Schumann, Beethoven, Wagner: Selbst in diesen viel bespielten Ecken der Klassik liegen scheinbar noch reichlich unentdeckte Schätze. Klaviersonaten, Märchenszenen und selbst die Wesendonck-Lieder klingen in kammermusikalischer Bearbeitung innerlich wie noch nie, die drei Star-Komponisten wären begeistert gewesen! Und die Hamburger Symphoniker beweisen wieder einmal ihre herausragende künstlerische Kreativität wie Qualität.
2. Kammerkonzert der Saison 2023/24
Laeisz-Ensemble, bestehend aus Mitgliedern der Hamburger Symphoniker
Werke von Robert Schumann, Richard Wagner und Ludwig van Beethoven, bearbeitet von Fabian Dobler
Laeiszhalle Hamburg, Kleiner Saal, 2. November 2023
von Johannes Karl Fischer
Orchestral sind die Beethoven’schen Klaviersonaten auch ohne Oboen und Fagotte. Jetzt aber mal Nägel mit Köpfen: Die unspielbare Hammerklaviersonate ganz ohne Flügel und mit Instrumentaloktett? Mit Vergnügen, doch! Ein buntes Klangfarbenspektrum lässt die Blumen der Pastoralen blühen, die Sonate „quasi una Fantasia“ phantasiert nun zu acht und nicht mehr allein. Gänzlich neue Facetten der Beethoven’schen Klaviermusik lässt Fabian Doblers kammerorchestrale Fassung dieser vier Sätze aus vier Sonaten erklingen.
Mit einer auf dem Klavier völlig unvorstellbaren Leichtigkeit fließen die melodischen Stränge der monumentalen Hammerklaviersonate aus den Instrumenten des Laeisz-Ensembles. Glasklare Fugen und mühelos singende Flötenmelodien, man fragt sich, wie das auf dem Klavier eigentlich zu realisieren wäre. Nahezu prädestiniert für ein gemischtes Streich- und Bläser-Oktett, nicht wahr? Und doch will irgendwo ganz tief unten das unhörbare Schlagen eines Hammerflügel-Hammers nicht schweigen…
Aber so richtig nimmt das ganze eigentlich erst mit dem dritten Satz der Pastorale Fahrt auf. Ein kleines, flottes Scherzo, am Klavier eigentlich recht gut zu spielen. Doch das leichte Lüftchen einer warmen Klarinette weht nochmal gänzlich andere Winde herbei. Als würde man im grünen Garten des Beethoven-Hauses in Heiligenstadt sitzen, dort unter einem Wunderbaum, wo Beethoven einst sein Notenpapier mit zauberhaften Melodien füllte.
Auch das erste Werk des Abends – eine Collage aus Schumanns Kinderszenen und Märchenbildern – ist in seiner Urfassung eigentlich für Klavier geschrieben. Diesmal führt die Kammermusik in einen Märchenwald, der ferne Klang eines Glockenspiels blitzelt fein wie verzaubert. Flott geht es auch auf die wilde Jagd, Streicher und Bläser sorgen für ordentlich Tempo im Sattel. Fehlt nur noch ein Jagdhorn…
Und dann erst diese Träumerei: Noch nie habe ich diese wunderschöne, etwas schlummernde Melodie so expressiv und gesangsvoll gehört wie bei Frederik Virsiks Klarinetten-Solo! Statt einsam am Klavier phantasiert nun ein seidensanfter Bläserklang die wunderbar schlummernden Melodien durch den Abend. Ich bin eigentlich kein großer Schumann-Fan, seine Klavierwerke habe ich nach dem Unterricht nicht mehr sehr viel gespielt. Zu depressiv, durch die Bank zu wenig Lebensfreude. Aber wenn selbst seine Klavierstücke so innerlich strahlen können… vielleicht muss ich meine Schumann-Skepsis doch nochmal überdenken. Wer weiß, meine Schubert-Skepsis habe ich dank András Schiff schon nahezu gänzlich überwunden.
Zu guter Letzt stehen noch Wagners Wesendonck-Lieder – wieder für Instrumentalensemble und ganz ohne Singstimme – auf dem Programm. Besser gesagt, Wagners eigene Träumerei. Und wie bringt diese wunderbare Besetzung den eigentlichen Geist dieser Werke zum Klingen! Die Tristan-Motive schwingen und seufzen sehnsüchtig nach Wagners geliebter Mathilde, als würde der Komponist selbst vor seiner Tristan-Partitur in schwärmerischer Träumerei versinken. Ein ganzes Orchester wird in der Villa Wesendonck wohl kaum Platz gefunden haben. Aber Wagner hätte sicherlich nichts dagegen gehabt, diese acht MusikerInnen der Hamburger Symphoniker in sein „Asyl“ – ja, so nannte er seine Gartenvilla im Schweizer Exil – am Ufer des Zürichsees einzuladen. Ganz allein, nur er, Mathilde, und diese wunderbare Musik…
Muss es denn unbedingt immer Klavier sein? Nein. Auch nicht bei Klaviersonaten. Selbst die Wesendonck-Lieder klingen ohne Gesangsstimme irgendwie recht verzaubernd. Und die Hamburger Symphoniker – diesmal in Form des Laeisz-Ensembles – beweisen wieder einmal ihre herausragende künstlerische Kreativität und Qualität, so kann das gerne weiter gehen!
Ein Jammer, das selbst in diesem allesamt nicht sehr großen Kleinen Saal der Laeiszhalle nicht einmal jeder zweite Platz verkauft war! Liebe Wagner-Fans, liebe Beethoven-Fans, liebe Schumann-Fans: Wo bleibt ihr den alle? In der Elbphilharmonie würdet ihr euch doch schon längst um die Karten buhlen…
Johannes Karl Fischer, 3. November 2023 für,
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rudolf Buchbinder: Ludwig van Beethoven – Klaviersonaten, Elbphilharmonie Hamburg, 13. Oktober 2020
Beethovenfest Bonn, Konzertmarathon Bonn, 10. September 2023