„Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“ – Musik und Künstler verbinden die Herzen in Pronstorf

Omer & Friends – Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals  Gut Pronstorf, Kuhstall, 23. August 2022

Foto: Omer Meir Wellber © Rouven Steinke

Gut Pronstorf, Kuhstall, 23. August 2022

Omer & Friends – Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals

Werke von Halvorsen, Dvořák, Mozart, Prokofieff, Jacob Reuven und Knut Guettler sowie Improvisationen

 Omer Meir Wellber, Klavier Akkordeon und Leitung


von Dr. Andreas Ströbl

Zwar war das Goethe-Zitat zu seiner Gedichtsammlung „Der West-östliche Divan“ nicht das Motto des Konzerts, es hätte aber unbedingt so lauten können. Was der diesjährige Portraitkünstler des SHMF, der israelische Dirigent und Musiker Omer Meir Wellber mit acht Musikerinnen und Musikern in Pronstorf nicht nur auf die Bühne brachte, sondern auch in die Herzen eines begeisterten Publikums sandte, war in der Tat eine große, liebevolle Botschaft des Miteinander von Ost und West, sowohl in den teils neu arrangierten Stücken als auch durch diejenigen, die sie spielten.

Im Vorfeld hatte er die Freundschaft als Motto seines Festivalsommers beschwören: „Es gibt keine Musikerin oder Musiker in meinen 14 Konzerten, mit der oder dem ich nicht befreundet bin.“ Dies wurde am Augustabend im geräumigen Kuhstall des Gutes Pronstorf, seit vielen Jahren ein beliebter Veranstaltungsort für Konzerte und den über die Region hinaus bekannten Weihnachtsmarkt, mehr als deutlich.

Seine Freunde sind in diesem Konzert Teodora und Anton Sorokow (Violine), Natalia Tchitch (Viola), Georgi Anichenko (Cello), Matteo Liuzzi (Kontrabass), Jacob Reuven (Mandoline), Alessio Vicario (Klarinette) und Ramin Yazdanpanah (Perkusssion und Didgeridoo). „Ich bin Omer“ – so unkompliziert und charmant stellte sich das sympathische Multitalent dem Publikum vor und dann warf er erst einmal das Programm um. Die spontan entworfene neue Abfolge ergab in der Tat mehr Sinn, außerdem gab es ein Stück, das zuvor nicht angekündigt worden war.

Foto: (c) Dr. Regina Ströbl

Die ersten beiden Musikstücke waren Johan Halvorsens Passacaglia nach dem 6. Satz aus Händels Cembalo-Suite Nr. 7 in g-Moll HWV 432 und Dvořáks Terzett C-Dur op. 74. Im Vergleich mit dem, was danach folgen sollte, geriet dieser erste Block fast brav, wenngleich gerade im letzten Satz des Dvořák-Terzetts die beiden Sorokows und Natalia Thitch mit hochkonzentriertem Spiel glänzten und sich energisch zum furiosen Finale hochschraubten.

Zu einem wahren Fest geriet Mozarts Konzert für Klavier und Orchester in A-Dur KV 414. Klang dieses oft aufgeführte Stück allein schon in den Originalpassagen ungemein beschwingt und leicht, so verwandelte sich das Konzert in der kammermusikalischen Fassung bei den Kadenz-Abschnitten zu einer wahren Jam Session mit orientalischen und jazzigen Versatzstücken, zudem völlig ungewöhnlichen Einsätzen von Didgerodoo und Schlagwerk von Ramin Yazdanpanah. Das urtümliche Blasinstrument dürfte das einzige sein, das man mit eingepusteten Konsonanten fast zum Sprechen bringen kann. „Mozart hätte seinen Spaß daran gehabt“, war sich Wellber sicher und wer über besondere spirituelle Fähigkeiten verfügte, konnte den Salzburger auf seiner Wolke aus süßem Nockerlschaum grinsen sehen.

Mit Spaß und Selbstironie spielten sich die Musiker die Bälle zu und legten grandiose Solo-Einlagen hin. Der aus Jazz-Clubs bekannte Zwischenapplaus war in diesem Falle zu verzeihen, zeigte er doch, wie ein Funke nach dem anderen ins Publikum übersprang und zahlreiche Begeisterungsfeuer entflammte.

Foto: (c) Dr. Regina Ströbl

Die „echten“ Passagen erhielten durch das geschmeidige Spiel mitunter einen lässigen Salon-Ton und fast ausnahmslos glitten die Improvisationen und frischen Überraschungen völlig harmonisch in die Originalpartitur hinüber. Reizvolle Dialoge beispielsweise zwischen Klavier und Mandoline unterstrichen das freundschaftliche Miteinander; das Konzept „Orient trifft Okzident“ ging nicht nur humorvoll und überzeugend auf, sondern ließ liebevolle Umarmungen entstehen.

