung.

Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie? Können Sie dieser ganzen Situation auch positive Dinge abgewinnen?

Ich finde es am gravierendsten, dass ich nicht die Freiheit habe zu reisen, meine (gesunden) Freunde zu treffen, meine Eltern zu sehen und dass keinerlei lebendiger Austausch mit Menschen wie in einem Konzert möglich ist. Dass ich in kein Museum, keine Bibliothek gehen kann, und nur alles über den Computer geht.

Positiv: Viel Zeit für zeitaufwendige Projekte mit den Kindern, den Garten durchgestalten, dem Hund Quatsch beibringen, einfach mal etwas üben, worauf man gerade Lust hat, nicht weil man muss. Eine lange Fahrradtour machen, bei der man nicht mit dem Zug zurückfahren kann, sondern selbst zurückkommen muss, weil kaum ein Zug fährt.

Thomas Jauk (c),
als Violetta in La Traviata

Wie steht es um Ihre Einkünfte in diesen aufführungsfreien Zeiten? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen für Sie und Ihre Familie?

Mein Mann Uwe Stickert, der selbst Sänger ist, und ich haben derzeit kein Einkommen seit unserer letzten Vorstellung am 4. März. Wir haben Arbeitslosengeld 1 beantragt, weil wir genügend Anwartschaft erworben haben, was wir für einige Monate bewilligt bekommen. Wenn der Shutdown länger als 5 Monate gehen sollte, weiß ich nicht, wie es weitergeht. Viele Theater bezahlen leider keine Ersatz-Honorare, weil sie Ausschluss-Klauseln in die Verträge schreiben. Diese sind wohl laut Arbeitsrechtlern zum Teil unwirksam. Daher werden wir uns um eine juristische Einigung mit den Theatern bemühen und hoffen sehr auf allgemeine Regelungen durch z.B. den Deutschen Bühnenverein. Das würde sehr vielen ausländischen Gastkünstlern helfen, die oft nicht Arbeitslosengeld 1 beantragen können und auf das Einkommen absolut angewiesen sind.

Wie gelingt es einer Künstlerin, ohne Publikum bei Laune zu bleiben?

Das ist ein großes Problem. Musik als live-Stream anzubieten liegt mir nicht – ich liebe den Abend mit Orchester und Publikum, den direkten Klang, das Atmen im gleichen Raum und Mit-Erleben, das geht nicht durch ein Handy Video. Mein Mann und ich können aber immerhin zusammen singen, wir packen gerade unsere Lieblingsduette aus Liederabenden aus. Meditieren hilft und eher andere, musikfremde Projekte anzugehen.

Mit welchem musikalischen Werk stimulieren Sie Ihr Immunsystem? Gibt es Musik, die Sie gesund hält oder gesundmacht?

Gerade in der Passionszeit musste es Bach sein, wir haben zuhause ein Sing-Along zu Bachs Johannespassion gemacht. Mozart ist immer hervorragend zur Stimmpflege und Verdi singen macht mir einfach großen Spaß.

Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebote, die Sie uns dringend empfehlen würden?

Streaming-Angebote sind nicht meine erste Wahl, aber es gibt ja unendlich viel, z.B. bei 3sat oder Arte Concert-TV. Was ich aber konkret wirklich grandios fand, war die Idee von Herrn Kristjanson, die Johannespassion allein aufzuführen nur mit Orgel und Schlagwerk in der Leipziger Thomaskirche. Das ist wirklich toll und berührend und unheimlich beeindruckend.

Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo sehen Sie sich in einem Jahr? Wann glauben Sie persönlich, dass die Rückkehr in ein relativ „normales“ Kulturleben möglich sein wird?

In einem Jahr bin ich hoffentlich wie geplant in Frankreich und probe Fledermaus… Ich gehe von einer relativen Normalität im Herbst aus, aber so ganz wie vorher erst mit der Einführung eines neuen Impfstoffs gegen Corona.

Ludwig Olah (c), aus Krieg und Frieden

Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie ist Ihre Vision?

Das glaube ich nicht, leider. Ich befürchte im Gegenteil, dass das Social Distancing mehr gravierende gesellschaftliche Folgen hat, als wir uns vorstellen können – von häuslicher Gewalt über Vereinsamung und totalem Existenzverlust. Ich habe Angst, dass Menschen sich so „leicht“ ihre Grundrechte nehmen lassen, digital überwachen lassen, Bildung nur noch online stattfindet und der echte menschliche Kontakt schwieriger wird. Ökologisch glaube ich auch nicht daran, da die Wirtschaft möglichst schnell alles aufholen will, obwohl ich persönlich auch finde, dass es eine gute Erkenntnis ist, dass man auch zuhause viel Schönes hat und hoffentlich in Zukunft Video-Konferenzen eine Menge Lebenszeit bei Managern und CO2 dem Klima ersparen werden (das sagt zumindest meine Schwester, die bei einem Metall-Zulieferer in Schwerte Geschäftsführerin ist).

Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für Ihren ersten Auftritt haben Sie drei Wünsche frei: In welchem Haus stehen Sie auf der Bühne, in welcher Produktion wirken Sie mit und wer ist mit Ihnen auf der Bühne?

Die Frage mag ich – und die heilige Corona dann auch! Dann würde ich an der Oper Brüssel singen, entweder als Strauss‘ „Arabella“ oder in Zemlinskys „Zwerg“, Tatjana Gürbaca oder Jens-Daniel Herzog inszenieren und bei den Sänger-Kollegen fallen mir an Wunschkollegen außer meinem Mann viel zu viele ein, mit denen ich allen wieder liebend gerne zusammen auf der Bühne stehen würde…

Vielen Dank, liebe Eleonore Marguerre, für dieses „virtuelle Gespräch“. Ihnen und Ihrer ganzen Familie viel Gesundheit und bis hoffentlich bald auf einer Opernbühne!

Ingo Luther, 17. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Das Buch von Eleonore Marguerre:

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