Foto: Berliner Philharmoniker, Iván Fischer © Monika Rittershaus
Philharmonie, Großer Saal, 6. Oktober 2022
Richard Strauss
Der Rosenkavalier. Zweite Walzerfolge
Richard Strauss
Duett-Concertino F-Dur o. op. 147
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 1 D-Dur
Berliner Philharmoniker
Iván Fischer Dirigent
Wenzel Fuchs Klarinette
Stefan Schweigert Fagott
Donnerstag-Abend, kurz vor acht Uhr. Ein sonniger Herbsttag neigt sich dem Ende entgegen und schon beim Betreten der Philharmonie meint man, aus den letzten Einspielübungen der bereits positionierten Bassreihe das schwermütige „Frère Jacques“ Motiv aus Mahlers drittem Satz der 1. Sinfonie herauszuhören. So beginnt man zu sinnieren über das Programm, das sich dem Saisonschwerpunkt „Identitäten“ unterordnen soll und dafür musikalische Antworten bei zwei Komponisten sucht, deren Lebenswege sich mitten im Epochenübergang zur Moderne immer wieder kreuzten: Richard Strauss und Gustav Mahler.
Dann völlig unvermittelt werden die nahezu vollbesetzten Ränge der Philharmonie von den Trillern der Bläsergruppen aus ihrer frühherbstlichen Versunkenheit gerissen und mit der übersteigerten Fröhlichkeit von Richard Strauss’ zweiter Walzerfolge aus „Der Rosenkavalier“ konfrontiert. Frech und doch pathetisch aufgeladen wird diese Tafelmusik von den schwelgerischen und dabei rhythmisch noch nicht ganz punktgenauen Philharmonikern unter der Leitung von Iván Fischer, dem Chefdirigenten des Budapest Festival Orchestra, vorgetragen.
Nicht einmal zehn Minuten nach Erklingen der ersten Töne hat sich das Orchester bereits wieder verabschiedet: Umbau für Strauss’ Spätwerk, dem in seiner Besetzung deutlich dezimierten „Duett-Concertino“ für Klarinette und Fagott. Etwas durchbrochen wirkt hierdurch das Programm, woraufhin das irritierte Publikum die Arbeit des Notenwarts mit mehr Applaus belohnt als das zurückkehrende Orchester.
Wohltuend sanft fängt das Streicher-Sextett zu Beginn dieses Werkes die Unruhe im Saal auf. Die Solisten Wenzel Fuchs (Klarinette) und Stefan Schweigert (Fagott) aus den eigenen Reihen bilden den Gegenpunkt zum Streichorchester und der Harfe. Musikalisch und im Habitus kontrastieren sich diese beiden Musiker wunderbar. Auf der einen Seite Fuchs, akzentuierend und tänzelnd, und auf der anderen Schweigert, geerdet und ruhig. Im dritten Satz schließlich finden die beiden versöhnlich zusammen. Belohnt wird das begeisterte Publikum mit der Zugabe, dem Allegro der Sonata für Klarinette und Fagott von Francis Poulenc. Iván Fischer, von dem Zeitpunkt der Zugabe sichtlich überrascht, setzt sich kurzerhand auf den Bühnenrand und quittiert jede Dissonanz des modernen Werkes mit einem Lächeln.
Nach der Pause dann Mahlers erste Symphonie, die der damals gerade einmal 28-jährige Komponist innerhalb von nur sechs Wochen fertigstellte. Aus der Stille erwacht allmählich eine Kollage aus fragmentarisch aneinandergereihten und in ihrer Gegensätzlichkeit teils grotesk erscheinenden Elementen. Fischer nutzt, auswendig dirigierend, den Raum des fehlenden Notenpultes, um die plötzlichen Brüche und die Expressivität des Werkes farbenfroh und mit Körpereinsatz auszugestalten. Mit kindlicher Freude dirigiert er das Werk des Komponisten, zu dem er sich nach eigener Aussage auch aufgrund des jüdischen Hintergrundes besonders verbunden fühlt. Dynamisch werden eine Vielzahl an Ebenen übereinandergeschichtet und jede Instrumentengruppe höchst individuell herausgearbeitet. Fast schon überdeutlich werden die riesigen Kontraste dieses Werkes karikativ verstärkt: Die Klangwellen können sich dabei schon einmal druckförmig ausbreiten, die Tempi sind variabel gehalten, teils enorm in die Länge gedehnt, teils abrupt verkürzt. Schließlich folgt im letzten Satz die gelungene Hinführung auf das erlösende Finale, die Apotheose. Noch im Erklingen des letzten Tons begeisterte Bravo-Rufe aus dem Publikum.
Die Frage „Wer bin ich?“ beantworten die Philharmoniker im Namen von Richard Strauss mit dessen Hommagen an seine deutsch-österreichische Vergangenheit. Auch Mahlers 1. Sinfonie setzt sich mit den Ursprüngen des Komponisten auseinander und kombiniert Versatzstücke aus Kinderliedern, Klezmer-Klängen und Militärmusik.
Auf der Suche nach „Identität“ hebt das Programm durch die Auswahl der spätromantisch anmutenden Werke zweier zukunftsweisender Komponisten also besonders die regressiven Elemente hervor: die künstlerische Rückbesinnung auf die Herkunft.
Nikolai Röckrath, 9. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de un klassik-begeistert.at
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