Daniel Barenboim © Peter Adamik
Kurz vor Weihnachten konzertierten die beiden Ausnahmekünstler noch einmal mit den Berliner Philharmonikern.
Das von zärtlicher Schönheit durchflutete Adagio ist dagegen ein einziges Gedicht, ungemein gesanglich, lyrisch und intim von La Argerich vorgetragen. Das finale Rondo bescherte mit seinem kecken synkopierten, eingängigen schlichten Thema noch einen charmanten Ohrwurm als Rausschmeißer.
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 2
Johannes Brahms:
Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Martha Argerich, Klavier
Daniel Barenboim, musikalische Leitung
Berliner Philharmoniker
Philharmonie Berlin, 20. Dezember 2023
von Kirsten Liese
Schon seit vielen Jahren konzertieren sie zusammen in den unterschiedlichsten Formationen, als Solistin und Dirigent, nebeneinander an einem Flügel oder an zwei Klavieren. In früheren Jahren führte er sie untergehakt auf das Podium und am Ende zum Beifall einmal im Kreis herum. Und wenn es um die Zugaben ging, war er, der Gentleman, die treibende Kraft.
Heute wirken Martha Argerich und Daniel Barenboim physisch gleichermaßen zerbrechlich, beim Auftritt ist keiner dem anderen mehr eine Stütze, sie nähert sich vorsichtig mit kleinen Schritten dem Flügel, er erklimmt ebenso behutsam seinen Stuhl auf dem Podest. Und ergreift am Ende doch immer noch rührend ihre Hand. Wie ein altes Ehepaar, könnte man denken, wie Philemon und Baucis.
Beim Musizieren entfachen die beiden argentinischen Ausnahmekünstler immer noch Faszination. Bei Barenboim geht sie von der großen Gelassenheit und Ruhe aus, die er von seinem Thron aus ausstrahlt, und von den sparsamen Zeichen, mit denen er dafür sorgt, dass Beethovens zweites Klavierkonzert, formal noch unüberhörbar an Mozart orientiert, vor einem dicklichen Klang verschont bleibt.
Ein mozärtlicher Ton zieht sich auch durch Martha Argerichs Interpretation, vor allem in aufwärts strebenden, leisen Skalen, in denen ihre Finger mit einer schier schmetterlingshaften Leichtigkeit über die Tasten huschen.
Nicht minder souverän trägt sie dem kräftigen, maskulinen Ton in den großen solistischen Passagen des Allegro con brio Rechnung, bis in kleinste Verästelungen hinein gibt die Löwin, wie die Pianistin in ihren jungen Jahren genannt wurde, ihren virtuosen Kaskaden Gewicht. Nur angelegentlich verliert sie ein wenig die Kontrolle über das ansonsten so vorzüglich beherrschte Flatterpedal, dann verschwimmen ein paar Tonketten impressionistisch im Pedalnebel.
Das von zärtlicher Schönheit durchflutete Adagio ist dagegen ein einziges Gedicht, ungemein gesanglich, lyrisch und intim von La Argerich vorgetragen. Das finale Rondo bescherte mit seinem kecken synkopierten, eingängigen schlichten Thema noch einen charmanten Ohrwurm als Rausschmeißer.
Als Zugabe folgte ein Schmankerl zu vier Händen, Franz Schuberts zauberhaftes Rondo in A-Dur, im moderaten Tempo vorgetragen, so dass die vielen kleinen Schnörkel in den Variationen des Themas bestens zur Geltung kamen. Die filigranen Girlanden im oberen Diskant spielte berührend zierlich Barenboim. Mit geschlossenen Augen hätte man indes kaum ausmachen können, wer oben und wer unten spielt, die beiden haben sich so aufeinander eingeschworen, dass sich ihre Stimmen aufs Homogenste miteinander verbinden.
In den ersten bewegten Satz von Brahms’ Dritter nach der Pause, ebenfalls ein Allegro con brio, steigt Barenboim stürmischer ein und überrascht mit einem durchaus flotten Tempo einige Musiker, die wohl dachten, es würde etwas langsamer zugehen. Aber blitzesschnell – während Barenboim sich auf seinem Dirigentenstuhl noch in die richtige Position bringt – hat sich alles zusammengeruckelt, die kleine fast unmerkliche Tempounsicherheit wurde schnell ausgebügelt.
Im Laufe des Satzes wird Barenboim wieder reduzierter in seinen Bewegungen, und das funktioniert gut, weil sich Dirigent und Orchester über viele Jahrzehnte der Zusammenarbeit ebenso aufeinander eingeschworen haben wie der Dirigent und seine Solistin.
Ein herrlich satter, süffiger Klang bestimmt diesen Brahms, in dem Barenboim weitgehend als Stichwortgeber fungiert, nur hier und da mal ein bisschen nachjustiert. So fällt es in dem Andante, das kammermusikalisch mit einem zärtlichen Dialog zwischen Klarinette und Fagott beginnt, richtig auf, wenn Barenboim einmal mit unmissverständlicher Geste den ersten Violinen bedeutet, deutlich leiser zu spielen.
Der zweite Satz mit der sanften Intimität der Holzbläser gelingt in der Interpretation dieser Sinfonie an diesem Abend überhaupt am besten. Da wird jedes Motiv fein ausziseliert, musizieren auch die Streicher wunderbar elastisch und filigran. Momente erfüllten Glücks.
Auf seine alten Tage dynamisiert Barenboim generell insgesamt leiser und wählt langsamere Tempi, was der Musik gut tut. Allein im Finalsatz, dem Allegro, tönen mir die Forteklänge bei allem Furor eine Spur zu herb.
Die Romantik in diesem Vortrag kam gleichwohl nicht zu kurz, Leidenschaft, Überschwang, ein Schuss Heiterkeit und Wehmut: Diese Sinfonie besaß alles, was Brahms ausmacht.
Dafür gibt es am Ende stehende Ovationen. Und dann folgt wie schon oft die hübsche kleine Barenboim Aftershow, wenn er aus dem ihm überreichten Blumenbukett mehrere Stängel einzeln herauszieht, um sie, ganz Gentleman, den Musikerinnen an den vorderen Pulten zu überreichen.
Wieder nach draußen entlassen, ließ sich – die wohlig-warme Musik noch im Herzen – die unwirtliche, nasskalte Winternacht gleich leichter verwinden. Es war genau das richtige Programm für einen Abend so kurz vor Weihnachten!
Kirsten Liese, 23. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Martha Argerich, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim Philharmonie Berlin, 8. September 2021
CD-Besprechung: „Ludwig van Beethoven: Unknown“ klassik-begeistert.de, 5. April 2023