Tschaikowskis Pique Dame in München: Asmik Grigorians Stimme ist das Lasso, das mein Inneres umfängt

Pjotr I. Tschaikowski, Pique Dame  Nationaltheater, München, 4. Februar 2024

Pique Dame 2024, A. Grigorian, B. Jovanovich © W. Hoesl

Pique Dame
Komponist   Pjotr I. Tschaikowski                                                                                          Libretto von Modest I. Tschaikowski nach der gleichnamigen Erzählung von Alexander S. Puschkin.

Musikalische Leitung   Aziz Shokhakimov

Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor

Kinderchor der Bayerischen Staatsoper

Nationaltheater, München, 4. Februar 2024

von Frank Heublein

An diesem Abend feiert diese Neuinszenierung von Pique Dame von Pjotr I. Tschaikowski im Nationaltheater in München Premiere.

Egal was Sie von dieser Inszenierung der Pique Dame halten. Egal wie gut Sie diese Pique Dame musikalisch empfinden – ich finde diesen Abend musikalisch exzellent auf allen Ebenen. Einmal mehr stelle ich fest, dass romantische Musik in mir eher Distanz als atemloses Folgen auslöst. Doch:

Asmik Grigorian als Lisa lässt diesen Abend einzigartig werden. Wenn Sie können, erleben sie diese Sängerin live in diesem Stück in München. Ich wünsche Ihnen, dass Asmik Grigorian diese perfekte Leistung abruft wie an diesem Abend.

Die Sopranstimme Grigorians ist klar. Kräftig. Sie singt jede Note mit exzellenter Spannung. Zuweilen spielt das Orchester mit vollem Wumms. Ihre Stimme durchdringt und überstrahlt selbst das Fortissimo des Orchesters völlig selbstverständlich. Differenziert, prononciert, verstände ich Russisch, verstände ich jedes Wort. Ihre Technik verheimlicht mir, wann sie atmet. Vielleicht muss sie gar nicht? Locker elegant gelingt ihr, die komponierte Dramatik Tschaikowskis stimmlich umzusetzen. Stimmfarben schillern. Ich hänge gänzlich fasziniert an ihrer Stimme. Eine Gesangsleistung vom anderen Stern. Brava!

Tenor Brandon Jovanovich als Hermann hat die undankbare Situation, beim Applaus als Letzter Sänger-Darsteller nach Asmik Grigorian vor das Publikum zu treten. Nach der Überirdischen fällt der Beifall im Vergleich ab. Die Partie des Hermann erfordert eine unglaubliche Energieleistung, ganz selten hat er Pause. Praktisch permanent muss er den verzweifelten Helden geben. Jovanovich meistert diese Rolle sehr gut. Im allerersten Bild forciert er in meinem Ohr an zwei, drei Stellen. Zwei Tschaikowski Brüder sind für Komposition und Libretto verantwortlich und schreiben dem Hermann einen permanenten Ausnahmezustand in die Rolle. Diese Energie der ständigen Verzweiflung bringt Brandon Jovanovich kraftvoll, spannungsgeladen und exzellent in allen Höhen und auf die lange Dauer dieser Oper hervorragend auf die Bühne.

Bariton Boris Pinkhasovich gibt den Fürst Jeletzki. Die Inszenierung schneidet die drei Opernakte in  sieben Teile. Der erste Teil ist überschrieben mit „Der Loser“.  Fürst Jeletzki präsentiert voller Stolz Lisa als seine Gattin. Seine Stimme hat große Präsenz. Ganz ohne Anstrengung zieht er mich in seinen stimmlichen Bann, seine ebenmäßige sonore Stimme umschmeichelt meine Ohren. Dunkel und gleichzeitig klar.

Mezzo Violeta Urmana singt im vierten Teil „Geister“ als Gräfin ihre Arie sphärisch voller wiederkehrender Erinnerungen und Vorahnungen. Feinfühlig, bedächtig, nachdenklich, kontrolliert stellt sie sich ihrem Schicksal. So zumindest empfinde ich den Gesang Violeta Urmanas. Die Gräfin ist für mich die unaufgeregteste Figur der Oper und zugleich das Mordopfer, welch ein Gegensatz zu all den orkanartig unter der Liebe Leidenden.

Mezzo Victoria Karkacheva hat als Polina ein Duett Lisa zu Beginn des zweiten Teils „Liebe mich oder töte mich“ (7. Szene des ersten Aktes). Da packt mich Pique Dame ein erstes Mal musikalisch tief im Innern an. Die beiden Stimmen harmonieren wunderschön: Grigorians klarer Powersopran und Karkacheva Mezzo im Vergleich leicht dunkler, wärmer, doch gleichermaßen energiegeladen wie Asmik Grigorian. Victoria Karkacheva ist Teil des Staatsopernensembles. Schön, dass diese Stimme eng ans Haus der Bayerischen Staatsoper gebunden ist.

Bariton Roman Burdenko hat im ersten Teil “Der Loser“ eine lange Arie als Tomski, in der er die Geschichte der Gräfin erzählt. Leicht und locker mit schönem Timbre. Die sehr gute Gesangsleistung lässt das Verzeihen leichter fallen. Durch die vielfache gesangliche Wiederholung der mich nervenden penetranten „Drei Karten“ / „tr’i karty“ des Librettos ziehe ich mich in die innere Ironie zurück. Holzhammerdramatik nach meiner Interpretation: Aufgepasst! Jedes Mal, wenn wir ab jetzt „tr’i karty“ erschallen lassen, wird es so was von dramatisch, keine Frage!

