Blomstedts Rückkehr aufs Podium

Berliner Philharmoniker, Herbert Blomstedt, Leitung  Philharmonie Berlin, 30. September 2022

Foto: © Monika Rittershaus

Herbert Blomstedt mit kraftvollen Schubert- und Beethoven-Interpretationen

Franz Schubert: Dritte Sinfonie

Ludwig van Beethoven: Siebte Sinfonie

Berliner Philharmoniker
Herbert Blomstedt, Dirigent

Philharmonie Berlin, 30. September


von Kirsten Liese

Es ist gerade ein Vierteljahr her, dass Herbert Blomstedt nach einem Beinbruch durch einen Sturz diverse Konzerte absagen musste. Andere Menschen in seinem hohen Alter wären vermutlich noch nicht fit, um wieder zu konzertieren, aber Blomstedt ist als der älteste gediente Dirigent ohnehin ein immer wieder an ein Wunder grenzender Sonderfall.

Dass der 95-Jährige nach seinem Unfall nun (noch) nicht im Stehen dirigiert, versteht sich wohl von selbst. Ein Hochstuhl für Kontrabässe, auf dem gewöhnlich andere ältere Kollegen thronen, um über das gesamte Orchester schauen zu können, sollte es in seinem Fall aber nicht sein. Blomstedt setzte sich zu seinen Streichern auf einem einfachen Stuhl auf Augenhöhe. Das passt zu seinem uneitlen Wesen und seinen Vorstellungen vom gemeinsamen Musizieren.

Noch wacklig auf den Beinen, ließ er sich bei seinem Konzert mit den Berliner Philharmonikern von deren Erstem Konzertmeister Noah Bendix-Balgley auf das Podium geleiten.

Seine körperliche Fragilität spiegelte sich aber mitnichten in seinen Interpretationen wider. Altersschwäche lässt sich der gebürtige Schwede nicht nachsagen. Im Gegenteil: Schuberts Dritte habe ich lange nicht mehr derart energisch und kraftstrotzend gehört, und das gepaart mit einer Schlankheit und Transparenz im Orchesterklang, die mich an Nikolaus Harnoncourt erinnerte. Insbesondere auch die Sforzati und Akzente tönten dabei von großer Kompaktheit.

Dazu muss Blomstedt allerdings weitaus weniger wirbeln als Harnoncourt, der oftmals mit dem gesamten Oberkörper im Einsatz war. Blomstedts Dirigierstil wird dagegen zunehmend minimalistischer, jedenfalls kam er ohne Taktstock mit kleinen, klaren, präzisen Zeichen aus.

Was besonders den Funken auf das Publikum überspringen ließ, war das nahezu kammermusikalische Musizieren in der zunächst verkleinerten Orchesterbesetzung beim Schubert, wo jeder genau auf den anderen hört.

Diese Qualitäten setzten sich in Beethovens Siebter fort, insbesondere bei den Solisten der Holzbläser, die ihre Dialoge im direkten Blickkontakt anstimmten. Albrecht Mayers ariose Gesänge auf seiner Oboe waren dabei wieder einmal eine Klasse für sich.

Wie beim Schubert lässt Blomstedt die Musik nach der langsamen Einleitung mit Frische nahezu explodieren, ohne sie jedoch zu überhetzen. Die gesanglichen und tänzerischen Motive können sich in aller Ruhe und Schönheit entfalten.

Kaum Zeit zum Luftholen lässt Blomstedt dem Publikum in der ausverkauften, bis auf den letzten Platz besetzten Philharmonie, zwischen dem ersten Satz, dem Vivace, und dem zweiten,  den er fast nahtlos anschließt.

So knisternd leise wie die Berliner zu Beginn dieses Trauermarschs den markanten Rhythmus des Hauptthemas anstimmen, verströmt er seine Melancholie mit einer klanglichen Elastizität, die ihn vor allzu bleierner Schwere bewahrt. Und wenn sich die Musik im weiteren Verlauf in dynamische Spitzen erhebt, prägt sie  ein feierlicher großer Ernst.

Das folgende Presto geht Blomstedt noch einmal hinreißend leichtfüßig an, bevor er den mit „con brio“ überschriebenen Finalsatz mit seinen vielen Sforzati  im Affenzahn abermals derart kraftstrotzend gestaltet wie ein Jungspund.

Sich eine solche Frische mit 95  zu bewahren- davon können andere wohl nur träumen. Und so endet der Abend in der Berliner Philharmonie mit großer Bewunderung für eine singuläre Leistung. Die Frage, warum ein so alter Mann noch seine Kunst ausüben muss, erübrigt sich in seinem Fall. Das Publikum macht seiner Begeisterung Luft, aber ohne Blomstedt überzustrapazieren. Ein zweites Mal kehrt er nach seinem Ersten Abgehen nicht auf die Mitte des Podiums zurück. Da bleibt er nur an der Tür am Künstlerausgang stehen und zeigt sich gerührt über den emphatischen Beifall.

Kirsten Liese, 1. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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NDR Elbphilharmonie Orchester, Herbert Blomstedt, Dirigent Elbphilharmonie, 17. Juni 2022

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