Schweitzers Klassikwelt 145: Welche Opern, Komponisten und Romane wir uns auf Reisen vergegenwärtigten

Schweitzers Klassikwelt 145: Welche Musik wir uns auf Reisen vergegenwärtigten  klassik-begeistert.de, 2. September 2025

Fotos © Lothar Schweitzer privat

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Stefan Maiwald gibt dem Strandleben in seinem Buch „Mein Leben am Strand“ den Vorzug, denn es hat gegenüber dem von Ort zu Ort ziehen etwas Meditatives an sich. Das von unsrer Terrasse in Grado an der Adria beobachtende „Fließen“ zu Fuß, auf dem Fahrrad, mit Kinderwägen und mit Hunden in beide Richtungen entbehrt der Hektik des gewohnten Stadtlebens. Noch intensiver erleben wir die Menschen in den Speisesälen von Hotels. Da fühlen wir uns manchmal in die vierte Szene des ersten Akts von Benjamin Brittens „Death in Venice“ versetzt, wo dem Schriftsteller Aschenbach eine polnische Familie und vor allem der Sohn Tadzio auffällt, der sich mit seinem Lebensschicksal verbindet.

Bleiben wir in Venedig. In unsrer Fantasie sehen wir den früheren Komponisten und späteren Dirigenten Giuseppe Sinopoli über die zahlreichen Brücken und durch die engen, unübersichtlichen Gassen der Sestieri dieser Stadt gehen, die vom Hallen der Diskussionen mit seinen Weggefährten erfüllt sind.

Typische venezianische Fußgängerbrücke

Aus seinen Schriften haben wir die Idee geboren, falls wir wieder einmal in seine Geburtsstadt kommen sollten, uns auf dem Stadtplan ein Ziel auszusuchen und dann, ohne nochmals in die Karte zu schauen, diesen Punkt zu erreichen, und sei es mit Ausdauer in einer Schneckenlinie. Wenn wir in Venedig an Marktständen vorbeigingen oder dort etwas aussuchten, stellten wir uns spontan vor, wie Vater Giovanni seinen Sohn Peppino anleitet genau die Qualität des Obstes und des Gemüses zu prüfen.

Marktstand auf einem der Kanäle Venedigs

Die Frage nach dem Geburtshaus war nicht ergiebig. Aus Ulrike Kienzles lesenswerter Biografie wissen wir, dass er in Giudecca geboren wurde. Wir dachten, am besten wir fragen in der Farmacia der Insel. Aber wir erhielten nur die vage Antwort: „Da qualche parte qui.“ („Irgendwo hier.“) Als Student verdiente sich Sinopoli an Sonntagen etwas Geld als Organist der Kirche San Stae (Sant’Eustachio) mit ihrem charakteristischen hellen Innenraum im Sestiere Santa Croce. Für das Instrument des Orgelbauers Gaetano Callido (1727-1813) konnte er sich begeistern.

Innenraum der Kirche San Stae

Ebenso gerne spielte er auf der alten Orgel der Kirche San Nicolò dei Mendicoli im Sestiere Dorsoduro. Eine wunderschöne Kirche!

Orgel der Chiesa San Nicolò dei Mendicoli

Am Campo Santo Stefano im Sestiere San Marco fühlten wir uns im Ristorante A Beccafico zuhause. Die zwei tunesischen Chefs luden uns einmal zu einem Spaziergang ein, um uns die nähere Umgebung, also ihre „Parrocchia“ zu zeigen. An den Hausmauern entdeckten wir als Grenzmarkierung „Parochia“ ohne Konsonantenverdoppelung. Dabei stießen wir auf das Conservatorio di Musica Benedetto Marcello im Palazzo Pisani.

Palazzo Pisani

Hier studierte Sinopoli Komposition, Orgel und Musiktheorie, bis er das Konservatorium im Streit mit seinem Kompositionslehrer wegen der seiner Meinung nach antiquierten Vermittlung des Stoffs mit der Bemerkung verließ, bald als Lehrer zurückzukommen. Was sich bewahrheitete.

Eine Welt für sich ist die Südsee mit ihren Inselgruppen. Da lässt sich leicht vergessen…

Atoll Maupiti

Wir wollten einen gefiederten Sänger vor die Kamera bringen. Doch kaum saß er auf einem nahen Ast, schon flog er behänd weiter. Erst auf dem Rückflug packte uns in Melbourne mit „Aida“ unsre Opernleidenschaft wieder.

