Die Bremer Philharmoniker und Pianist Soulès flashen das Bremer Publikum mit donnernden Rhythmen und einer Orgie opulenter Klangfarben

11. Philharmonisches Konzert „Energie“,   Bremen, Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 27. Mai 2024

Bremer Philharmoniker, Bremen, 2023-08-31 © Caspar Sessler

11. Philharmonisches Konzert „Energie“

Anna Clyne: This Midnight Hour

Béla Bartók: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Sz. 83, BB 91

Claude Debussy: Prélude à l’après-midi d’un faune
Suite für Orchester Nr. 1

Lorenzo Soulès Klavier
Marko Letonja Dirigent

Die Bremer Philharmoniker

Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 27. Mai 2024


von Dr. Gerd Klingeberg

Es braucht zweifellos ein gerüttelt Maß an Energie, um dieses Konzertprogramm „Energie“ auch wirklich stemmen zu können. Nun, die Bremer Philharmoniker sind, nur wenige Wochen vor Beginn ihrer 200sten Saison, ohrenfällig in exzellenter Form und bester Spiellaune. Und dies trotz einer gesundheitsbedingt sehr kurzfristigen Absage der Dirigentin Joana Carneiro, für die glücklicherweise, wie es sich besser kaum hätte ergeben können, Chefdirigent Marko Letonja einspringen konnte.
„This Midnight Hour“ erzählt, anders als man spontan vermuten mag, keine schummerigen Mitternachtsgeschichten; ganz im Gegenteil hat die englische Komponistin Anna Clyne ein ungemein fesselndes, aus vielschichtigen Bildern und Motiven zusammengesetztes Werk vorgelegt, bei dem sich unschwer die lärmende, von ungebremster Hektik geprägte Szenerie einer Mega-City erahnen lässt. Und dann, irgendwann, auch die Stille der Nacht zu spüren ist – die indes von einem einzelnen, wie aus dem Nichts kommenden, dröhnend harten Paukenschlag final konterkariert wird.

Ein effektvoller Auftakt. Und genau der richtige Aufwärmer für Béla Bartóks Klavierkonzert Nr. 1. Düster grummelt das Schlagzeug, dissonante Blechbläserfanfaren ertönen, das Klavier hält hart dagegen. Alles wird bestimmt vom straff tackernden, niemals nachlassenden Rhythmus.

Pianist Lorenzo Soulès präsentiert seinen Part mit resolutem, höchst präzise gesetztem Anschlag; dennoch wirkt er gelegentlich nahezu machtlos gegen die Übermacht des riesigen, mit Urgewalt aufspielenden Orchesters. Faszinierend gestalten Klavier und Perkussion in jetzt allerbester Abstimmung den fremdartigen, geradezu mystisch anmutenden und schließlich im Nichts verhallenden Mittelsatz. Attacca, eruptiv wie ein Phönix aus der Asche, startet der Finalsatz. Er wird zum turbulenten Sturmlauf, zu einem furios ratternden Zug, der jedes Hindernis, das sich ihm in den Weg stellt, gnadenlos überrollt. Und Soulès ist mit vollem Einsatz dabei, mit äußerst hartem Martellato-Anschlag, fast als wolle er den großen Flügel atomisieren.

Lorenzo Soulès © Sihoo Kim 2022

Solist und Ensemble sind in zunehmend forschem, bis an die Grenzen der Überhitzung gehenden Tempo unterwegs, dieweil Letonja mit exaktem Dirigat diesen unwiderstehlich drängenden Parforceritt sauber in der Spur hält. Ein letzter Rumms. Aus. Dann donnernder Beifall des restlos geflashten Publikums.

Deutlich entspannter, wenngleich nicht für die Instrumentalisten, geht es nach der Pause weiter. Wie ein berührendes Poem erklingt das wunderschöne Flötenmotiv aus Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“. Tremolierende Streicher, arpeggierte Harfen und zarte Holzbläser erstellen eine verträumte, erotisch aufgeladene Sehnsuchtsatmosphäre von bezwingender Intensität. Die solistischen Einsprengsel werden durchweg nuanciert intoniert; die sensible, in jeder Hinsicht makellose orchestrale Ausführung vermittelt eine kaum noch steigerbare Fülle an Emotionen.

Nicht minder beeindruckend erklingt Debussys Orchestersuite Nr. 1. Die „Fête“ wird zum munteren Tanzvergnügen mit spieluhren-ähnlichen Sequenzen; die filigranen, wolkenleicht schwebenden  Figuren des „Ballet“ generieren anmutige Szenarien. Melodische Themen, untermalt von schillernden Klangstrukturen, sorgen beim „Rêve“-Satz für angenehme Träume, während bacchantisch ausschweifende, changierende bis irisierende, schließlich gar triumphal erstrahlende Harmonien den Finalsatz zum Sinnesrausch, zur Orgie aus opulenter Klangfarbigkeit werden lassen.

Das begeisterte Bremer Auditorium quittiert dieses Konzert der Extra-Klasse mit frenetischem, nicht enden wollendem Beifall, Fußgetrampel und Bravo-Rufen.

Dr. Gerd Klingeberg, 28. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Konzert „Wiener Schule“, Jan Lisiecki Klavier, Tarmo Peltokoski Dirigent, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, 22. Mai 2024

4. Premieren-Abonnementkonzert „Aufbruch und Meisterschaft“ Bremer Konzerthaus, Die Glocke, 9. April 2024

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