Nach der Pause, in der man sich im weitläufigen Garten des Gutes mit Getränken stärken konnte, gab es Prokofieffs wundervolle „Ouvertüre“ über hebräische Themen op. 34. Dieses Stück bot sich wie selbstverständlich für diesen Abend an und bot dem Klarinettisten Alessio Vicario eine großartige Möglichkeit, seine Virtuosität unter Beweis zu stellen; sein Spiel bezauberte mit authentischer Leidenschaft, immer wieder begleitet von sanftem Lächeln. Das Stück verlangt geradezu nach klezmerhafter Freiheit und solch seelenvoller Interpretation.

Vicario, Alessio © Franco Lannino

Hinter diesem erstklassigen Musiker musste sich der Bassist Matteo Liuzzi nicht verstecken und zeigte mit Knut Guettlers Variationen über „Greensleeves“, was auf dem Kontrabaß alles möglich ist. Er ließ sein Instrument seufzen und brummen; man war erinnert an einen Großvater, der eine Geschichte erzählt, die die Enkel immer wieder hören wollen, weil es stets ein überraschendes, bislang nicht gehörtes Detail gibt.

Jacob Reuven setzte mit seiner Mandoline noch eins drauf, indem er eine eigene arabische Improvisation, genannt „Mactub“, was nach Angabe Wellbers soviel wie „arges Schicksal“ bedeutet, vorstellte. Diese faszinierende Verbindung von barocken und orientalischen Themen hätte auch „Bach in Bagdad“ heißen können, aber auch Flamenco-Zitate baute der mit einer unfassbaren Geschwindigkeit und Exaktheit spielende Virtuose ein. Hier waren in der Tat Orient und Okzident nicht mehr zu trennen und gingen eine liebevolle Einheit ein, frei nach Goethes folgenden Zeilen, „Sinnig zwischen beiden Welten sich zu wiegen lass‘ ich gelten“.

Dieses Miteinander wurde noch gesteigert in der Interpretation von Ernest Blochs musikalischem Gebet, „Bal Shem“. Yazdanpanahs Didgeridoo begann wie eine Hafensirene, um dann mit Obertönen zu spielen, ein ums andere Mal unterbrochen von hupenden und bellenden Akzenten. Völlig selbstverständlich bediente er nebenbei verschiedene Perkussionsinstrumente. Wellbers Klaviereinsatz schaffte eine zuerst befremdlich wirkende Spannung, ja Kluft, deren Vakuum aber rasch durch Reuvens Mandoline ausgefüllt wurde, mit flehendem Duktus und tiefster Innigkeit. Dieser Musiker entließ tatsächlich mit seinem Instrument ein Gebet in die Höhe und seufzte zwischendrin hörbar auf, weil er völlig eins mit Mandoline und Musik geworden war. An persönlichem Beifall war er danach gar nicht interessiert; es ging diesem Mann wirklich nur um die klanggewordene innige Anrufung.

Reuven, Jacob © Ruth Elia Luar

Zwei israelische Tänze beschlossen – für´s Erste – dieses schwungvolle Konzert und wer die Augen schloss, konnte sich an den Strand von Haifa versetzt fühlen, tanzend mit nackten Füßen im warmen Sand. Eine Variation eines dieser Tänze war die erste Zugabe. Dann schnappte sich Wellber sein Akkordeon und umrundete mit dem Mandolinisten Reuven das hingerissene Publikum in klanglicher Umarmung und vor allem mit vielen Späßen und freundschaftlichen Neckereien.

Mit Vittorio Montis berühmtem Csárdás brachten die Musiker noch einmal ungarisches Feuer in den Kuhstall, dessen Dielen vom Fußtrappeln beim brandenden Schlussapplaus dröhnten.

Wer wie Omer Meir Wellber solche Freunde hat, kann durch Musik und Liebenswürdigkeit die Welt tatsächlich ein bisschen besser machen.

Dr. Andreas Ströbl, 25. August 2022, für
klassik-begeistert.de und Klassik-begeistert.at

Omer Meir Wellber, Klavier, Akkordeon & Leitung
Anton Sorokow, Violine
Teodora Sorokow, Violine
Natalia Tchitch, Viola
Georgi Anichenko, Violoncello
Matteo Liuzzi, Kontrabass
Jacob Reuven, Mandoline
Alessio Vicario, Klarinette
Ramin Yazdanpanah, Perkussion

SOL GABETTA / BERTRAND CHAMAYOU Schleswig-Holstein Musik Festival Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 08. August 2022

Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals Lübeck, Musik- und Kongresshalle, 22. Juli 2022

Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals Plön, Nikolaikirche, 18. Juli 2022

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