„Ich freue mich unbändig auf das erste Konzert, das ich nach der Krise wieder gebe. Das wird etwas ganz besonderes, befreiend, erlösend. Für Künstler wie für Publikum.“
Foto: Patrick Hahn, (c) Donauer
Der Dirigent, Komponist und Pianist Patrick Hahn wurde 1995 in Graz geboren und hat sich bereits als einer der vielversprechendsten Künstler seiner Generation etabliert. Seine internationale Präsenz hat in den letzten Spielzeiten sowohl im Konzertsaal als auch im Opernhaus exponentiell zugenommen.
Als Dirigent verbinden ihn Zusammenarbeiten mit Orchestern und Opernhäusern wie den Münchner Philharmonikern, den Klangkörpern des Bayerischen Rundfunks, dem Gürzenich-Orchester Köln, der Dresdner Philharmonie, der NDR Radiophilharmonie, den Wiener Symphonikern, der Camerata Salzburg, dem klangforum Wien, dem Luzerner Sinfonieorchester, der Opéra de Rouen Normandie oder der Bayerischen Staatsoper. Als Pianist konzertierte er mit dem Mozarteumorchester Salzburg oder als Liedbegleiter im Wiener Musikverein, für die Spielzeit 2017/18 war Patrick Hahn außerdem Solorepetitor an der Staatsoper Hamburg. In enger Zusammenarbeit mit Kirill Petrenko übernahm er 2019 die Einstudierung der Neuproduktionen von „Salome“ und „Die tote Stadt“ an der Bayerischen Staatsoper.
Interview: Barbara Hauter
klassik-begeistert.de: Was haben Sie vor einem Jahr getan, und wie sieht ihr Alltag heute aus?
Patrick Hahn: Vor einem Jahr war eine spannende Zeit. Ich war zur Wiederaufnahme der Kinderoper „Kannst Du pfeifen, Johanna“ an der Bayerischen Staatsoper und parallel dazu an der Elbphilharmonie mit den Hamburger Symphonikern. Da habe ich meinen ersten Bruckner, seine 7. Sinfonie, dirigiert. Mein letztes Projekt vor dem Lockdown war als Assistent von Kirill Petrenko bei „Fidelio“ in Baden-Baden. Wir waren kurz vor den Endproben, der Chor sollte noch dazukommen. Da wurden wir herausgerissen. Ob wir es jemals szenisch aufführen werden, ist ungewiss.
Jetzt lebe ich bei meinem Eltern in der schönen Steiermark. Zum Glück bin ich nicht heimatlos geworden, denn ich war gerade im Umzug zwischen zwei Wohnungen. Die in Hamburg hatte ich schon aufgegeben, die neue in Wien ist noch eine Baustelle. Nun kann ich machen, wofür ich vorher nie Zeit hatte: mit der Familie Kartenspielen zum Beispiel. Ich arbeite auch musikalisch, aber nicht so unter Hochdruck wie normalerweise, eher verlangsamt. Bis Ende Juni gebe ich keine Konzerte, dann stünden die Salzburger Festspiele an. Dafür bereite ich eine Uraufführung mit dem Young Singers Project vor, eine Oper namens „Vom Stern, der nicht leuchten konnte“. Wenn die Festspiele ausfallen, dann geht es für mich erst im September weiter.
Nennen Sie drei Schlagworte, wenn Sie das Wort Corona hören…
Zeit für Familie. Entschleunigung, alles ist irgendwie losgelöst. Unsicherheit, denn der Musikbetrieb wird sicher nach der Krise nicht normal weiterlaufen, bei den hohen Kosten für den Staat wird die Kultur wohl kürzer treten müssen. Das ist für die großen Bühnen vielleicht verkraftbar, nicht aber für die vielen kleinen.
Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona- Pandemie? Können Sie ihr auch etwas Positives abgewinnen?
Ich bin gezwungen, nicht zu konzertieren. Ich hatte aber noch nie in meinem Leben so viel Zeit zur Verfügung. Da frage ich mich, wie ich die Zeit am besten nutzen kann. Ich freue mich unbändig auf das erste Konzert, das ich nach der Krise wieder geben darf. Das wird etwas ganz besonderes, befreiend, erlösend. Für Künstler wie für Publikum. Es ist ja in der Vergangenheit immer wieder tollste Kunst in Krisenzeiten entstanden, die Menschen lechzen danach. Hoffen wir, das es auch diesmal so sein wird.
Womit verdienen Sie sich normalerweise ihre Brötchen? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen?
Ich bin freischaffender Dirigent, arbeite in Opernhäusern und Konzertsälen gleichermaßen. Das steht alles still. Ich habe im Moment zwar keine Einkünfte, aber noch habe ich keine Sorgen, ich komme klar. Aber wenn das über den Herbst hinaus noch weiterginge, würde es dann schon problematisch.
Wie gelingt es einem Künstler ohne Publikum bei Laune zu bleiben?
Ich brauche das Publikum nicht, um bei Laune zu bleiben, sondern um deren Energie aufzunehmen. Das gilt aber gleichermaßen auch für das Orchester. Es gibt mir Energie. Das vermisse ich sehr. Aber hier in der Steiermark bin ich so tief verwurzelt, dass ich auch ohne Musik eine Weile gut überleben kann.
Eine Frage, die uns besonders interessiert: Mit welchem Musikwerk stimulieren Sie Ihr Immunsystem?
Mir war lange nicht bewusst, das es so etwas gibt. Aber sicher: Musik kann heilende Wirkung auf die Psyche haben und in Folge auch auf die Physis. Je nach Lust und Laune höre ich ganz unterschiedliche Musik. Auch gerne Jazz, portugiesische Musik, Bossa Nova, das ist wie ein Ausblick auf bessere Zeiten. Ganz fern der Klassik liebe ich auch die Austria 3, also Danzer/Fendrich/Ambros. Das ist vielleicht sowas wie österreichische Musikkultur nach Mozart und ideale Musik am Lagerfeuer.
Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebot, die Sie uns dringend empfehlen würden?
Ich las kürzlich ein tolles Buch von José Saramago, dem portugiesischen Literaturnobelpreisträger: Eine Zeit ohne Tod. Ich weiß nicht ob es gerade passt, das zu empfehlen, vielleicht umso mehr. Es geht um einen Staat, in dem plötzlich niemand mehr stirbt. Eine spannende, kurzweilige Utopie. Von dem gerade jetzt wirklich unglaublich umfangreichen musikalischen Streamingangebot nutze ich gerade eher wenig. Ich habe in meinem Alltag ja Musik im Überfluss.
Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo sehen Sie sich in einem Jahr?
Überall da, wo es im Moment geplant ist. Zu dieser Zeit im nächsten Jahr steht eine Neuproduktion an der Bayerische Staatsoper an: „A Space Opera for Young Voices“ mit dem Opernstudio im Cuvilliés Theater in München. Und die Münchner Philharmoniker dirigiere ich in einem Programm mit der viel zu selten gespielten zweiten Sinfonie von Charles Ives. Dazu kommen Debüts im Wiener Musikverein, im Konzerthaus Wien und im Münchner Gasteig.
Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie ist ihre Vision?
Ich denke, sozial ändert sich einiges. Firmenchefs haben gelernt, dass Homeoffice und Video-Konferenzen noch effektiver sein können als gedacht. Ich kenne einen, der will seinen Bürokomplex nach der Krise komplett aufgeben, dieser sei überflüssig geworden. Ich hoffe sehr, dass sich das Misstrauen und die Distanz zwischen den Menschen wieder zurückbilden. Es wäre eine große Katastrophe, wenn die herzliche Atmosphäre nicht wieder zurückkäme. Dass sich an der aktuellen Klimakatastrophe etwas tiefgreifend ändert, glaube ich kaum. Dazu wird wohl die Zeit nach dieser Pandemie der Zeit davor zu sehr ähneln, zumindest was das Konsum- und Umweltverhalten der Menschheit angeht. Aber wie wäre das wünschenswert…
Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für Ihren ersten Auftritt haben Sie drei Wünsche frei: Wo, in welcher Produktion und mit welchem Orchester arbeiten Sie?
Das letzte Konzert, das mir abgesagt wurde, war die h-moll Messe von Bach in Belfast, Nordirland. Dieses Stück inmitten der Coronakrise wäre für mich das Symbol für Hoffnung, für so etwas wie Auferstehung sozusagen. Das würde ich als erstes spielen wollen. Es ist so unfassbar außerordentlich, eines der größten Werke, die es musikgeschichtlich gibt.
Lieber Patrick, vielen Dank für das Interview.
Barbara Hauter, 9. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at