Heseon Hellen Kwon (* 11. Januar 1961 in Seoul) ist eine südkoreanische Opernsängerin. Die Koloratursopranistin ist seit 1987 Ensemblemitglied an der Hamburgischen Staatsoper.
Hellen Kwon studierte von 1979 bis 1984 an der Hochschule für Musik Köln bei Dietger Jacob. Im Jahr 1984 gewann sie den ersten Preis der italienischen Novara International Singing Competition. Im selben Jahr debütierte sie als Königin der Nacht am Staatstheater Wiesbaden. Für seine Oper La Foret, die 1986 am Grand Théâtre de Genève uraufgeführt wurde, komponierte Rolf Liebermann eine Rolle für Hellen Kwon. Als Chef der Hamburgischen Staatsoperholte er sie als Ensemblemitglied an das Haus, wo sie seitdem in vielen Rollen Erfolge feierte.
Die Rolle der Königin der Nacht hat sie bisher an allen großen Opernhäusern gesungen, so in Paris, Zürich, an der Bayerischen Staatsoper in München und an der Wiener Staatsoper. Auch zu zahlreichen internationalen Festivals wurde die Sängerin engagiert: 1988 bei den Bayreuther Festspielen, 1989 in Aix en Provence, 1990 in Glyndebourne und 1991 in der Entführung aus dem Serail bei den Salzburger Festspielen. Neben ihrer Operntätigkeit hat sich Hellen Kwon auch im Konzertbereich einen Namen gemacht. Hellen Kwon sang unter namhaften Dirigenten wie James Levine, Vladimir Ashkenazy, Giuseppe Sinopoli, Nikolaus Harnoncourt, Zubin Mehta, Wolfgang Sawallisch und Neville Marriner.
2010 erhielt Hellen Kwon für ihre Rolle in Das Gehege in der Hamburgischen Staatsoper den Rolf-Mares-Preis in der Kategorie „Außergewöhnliche Leistungen Darstellerinnen“. 2011 verlieh ihr der Hamburger Senat auf Anregung von Opernintendantin Simone Young den Ehrentitel Hamburger Kammersängerin. Im Jahr 2012 wurde Hellen Kwon von der koreanischen Regierung mit dem „Order of Civil“ ausgezeichnet.
Interview: Andreas Schmidt
klassik-begeistert.de: Liebe Hellen Kwon – wie geht es Ihnen in diesen schwierigen Zeiten, wie sieht Ihr Alltag im Moment aus? Wissen Sie noch, was Sie vor einem Jahr getan haben?
Mir geht es den Zeiten entsprechend gut, einerseits ist es wie jeden Tag Sonntag, andererseits mache ich mir Sorgen um meine kranke Mutter in Korea, um die ich mich nicht kümmern kann.
Der Garten im Frühling verlangt viel Pflege und Arbeit und ich versuche, dem gerecht zu werden, denn vor einem Jahr war ich sehr eingespannt für die Produktionen von Schostakowitschs „Die Nase“ und Harneits „Ich und Ich“ in Hamburg, in denen ich sehr anspruchsvolle Partien zu bewältigen hatte, parallel zu den laufenden Parsifalvorstellungen.
Wie und wo trifft Sie der Corona-Lockdown? Können Sie überhaupt schon planen – Proben, Premieren? Welche Vorstellungen und Festivals, an denen Sie beteiligt wären, wurden annulliert?
An der Staatsoper Hamburg, Elektra- Premiere mit 6 Vorstellungen, 4 Parsifalvorstellungen und 4 Carmenvorstellungen, bei denen ich mich auf die Partie der Micaela gefreut habe.Die Veranstaltung „Legenden der Oper“ mit mir musste ebenfalls abgesagt werden.Meine Meisterkurse in Korea im März wurden auch annulliert.
Wenn sie den Begriff „Corona“ hören, welche drei Schlagworte fallen Ihnen da als Erstes ein?
Zeit zum Nachdenken, die Ruhe, man fragt sich, was wirklich wichtig ist im Leben und wie wenig man eigentlich zum Leben braucht.
Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie? Können Sie dieser ganzen Situation auch positive Dinge abgewinnen?
Absolut, ich tue Dinge, die ich immer vor mir hergeschoben habe, und kümmere mich verstärkt um mich selbst.
Kommen Sie zu Dingen, die Sie bisher aus Zeitmangel beiseite geschoben haben und kommunizieren mehr mit Freunden und Kollegen?
Nein, meine Freunde und Kollegen, die ich wirklich schätze, für sie nehme ich mir immer Zeit. Ob Corona oder nicht.
Wie steht es um Ihre Einkünfte in diesen aufführungsfreien Zeiten? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen für Sie und Ihre Familie?
Es ist für die freischaffenden Künstler wie meinen Mann (der Cellist Georg Pawassar), dem sehr viele Konzerte und Vorstellungen weggebrochen sind, schwierig.
Ich lebe mit den gleichen Beschränkungen wie alle Angestellten, durch einen langjährigen Vertrag an der Staatsoper Hamburg bin ich in einer, im Gegensatz zu den freischaffenden Kollegen, privilegierten Lage.
Hoffen wir, das sich alles bald normalisiert, aber ich glaube, dass wir Künstler noch lange mit gewissen Einschränkungen leben müssen.
Wie gelingt es einer Künstlerin, ohne Publikum bei Laune zu bleiben?
Ich habe das große Glück, dass ich viele Interessen habe und mich mit anderen Dingen auch beschäftigen kann.
Mit welchem musikalischen Werk stimulieren Sie Ihr Immunsystem? Gibt es Musik, die Sie gesund hält oder gesundmacht?
Zur Zeit hält mich Beethoven bei Laune, ich lese gerade seine neu erschienene Biographie und höre mir seine Werke nach der entsprechenden Schaffensperiode an.
Ich habe Sie schon unzählige Male in der Staatsoper Hamburg erleben dürfen. An welchen Häusern haben Sie sonst noch gesungen und welche sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Ich habe so ziemlich in allen Opernhäusern dieser Welt gesungen, besonders gerne neben meinem Stammhaus Hamburg, war ich an den Staatsopern Wien, München, Dresden und dem Opernhaus Zürich. Ach ja, und auch im La Fenice in Venedig, wunderschöne Häuser. Aber am schönsten war es immer auf Sommerfestspielen wie Bayreuth, Glyndebourne, Salzburg, Aix en Provence.
Welches sind Ihre Lieblingsrollen?
Es mag komisch klingen, aber es sind die, die mich gerade beschäftigen und in die ich die meiste Arbeit investiere. Ich muss eine Partie lieben lernen, damit ich sie mit Freude auf die Bühne bringen kann.
Heutzutage sind meine Lieblingsrollen u.a. die Butterfly, Rosalinde, Salomé.
Was wäre Ihre Traumrolle – und welches Opernhaus wäre für Sie der Olymp? Die Met? Das Royal Opera House?
Ich habe ja schon viele Traumrollen gesungen, von der Königin der Nacht zu Senta, von Zerbinetta zu Salomé und von Oscar zu Butterfly. Insgesamt waren es über 50 Hauptpartien. Meine absolute Traumrolle? Wotan in der Walküre, Siegfried in Götterdämmerung und Osmin werde ich in diesem Leben nie singen können, meine Hoffnung ruht auf Reinkarnation. Aber eine Herausforderung wie Turandot und Kaiserin würde mich reizen. Außerdem, ich finde, jede Bühne, auf der man steht, sollte jedem Sänger der Olymp sein.
Wie gehen Sie mit dem Regietheater – mit Regisseuren um, die sich selbst statt das Stück inszenieren? Können Sie über allzu originelle und bisweilen verfehlte Regie-Konzepte hinwegsehen und sich auf Ihre Rolle konzentrieren oder lenken ausgefallene Ideen des Regisseurs bisweilen so sehr von Ihrer Rolle ab, dass Sie nicht die Top-Performance hinlegen können, auf die Sie eigentlich abzielen?
Sehr gute Frage! Wenn ich die ehrlich beantworte, werde ich für immer gemieden…. Aber Ernst beiseite, ich stehe seit 1983 auf der Bühne und habe viel vom Regietheater erlebt und habe mich stets bemüht, dem Regiekonzept und den Regisseuren zu folgen. Manches Mal war die Regie so gegen die Musik, daß ich mich in meinem Künstlertum behindert fühlte. Da hilft nur, Augen zu und durch, und ich versuche, das Beste daraus zu machen. Das heutige Regietheater mutiert nach meiner Meinung ins Absurde und das tollste ist noch, das sich so manche Regisseure auch noch missverstanden fühlen.
Wenn sich Sänger mit der Inszenierung, Bühnenbild (oft völlig leere Bühne) und Kostümen nicht wohlfühlen, können sie nicht hundertprozentige Leistung bringen.
Die Regie müsste sich intelligent dem Werk und der Musik einbringen und nicht nur intellektuell. Oper ist doch ein Gesamtkunstwerk, in dem Gesang, Musik und Regie gleichrangig sein sollten. Wie höre ich so oft nach Premieren: „Was war das denn, ich habe nichts verstanden?“, „Die Musik kann man nicht kaputt machen“ oder „wenigstens waren die Sänger gut“.
Wie halten Sie es mit neueren oder gar zeitgenössischen Komponisten?
Sehr zu begrüßen! Ich habe selbst viele Uraufführungen gesungen, angefangen 1986 mit Liebermanns „La Forêt“, Riehms „Das Gehege“, Berios „La Vera Storia“, „Bliss“ von Britt Dean, Reimanns „Lear“ und noch vieles mehr. Mein ständiges Bestreben ist, moderne Musik mit meiner guten Gesangstechnik wie eine klassische Partie erklingen zu lassen. Wünschenswert wäre, wenn die Komponisten die Noten zeitiger den Sängern schicken würden.
Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebote, die Sie uns dringend empfehlen würden?
Ich persönlich höre und orientiere mich an historischen Aufnahmen bis in 1970er-Jahre. Aufnahmen wie die von Franz Völker, Frieda Hempel, Maria Müller und so viele mehr, sie hatten sofort erkennbare Stimmen, eine große Gesangskultur, die immer mehr verloren geht. Das fehlt mir bis auf wenige Ausnahmen bei den heutigen Sängern. Vielleicht liegt es an der heutigen schnelllebigen Zeit, und dem visuell orientierten Opernbetrieb, wo viele Sänger nur nach Statur oder Aussehen engagiert werden, der nicht mehr die Zeit zum Reifen von Stimmen zulässt. Das fehlt mir bis auf wenige Ausnahmen bei den heutigen Sängern. Tip: Great Voices Of The Opera II, 40 CDs.
Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo sehen Sie sich in einem Jahr? Wann glauben Sie persönlich, dass die Rückkehr in ein relativ „normales“ Kulturleben möglich sein wird?
Ich hoffe sehr, spätestens 2021 wird sich alles normalisieren, vielleicht auch früher, sollte es bald einen Impfstoff geben.
Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie ist Ihre Vision?
Das glaube ich wohl, denn wir alle haben jetzt Zeit zum Nachdenken. Meine Vision ist, dass wir alle auch noch lange nach Corona unser Denken nachhaltig umstellen werden.
Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für Ihren ersten Auftritt haben Sie drei Wünsche frei: In welchem Haus stehen Sie auf der Bühne, in welcher Produktion wirken Sie mit und wer ist mit Ihnen auf der Bühne
Sollte das alles eintreten, stehe ich in Hamburg in „Die Nase“ mit zwei Partien (Ossipowna und Brezelverkäuferin), die mir richtig Kopfzerbrechen bereitet haben, wieder auf der Staatsopernbühne zusammen mit meinem lieben Kollegen Bo Skovus.
Liebe Frau Kammersängerin, ich danke Ihnen sehr für das Interview.
Interview: Andreas Schmidt, 22. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at