Staatsoper Hamburg, 29. Oktober 2023
Salome
Musik von Richard Strauss
Libretto von Richard Strauss nach Oscar Wilde
Asmik Grigorian als Salome in der Staatsoper Hamburg (© Monika Rittershaus)
Völlig unbeeindruckt von einer eher nichtsaussagenden Tcherniakov-Inszenierung beherrscht Asmik Grigorians Salome diese Strauss-Oper quasi im Alleingang und lässt sich zur unangefochtenen Siegerin des Abends feiern. Diese Sängerin braucht keine Regie, sie ist die Inszenierung! Buh-Rufe gab es vor allem für Kent Nagano und das Hamburger Staatsorchester.
Den Narraboth führte Grigorian wie auch den Herodes gnadenlos vor und servierte beide in einem köstlichen Lustspiel mit Grandezza ab. Ihr federleichter, fesselnder Sopran segelte sagenhaft auf den Strauss-Melodien wie eine Trapeztänzerin in schwindelerregenden Himmelshöhen, ehe sie sich in ihrem Schlussmonolog in lustvollen Jochanaan-Phantasien versank.
von Johannes Karl Fischer
Täuschen mich meine Sinne? Oder spielt da die neue Tcherniakov-Salome tatsächlich in derselben beige-gläsernen Luxuswohnung wie die Elektra von vor zwei Jahren? Scheinbar. Wo einst die Leichen Agamemnons und Klytämnestras beim Abendmahl saßen, will nun der Tetrarch Herodes sich von seiner Stieftochter amüsieren lassen. Am Tischkopf: Der hier freilaufende Prophet Jochanaan.
Per se ist ein Elektra-Salome Einheitsbühnenbild kein Problem. Aber man müsste damit mal was machen. Also regietechnisch. Die Musik kracht, der eisige Wind bläst todeslustig wie eine Prophezeiung der Prophetenköpfung. Auf dieser Bühne passiert: Nichts. Der vermeintlich ermordete Narraboth spaziert wie eine beleidigte Leberwurst aus den Glastüren von Herodes’ Penthouse-Wohnung. „Es muss etwas geschehen sein“, so heißt es in der Elektra. Das gilt auch für Salome!
Sorry, es fehlte einfach an allem. Statt aus den dunklen Tiefen einer Zisterne rezitierte Jochanaan seine Prophezeiungen vom Tischkopf der Herodeschen Salome-Amüsement-Feier. Der Prophet als Entertainer. Den für die Opernhandlung zentralen Konflikt zwischen Tetrarch und Prophet scheint Tcherniakov nicht zu kennen. Hätte man den Jochanaan vielleicht nicht wenigstens an seinen Stuhl fesseln können? Oder wieso haut er sonst nicht einfach ab?
Egal, genug über diese wenig aussagende Inszenierung geärgert. Kommen wir zum Gesang, welcher sich weitgehend völlig unbeeindruckt von der eher trostlosen Regie zu zeigen wusste. Quasi im Alleingang beherrschte Asmik Grigorian in der Titelrolle die Bühne. Den Narraboth führte sie wie auch den Herodes gnadenlos vor und servierte beide in einem köstlichen Lustspiel mit Grandezza ab. Ihr federleichter, fesselnder Sopran segelte sagenhaft auf den Strauss-Melodien wie eine Trapeztänzerin in schwindelerregenden Himmelshöhen, ehe sie sich in ihrem Schlussmonolog in lustvollen Jochanaan-Phantasien versank. Diese Sängerin braucht keine Regie, sie ist die Inszenierung!
Auch Kyle Ketelsens Jochanaan konnte ordentlich überzeugen. In seiner regietechnisch eher flach gehaltenen Rolle sang er wie ein starker Mann, der hätte das Zeug zu einem richtig verfluchenden Propheten! Salome begehrt ihn, doch mit kräftiger Stimme stemmte er sich gegen ihre Annäherungsversuche und tobte sich mächtig mir ihr auf der Bühne aus. Wahrscheinlich genau das, was die Prinzessin an ihm begehrt. Sein Gegenspieler, John Daszaks Herodes, konnte seine Rolle als aufdringlicher Gastgeber mit bösem, leicht nasalem Tenor ebenfalls bestens bewältigen. Der begehrt vieles, nur nicht seine Frau… was der wohl noch so für Leichen im Keller liegen hat?
Einzig Oleksiy Palchykovs Narraboth konnte da leider nicht ganz mithalten: So geriet ihm seine Partie stets etwas übereifrig mit übertrieben komischer und leicht gepresster Stimme. Seine angehimmelte Prinzessin hatte sein Herz scheinbar ziemlich erregt… oder zückt ihm etwa brennender Zauber ins Herz?
Violeta Urmana war eine Luxusbesetzung für die Herodias, so kommentierte sie mit mächtigem Mezzo stets das Verhalten ihres Mannes und ihrer Tochter. Auch die sehr zahlreichen Nebenrollen konnten in voller Pracht glänzen, von den zwei Nazarenern bis zu den fünf Juden. Ein volles Erfolgsrezept für einen musikalisch gelungenen Strauss-Abend, oder?
Moment, wir sind bei Richard Strauss, da fehlt doch noch was. Richtig: Das Orchester. Kent Nagano konnte an diesem Abend leider ebenso wenig überzeugen wie bei Salomes kleiner Opernschwester, Elektra. Beides muss packen, beides muss rasen. Sein Philharmonisches Staatsorchester spielte viele richtige Noten mit viel Kraft. Das war’s aber auch schon ungefähr. Die Kontrafagott-Soli klangen leider recht mutlos, die Jochanaan-Horn-Akkorde mehr rund als geröhrt. Als würde ein Auto mit 200 PS im Leerlauf über die Autobahn flitzen. Nagano müsste einfach mal einen Gang einlegen. Maximal den zweiten!
Entsprechend reagierte das Publikum – wieder mal – mit Buh-Rufen für das Staatsorchester. Leider verdient. Ob Ádám Fischer das besser hinkriegt? Der Holländer würde bei Autobahntempo 200 den ersten Gang gut vertragen…
Johannes Karl Fischer, 30. Oktober 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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