Die drei da Ponte-Opern Mozarts als Gesamtkunstwerk

„Herbst-Trilogie“ Mozart-da Ponte, Ravenna, 6.-7. November 2022

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Das Ravenna Festival brachte in seiner Herbst-Trilogie eine Koproduktion mit einem jungen Team

Es gibt noch ansprechende Operninszenierungen, zwar bedauerlicherweise immer seltener auf deutschen und österreichischen Bühnen, aber so doch zumindest in Italien und in historischen Barocktheatern. Im Schlosstheater Drottningholm inszenierte der französische Regisseur Ivan Alexandre 2015 erstmals Mozarts Le Nozze di Figaro  und in der Folge dann auch Don Giovanni und Così fan tutte. Die internationalen Koproduktionen waren 2017 auch als Einzelproduktionen im Schlosstheater Versailles zu sehen, bevor sie im Frühjahr dieses Jahres erstmals zyklisch in Barcelona und Bordeaux zur Aufführung gelangten. Bei allen diesen Aufführungen stand Mark Minkowski am Pult seines historischen Spezialensembles Les Musiciens du Louvre. Nun wanderte die Produktion als Zyklus zur „Herbst-Trilogie“ nach Ravenna, die Cristina Mazzavillani Muti 2012 als kleinere Schwester des mehrwöchigen sommerlichen Ravenna Festivals gründete. Jeweils drei Werke der italienischen Oper, meist von Verdi, stellt die „Herbst-Trilogie“ in einen Kontext. Den Mozart-da Ponte-Zyklus legte das Festival in die Hände junger Dirigenten aus der Talentschmiede Riccardo Mutis.

von Kirsten Liese

Giovanni Conti ist in diesem Dirigententrio der einzige Mann. Er dirigiert den Figaro mit einer beeindruckenden Präzision in den Ensembleszenen. Jedes Motiv ziseliert der erst 26-Jährige filigran aus, spritzig und an den entsprechenden Stellen auch melancholisch wirkt seine Einstudierung mit dem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini. Einzig die nervöse Unruhe an dem tollen Tag könnte sich noch stärker vermitteln.  Aber es tut gut, dass der aktuell in Mönchengladbach engagierte Conti die Musik nicht überhetzt. Es stehe bei Mozart alles, was die Psychologie der Figuren und ihrer Entwicklungen ausmache, in der Musik, sagt Conti. Und diese Einsicht bestimmt die Einstudierung des sehr reifen jungen Künstlers, der als Sohn eines Chordirigenten schon im Alter von 15 Jahren mit dem Dirigieren begann und nach seinen Studien, die ihn unter anderem auch nach Stuttgart führten, 2020 an Riccardo Mutis italienischer Opernakademie in Ravenna teilnahm.

Wie Conti kam es auch für Erina Yashima zur ersten Begegnung mit dem Maestro Muti in seiner italienischen Opernakademie. Die Deutsche mit japanischen Wurzeln nahm 2015 an der allerersten Akademie teil, in der Muti mit dem Nachwuchs an Verdis Falstaff arbeitete, und nahm ihn mit ihrer Begabung derart für sich ein, dass er sie zu seiner Assistentin beim Chicago Symphony machte. Mittlerweile ist Yashima zur Ersten Kapellmeisterin an der Komischen Oper Berlin aufgestiegen und damit unweigerlich die erfahrenste Dirigentin in der jüngsten Herbst-Trilogie.

Sie geht Don Giovanni  mit großer Verve an, versteht sich aber auch darauf, ohne historische Instrumente einen elastischen Klang auszuprägen. Noch in Momenten größter Dramatik bleibt er transparent.

Und weil das von Riccardo Muti 2004 gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, das sich ebenfalls ausschließlich aus jungen Musikerinnen und Musikern rekrutiert, die drei Mozartopern zum ersten Mal spielt, zeugt deren Spiel von einer Frische, die wohl mit routinierten Opernorchestern schwer zu erzielen ist.

Ivan Alexandres Inszenierung wirkt zwar als Theater-auf-dem-Theater nicht unbedingt originell, aber in mehrfacher Sicht wie zugeschnitten auf ein so junges Team: Das Geschehen geht Hand in Hand mit dem Libretto, die lebendige Personenregie lässt die Figuren zeitlos menschlich erscheinen, nichts lenkt von der Musik ab.  Auf der schlichten, fast leeren erhöhten Bretterbühne von Antoine Fontaine gibt es nur wenige Requisiten und viele Wandvorhänge,  die dazu dienen, den Raum zu erweitern oder zu begrenzen. Den Raum um die Bretterbühne herum nutzt der Regisseur aber auch geschickt, um die Grenzen zwischen Theaterwelt und Realität aufzubrechen wie es Mozart beabsichtigt haben soll.

Da sieht man die Sänger bisweilen an ihren Schminktischen, ist sich aber auch nie ganz sicher, wann sie die realen Darsteller, wann ausschließlich ihre Figuren sind. Eben diese Unsicherheit ist beabsichtigt, Wahrheit, Lüge, Illusion, alles das lässt sich bei Mozart nie so leicht voneinander trennen, sagt der Regisseur, der sich im Gespräch als ein subtiler Kenner von Mozarts Oeuvre erweist.