Pique Dame 2024, B. Jovanovich © W. Hoesl

Der Chor ist fulminant und drückt mich in den Sitz. Ein beeindruckendes Beispiel für die tosende Kraft ist der dritte Teil überschrieben mit „Der Schlüssel“. Alle Personen auf der Bühne sitzen auf einer Zuschauertribüne. Die Statik der inszenierten Szene gefällt mir nicht. Der Gegensatz, der sich ergibt aus dieser Statik zum gesanglichen Sturm, den der Chor entfaltet, das verstärkt meinen Eindruck der choralen Wucht.

So hat der Chor Szenen, die mir in den Ohren dröhnen. Das liegt nicht an der – stets hohen – Qualität des Chores, sondern daran, dass die Komposition an diesen Stellen Dramatik mit Fortissimo erzwingen will. Das ist ein Grund, dass ich zuweilen emotional aus der Musik falle. An diesen Stellen wirkt die romantische Komposition der Pique Dame auf mich gnadenlos überdramatisiert. Das erzeugt innerliche Distanz in mir.

Dirigent Aziz Shokhakimov leitet sicher und souverän durch die tobende Dramatik Tschaikowskis. Die spannungsgeladene Dynamik ist zuweilen atemlos überbordend. Das Bayerische Staatsorchester überdreht nie. Das Orchester gibt den Stimmen jederzeit den Raum, den sie brauchen, was bei dieser Komposition keineswegs selbstverständlich ist.

Die Inszenierung Benedict Andrews ist eher reduziert. Obwohl ich sie insgesamt eher gelungenen finde, bleiben die Schwächen stärker haften. Die Inszenierung hat Stellen, die mich aus der emotionalen Beziehung zum Stück reißen. Es gibt zwei Gesangsszenen, eine im ersten Teil „Der Loser“ und eine im letzten Teil „Das Spiel“. In diesen Szenen stehen fünf und sechs der Hauptstimmen am vorderen Bühnenrand und jeder singt für sich vor sich hin. Wo intendiert ist, die Komplexität der Gefühle herauszuarbeiten, bleibt das Bühnengeschehen hölzern flach.

An einigen Stellen finde ich seine inszenatorischen Bilder nicht glücklich gewählt. Was die emotionale Distanz zum Stück ebenfalls vergrößert. Das am stärksten im Gedächtnis haftende Beispiel: Warum fuchtelt im zweiten Teil „Liebe mich oder töte mich“ Hermann andauernd mit der Pistole herum, wenn er doch de Liebe Lisas erlangen will? Warum hält er sie an ihren Kopf? Dann drückt er die – für Menschen mit Genauigkeitssinn: entsicherte – Pistole Lisa in die Hand, die allerhand Körperteile Hermanns anvisiert: Kopf, Herz, Bauch (oder etwas darunter) und zum Schluss ab in den Mund! Als müsste entschieden werden, wo ansetzen. Da klinke ich mich emotional aus und falle in die innere Ironie.

Pique Dame 2024, V. Urmana, B. Jovanovich © W. Hoesl

Ein im Prinzip starkes Bild erzeugt Andrews in der Schlafzimmerszene, in der Hermann der Gräfin das Geheimnis der drei Gewinnerkarten entreißen will. Nur so richtig geht es mir inhaltlich nicht in den Sinn. Wer hat schon einen Teich? einen Pool? im Schlafzimmer stehen? Die Wasseroberfläche und all das, was in diesem Wasser passiert, spiegelt sich im dunklen Glas des großen runden schräg gestellten Dachfensters sehr effektvoll.

Die Inszenierung teilt die drei Akte in sieben Szenen, die durch bühnengroßflächige Videos von handelnden Figuren oder Portraits derselben eingeführt werden. 1. Der Loser, 2. Liebe mich oder töte mich, 3. Der Schlüssel, 4. Geister, 5. Drei Karten, 6. Die Brücke und 7. Das Spiel. Eine mich ansprechende Idee und klug dazu: denn etwaige Umbauarbeiten werden geschickt und „dramatischen Verlust“ in den Abend eingebaut.

Was bleibt mir von diesem Abend an ganz Besonderem? Asmik Grigorian hat mich als glühenden Fan gewonnen! Sie macht mir diesen Abend unvergesslich.

Frank Heublein, 05. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung

Inszenierung   Benedict Andrews
Bühne   Rufus Didwiszus
Kostüme   Victoria Behr
Licht   Jon Clark
Choreographie   Klevis Elmazaj
Chöre   Christoph Heil
Dramaturgie   Olaf Roth

Hermann   Brandon Jovanovich
Tomski   Roman Burdenko
Fürst Jeletzki   Boris Pinkhasovich
Tschekalinski   Kevin Conners
Surin   Bálint Szabó
Tschaplitzki   Tansel Akzeybek
Narumow   Nikita Volkov
Festordner   Aleksey Kursanov
Gräfin   Violeta Urmana
Lisa   Asmik Grigorian
Polina   Victoria Karkacheva
Gouvernante   Natalie Lewis
Mascha   Daria Proszek

Giacomo Puccini: Turandot Wiener Staatsoper, 10. Dezember 2023

Richard Strauss, Salome, Asmik Grigorian, Kent Nagano Staatsoper Hamburg, 29. Oktober 2023

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Asmik Grigorian, Matthias Goerne Elbphilharmonie, 22. März 2023

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