Mit einer Reisegruppe in Syrien unterwegs fragte uns die Reiseleiterin am ersten Abend beim gemütlichen Zusammensein und gegenseitigen Kennenlernen, was uns zu dieser Reise bewogen hat. Zuerst genierten wir uns etwas, aber wie waren nicht die Einzigen, die Karl Mays erste sechs Bände als Anstoß angaben.

Karl May, (historischer) Band 2 und Schlucht bei Maalula

Unser Cousin in Deutschland gebar an einem unwirtlichen Wintertag die Idee, gemeinsam zu viert ein paar Tage in einem Leuchtturm einer kleinen Insel zu übernachten und zu beobachten, wie die Flut die Wellen immer näher bringt.

Blick auf die Nordsee von der ostfriesischen Insel Norderney

Meine Frau und ich erkundigten uns gleich am nächsten Tag in einem Reisebüro, doch schließlich meinte der Cousin, Träume sollten Träume bleiben, und zog zurück.

Als die Idee ausgesprochen wurde, dachten wir spontan an Peter Maxwell Davies’ Kammeroper „The Lighthouse“, die wir im Laufe der Jahre im Salzburger ORF-Studio (Salzburger Landestheater 1983), im Linzer Posthof (Landestheater Linz 1998) und im Wiener Semperdepot (Neue Oper Wien 2001) vorgeführt bekamen. Wir hätten bei unserem geplanten Leuchtturmabenteuer wohl nicht die Anspannung der drei Leuchtturmwärter der Oper erlebt. Aber vielleicht Regen, Nebel und Sturm hätten ein ähnliches Gefühl des Gefangenseins hervorgerufen.

Anlässlich eines Ausflugs mit Freunden in die 1997 zur schönsten historischen Stadt Tschechiens gewählte ostmährische Stadt Kroměříž machten wir einen Abstecher zu Leoš Janáčeks Geburtsort Hukvaldi (* 3.7.1854). Auch wenn er seinen Geburtsort mit zwölf Jahren verlassen musste, kam er ab den Neunzigerjahren regelmäßig nach Hukvaldy zu Besuch. 1921 erwarb er von der Witwe seines Bruders ein Haus und verbrachte hier fortan jedes Jahr mehrere Wochen. Später kaufte er noch ein Waldstück hinzu. Hukvaldy war bis zu seinem Lebensende 1928 einer der liebsten Orte des Komponisten, wo er vor allem Ruhe und Erholung suchte. Der Ortsname leitet sich vom deutschsprachigem „Hochwald“ ab.

Janáček-Denkmal in Hukvaldy zu Ehren der Uraufführung von „Das schlaue Füchslein“

Der Ausflug nach Policka war bewusst in das Städtchen, in dem Bohuslav Martinů seine Kindheit verbrachte. Wir verweisen auf Schweitzers Klassikwelt Nr. 10 vom 28.7. 2020. Der Komponist erreichte bis heute nicht die Popularität eines Smetana oder eines Dvořák. Staunend lernten wir im Bohuslav-Martinů-Zentrum, dass Martinů sechszehn Opern schrieb und zahlreiche Symphonien. Am leichtesten erobern seine Streichquartette die Konzertsäle. Wegen dieser Fülle gab es nur ein einziges Foto eines Szenenbilds seiner Oper „Julietta“ aus der Oper von Bratislava 1989, die das Surrealistische dieses Werks ahnen ließ, was wir bei den bisher besuchten Aufführungen im Bregenzer Festspielhaus und im Prager Národní divadlo vermissten.

Auf der samoanischen Südseeinsel Upolu waren wir zu einem Erholungsort unterwegs. Dort angekommen bot sich uns ein Bild der Verwüstung. Ein Orkan hat vor nicht so langer Zeit dort gewütet und dementsprechende Spuren hinterlassen. Nur zwei „Fales“ (typische samoanische Wohnhütten) waren im halbwegs bewohnbaren Zustand geblieben. Man hatte gar nicht mit unsrer Ankunft gerechnet.

Wir überlegten und entschieden uns zu bleiben. Als einzige Gäste, außer hin und wieder einem jungen Paar, das sich hierher verirrte, erlebten wir in dieser Wildromantik ein bisschen Robinson Crusoe-Atmosphäre. Rückblickend wollen wir diese Zeit nicht missen und forderten deshalb vom Reisebüro keine Entschädigung.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 2. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Schweitzers Klassikwelt 144: Profil einiger Sängerinnen und Sänger aufgrund ihrer Rollen

Schweitzers Klassikwelt 143: Gran Teatro La Fenice di Venezia klassik-begeistert.de, 5. August 2025

Schweitzers Klassikwelt 142: Heimweh nach Oper klassik-begeistert.de, 23. Juli 2025

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert