Rising Stars 23: Anna El-Khashem, Sopran – nicht gewartet, schnell gestartet!

Rising Stars 23: Anna El-Khashem, Sopran,  klassik-begeistert.de

Als Esmeralda in B. Smetanas Die verkaufte Braut (Wenzel – W. Ablinger-Sperrhacke, Bayerische Staatsoper, München). © Foto Wilfried Hösl

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

Anna El-Khashem (17 Jahre) singt das Ave Maria von Schubert (2013)

von Dr. Lorenz Kerscher

Als Ende 2017 die Neuproduktion von Puccinis Il Trittico an der Bayerischen Staatsoper per Livestream übertragen wurde, beeindruckte mich im zweiten Teil der Trilogie, Suor Angelica, neben der wunderbaren Ermonela Jaho in der Hauptrolle vor allem die Darstellerin der Suor Genovieffa. Diese Novizin, die gerne noch einmal ein Lamm in den Armen halten möchte, ist als Seelenverwandte der sich nach ihrem Kind sehnenden Angelica eine der bedeutenderen Nebenrollen dieses Werks und wurde von einer sehr jungen Darstellerin mit besonders schöner Stimme und überzeugender Bühnenpräsenz dargestellt. Schnell fand ich heraus, dass es sich um das damals 21-jährige Opernstudiomitglied Anna-El-Khashem handelte.

Dass sie aus St. Petersburg stammt, lässt eher ihr Vorname erahnen als der Familienname, der auf ihren aus dem Libanon stammenden Vater zurückgeht. Ebenso wie ihre russische Mutter arbeitet er als Arzt und doch fand die Tochter von Anfang an Unterstützung für ihren Berufswunsch, Musikerin zu werden. Während ihrer Schulzeit sang sie im Chor einer Musikschule und wurde mit 17 Jahren am Staatlichen Konservatorium St. Petersburg aufgenommen. Außerdem nahm sie an Meisterkursen bei Stars wie Elena Obraztsova, Brigitte Fassbaender, Anna Tomowa-Sintow, Edith Wiens und Natalie Dessay teil. Sehr bald schon konnte sie ihr außergewöhnliches Talent auch mit Wettbewerbserfolgen unter Beweis stellen.

Anna El-Khashem (19 Jahre) singt die Arie der Violetta „Addio del passato“ aus La Traviata (2015)

Ihr Studium war noch nicht abgeschlossen, als sie nach einem Vorsingen in München zu ihrer Überraschung in das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper aufgenommen wurde. Wenn man bedenkt, dass für die vier Plätze, die dort pro Jahr zu besetzen sind, um die 800 Bewerbungen eingehen, ist es schon sehr erstaunlich, wenn eine 20-Jährige für diese erstklassige Talentschmiede ausgewählt wird. Und schon bald konnte sie durchaus beachtenswerte Rollen in Premierenbesetzungen darstellen, etwa die Barbarina in Le nozze di Figaro, die eingangs erwähnte Suor Genovieffa in Suor Angelica und das Meermädchen in Webers Oberon. Bald erlebte ich sie auch live, sowohl als Lied- und Oratoriensängerin als auch mit größeren Rollen in Produktionen des Opernstudios. Hierbei beeindruckte mich auch ihre tänzerische Eleganz so sehr, dass ich sie fragte, ob sie parallel zum Gesang auch Tanz studiert habe. Das verneinte sie jedoch.

Besonders in Erinnerung blieb mir ihre Mitwirkung an einer Performance im Juni 2018, in die das Publikum gleichsam als Statisterie einbezogen war. Es war eine Umdeutung von Rimski-Korsakovs Schneeflöckchen, die ihr Gelegenheit gab, bewegende Märchenszenen darzustellen und einige schöne Arien in russischer Sprache zu singen. Das Publikum saß zunächst als Hochzeitsgesellschaft an langen Tischen, stand dann im Kreis um den Mittelpunkt des Geschehens und nahm später auf Baumstämmen Platz, war also immer in unmittelbarer Nähe der Künstler und konnte eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Offensichtlich haben dies auch einige prominente Rezensenten erlebt und dann im Herbst dieses Jahres in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt für sie gestimmt. So erhielt sie im ungewöhnlich jugendlichen Alter von 22 Jahren die Auszeichnung als Nachwuchskünstlerin des Jahres.

Anna El-Khashem (20 Jahre) singt Lieder von Gurkov, Chausson und Rossini; 1. Preis beim Amber Nightingale Wettbewerb, Kaliningrad (2016)

Ihr Engagement im Münchner Opernstudio verlängerte man ausnahmsweise um ein drittes Jahr, vielleicht, um ihr parallel ihren Studienabschluss in St. Petersburg zu ermöglichen, wahrscheinlich auch, um sie noch für einige schöne Aufgaben einzusetzen. So auch die Esmeralda in einer Neuproduktion der Verkauften Braut, bei der sie auf hohem Seil balancieren, mit eleganter Gymnastik den trotteligen Wenzel verführen und natürlich wunderschön singen durfte.

Als Barbarina in W. A. Mozarts Le nozze di Figaro (Bayerische Staatsoper, Muenchen ). © Foto Wilfried Hösl

Zur Spielzeit 2019-2020 wechselte sie ins Ensemble des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, gab dort ihr Debüt als Pamina und übernahm als Gretel in Humperdincks Märchenoper, als Susanna in Le nozze di Figaro und als Sophie in Massenets Werther weitere Rollen des lyrischen Fachs.

Für die internationale Karriere, mit der ich bald gerechnet hatte, waren die pandemiebedingten Reisebeschränkungen nicht förderlich. Immerhin konnte sie im Juni 2021 an der Pariser Oper die Servilia in La clemenza di Tito darstellen und ist dort für Feb./März 2022 als Zerlina in Don Giovanni angekündigt. An der Bayerischen Staatsoper hat sie schon gezeigt, dass ihre schöne lyrische Sopranstimme auch in großen und akustisch eher undankbaren Sälen sehr gut und mühelos bis in die hintersten Reihen trägt. Mit 26 Jahren kann sie sich gute Chancen ausrechnen, dass sich ihr bald die Welt öffnet und viele interessante Engagements an erstklassigen Opernhäusern angeboten werden. Ich denke, wir werden es bald erleben!

Anna El-Khashem (23 Jahre) singt „Solitudini amiche… / Zeffiretti lusinghieri“ aus Idomeneo; 1. Preis Neue Stimmen (2019)

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Offizielle Webseite

Anna El-Khashem in Wikipedia

Lorenz Kerscher, 13. Januar 2022, für
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Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

Rising Stars 22: Andrea Battistoni, Dirigent und Komponist – der Power-Feingeist

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