Besonders gefällt es mir, mit welchen bescheidenen Mitteln er die Sänger anleitet, ihre Szenen und Arien in aller Lebendigkeit zu durchleben, dies vor allem in Così fan tutte.  Da gestaltet Fiordiligi mit zwei Stühlen, die sie einander gegenüberstellt, ihre Arie Per pietà, ben mio, perdona  überzeugend als einen imaginären Dialog mit ihrem Liebsten. Und der geht auch dank zärtlichster, leuchtender, denkbar schönster Pianotöne der Sopranistin Ana Maria Labin tief ins Herz.

Wie sie empfiehlt sich Arianna Vendittelli  in Ravenna mit ihrem schlanken, leuchtenden Sopran als eine grandiose Susanna und eine nicht weniger überzeugende Donna Elvira. Beide zählen zu einem festen Sänger-Stamm der internationalen Koproduktion.

Unter den übrigen Frauenstimmen sei José Maria Lo Monaco als Dorabella hervorgehoben, ein Mezzosopran mit einem warmen, leuchtenden schönen Timbre, und Lea Desandre, ein Mezzo mit schlanker Stimmführung und die perfekte Besetzung für den Cherubino mit ihrer androgynen jugendlichen Erscheinung.

Unter den männlichen Stimmen gefiel mir besonders Christian Federici, der als Don Giovanni zwar eine Spur zu edel und – im Vergleich mit seinem Gegenspieler Leporello – zu wenig draufgängerisch erschien, dafür aber geradezu perfekt für die weise Figur des Don Alfonso. Agil und profund führt er seinen Bariton durch alle Register, und die Champagnerarie gelingt ihm fulminant fast wie auf einem Atemzug, ideal temperiert, spritzig, aber nicht überhetzt.

Allein der Kanadier Robert Gleadow (Figaro, Leporello) fiel mit seinem permanenten Overacting unschön aus dem homogenen  Ensemble heraus. Insbesondere Leporellos Registerarie, in der ihm so manche unschöne Sprechtöne unterkamen, wurde unter der Zurschaustellung seines halbnackten Körpers mit den handgeschriebenen Namen der Frauen seines Herrn auf seiner Haut zu einer etwas aufgeblasen affektierten Nummer. Da fragte man sich unweigerlich schon, wer in dieser Produktion nun eigentlich der Don Giovanni sei. Und doch geschah es nicht ganz unbeabsichtigt, dass Leporello in dieser Produktion zur Hauptfigur wurde, sehen ihn doch sowohl der Regisseur Alexandre als auch Dirigentin Yashima als eine solche an, dies schon aufgrund seines Bonus einer zweistrophigen Arie, die Mozart für seine Titelfigur nicht schrieb, und der Tatsache, dass Mozart diese Figur für den von ihm am meisten geschätzten Bariton seiner Zeit Francesco  Benucci schrieb.

 Im Hinblick auf die Erotik drängten sich ohnehin spannende Bezüge zwischen den drei Mozart-Opern auf, die sich in Einzelaufführungen nicht unweigerlich erschließen. Dies auch dank kleiner improvisatorischer Einlagen am Hammerklavier in den Überleitungen zwischen Rezitativen. So ist zum Beispiel Don Giovanni aus Sicht des Regisseurs der inzwischen erwachsen gewordene Cherubino aus dem Figaro. Beide sind äußerst begehrt bei den Frauen.

Am besten aufeinander abgestimmt seitens Musik und Szene wirkte in Ravenna der letzte Teil der Trilogie, Così fan tutte. Dies allein schon aufgrund der dem Theater nahen künstlichen Versuchsanordnung, mit der Don Alfonso als Drahtzieher die Treue der Heldinnen auf die Probe stellt.

Am Pult gab hier die brasilianische Dirigentin Tais Conte Renzetti ihr respektables Operndebüt.

Dass ihr Riccardo Muti noch ein paar Anregungen nach einer Orchesterprobe gab, spiegelt sich in der Premiere wieder: Das berühmte Terzett  Soave sia il vento tönte wunderbar versonnen und ließ ganz jene Farben aufschimmern, die man wohl mit dem Golf von Neapel assoziieren mag.

Mit solchen koloristischen, tiefgründigen, frischen Mozart-Interpretationen untermauert die Herbst-Trilogie in Ravenna ihre  große Bedeutung als Plattform für den Nachwuchs. Die Persönlichkeiten, die es braucht, um das künstlerische Erbe des genialen Mozart-Interpreten Muti zu sichern, lassen sich hier entdecken.

Beim Publikum scheint sich das mittlerweile auch herumgesprochen zu haben. Jeder vierte Zuschauer soll jedenfalls aus dem Ausland angereist sein, überwiegend aus Deutschland, Österreich und Holland.

Noch einmal ist der Zyklus in gleicher Besetzung und Einstudierung übrigens vom 25. bis 27. November in Salerno zu sehen sowie der Don Giovanni als Einzelaufführung am 11. und 13. November in Rimini.

Kirsten Liese, 8. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ravenna Festival, Rocca Brancaleone Ravenna, Italien, 12. Juli 2020

XXXI. Ravenna Festival, Eröffnung Riccardo Muti, Ravenna Festival

Riccardo Muti eröffnet das 31. Ravenna Festival klassik-begeistert.de

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