Mahlerfestival 2025, ©mahler-steinbach.at
„Das Licht leuchtet in der Finsternis“ – Das 9. Gustav Mahler Festival 2025 beglückt in Steinbach am Attersee
von Irene Heidemann
Ruhe vom Lärm der Welt haben, einfach nur Ruhe, Stille, Einsamkeit, um komponieren zu können, das erhoffte sich Gustav Mahler von seinem neu erbauten Komponierhäuschen, von ihm nach einem Kinderlied liebevoll „Schnützelputz Häusel“ genannt; dazu, dass er dort heutzutage eher wenig Freude hätte, später mehr.
Bereits 1893 hielt er sich mit seinen Geschwistern und seiner Vertrauten Natalie Bauer-Lechner zur Sommerfrische im Gasthof „Zum Höllengebirge“ in Steinbach am Attersee im Salzkammergut auf. Die nahegelegene Wiese direkt am Seeufer befand er für das Häuschen, gerade groß genug für einen Flügel samt Stuhl, als geeignet, beauftragte den Bau und komponierte im Sommer 1894 dort den letzten Satz seiner 2. Symphonie.
In den Ferienaufenthalten der beiden folgenden Jahren entstand hier mit der 3. Symphonie die musikgewordene Landschaft am Attersee in ihrer ganzen Vielfalt. „Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das habe ich alles schon wegkomponiert“, dämpfte Mahler Bruno Walters Begeisterung über den erhabenen Gebirgszug bei dessen Ankunft 1896 in Steinbach. Unüberwindliche Schwierigkeiten mit den neuen Pächtern des Gasthofes verhinderten jedoch die Fortführung der jährlichen Sommerfrische, Mahler kehrte nicht mehr dorthin zurück.
Natalie Bauer-Lechner berichtete später: „Als Mahler das letzte Mal (…) sein Häuschen, das ihm jahrelang alles Höchste umfasst, noch einmal da unten vor sich liegen sah, brach er – wie er mir später einmal gestand – in Tränen aus.“ Später in Maiernigg am Wörthersee und bei Toblach in Südtirol gebaute Komponierhäuschen belegen die Bedeutung einer solchen Exklave für Mahlers Schaffen.
Das Haus am Attersee durchlebte in der Folge andere Nutzungen, so als Waschküche, Schlachthaus und Sanitäranlage, irgendwie unwürdig, aber auch Glück, denn so blieb es erhalten. Ab 1980 unter Denkmalschutz stehend, wurde es zurückgebaut, renoviert und als Gedenkstätte eingerichtet.

Seit 2016 findet dort alljährlich (Corona-bedingt nicht 2020) im Juni das Gustav Mahler-Festival statt, das Konzerte, Vorträge, Diskussionen und Exkursionen zum jeweilig festgesetzten Thema bietet. Mahlers Enkeltochter Marina war schon da, ebenso Thomas Hampson oder auch Martin Haselböck. Vor allem aber können sich hier junge, hoffnungsvolle Künstlerinnen und Künstler auf dem Weg zu einer glänzenden Karriere präsentieren.
Dass Mahler beim Abschied von Steinbach in Tränen ausbrach, versteht jeder, der für die überwältigende Schönheit der Natur und die offene Freundlichkeit der Menschen dort empfänglich ist. Das Festival ist ein großes Familientreffen von ausgewiesenen Experten und Liebhabern Mahler’scher Musik, ein teils schon eingeschworener Verband treu über Jahre kommender Anhänger des Komponisten und der Art, wie er in Steinbach gefeiert wird.

Neulinge werden herzlich empfangen und gleich integriert. Über eine knappe Woche erstreckt sich das Fest und ist bei aller Entspanntheit perfekt organisiert. Dafür verantwortlich ist einerseits der Intendant Dr. Morten Solvik, international bekannter und anerkannter Mahlerexperte, der charmant und kompetent durch die Veranstaltungen und Konzerte führt, dabei immer und für jeden ansprechbar ist. Auch das gehört zur so besonderen Atmosphäre dieses Festivals, wo man mit den Gästen aus fern und nah schnell beim „du“ ist, denn man kommt gleich ins Gespräch, überall und mit allen – Mahler verbindet.
Dazu gehört aber auch die großartige Organisation durch den ortsansässigen Hotelier und Mahlerfreund, Mag. Georg Föttinger, der mit seinem superben Team für reibungslose Abläufe sorgt und der ebenfalls jederzeit von allen und wegen allem angesprochen werden kann. Zwischen den Programmpunkten bleibt Zeit, die Natur zu erkunden, im See zu baden, auf den Spuren von Sisi und Franzl durchs nahe Bad Ischl zu flanieren oder, dies als besonderer Tip, das Klimt-Zentrum in Schörfling zu besuchen.
Mahler war bei weitem nicht der einzige Künstler, den es um die Jahrhundertwende zur Sommerfrische an den Attersee zog. Gustav Klimt verbrachte viel Zeit an verschiedenen Orten rund um den See und schuf dort rauschhaft schöne Blumenbilder. Zudem gibt es dort die einzige Kopie der Skizze zum Stoclet-Fries, der Originalentwurf befindet sich im Wiener Museum für angewandte Kunst. Der Fries selbst im Brüsseler Palais Stoclet ist nicht öffentlich zugänglich. Wenn all dieses genossen ist, darf ein Glas vom ganz außergewöhnlichen Eiscafé auf der Hotelterrasse in Steinbach als krönender Abschluss nicht fehlen.

Das vielfältige Programm des Festivals 2025 unter dem Motto „Mahler und der Tod“ begann am 18. Juni mit dem sogenannten schwimmenden Künstlersalon, einer „Schiffahrt mit Moderation und Talk“. Kom.Rat. Mag. Doris Cuturi-Stern begrüßte bei der Fahrt über den Attersee vor der erhabenen Kulisse des Höllengebirges verschiedene Gäste, die mit ihren Beiträgen auf das Thema der kommenden Tage vom Werden und Vergehen einstimmten.
Am Abend folgte der Vortrag „Leben, Traum und Tod – Morbidität in der Kultur der Jahrhundertwende“ vom Kulturwissenschaftler und Mahlerkenner Dr. Andreas Ströbl, Lesern dieser Seiten als Rezensent gut bekannt. Im vollbesetzten Saal zeichnete er ein umfassendes Bild der Stimmung in Kunst und Kultur des Fin de Siècle und deren Auswirkungen auf Gustav Mahler. Wunderbar dargestellt wurde die Entwicklung aus der Spätromantik heraus in eine von Gold, Schwüle und todessehnsüchtiger Erotik überladenen Epoche. Künstler aller Richtungen waren fasziniert von Verfall und Dekadenz; Todessehnsucht galt als Lebensgefühl, während der größte Teil der Bevölkerung am Rande der Existenz und darunter sein Dasein fristen musste. Beispiele aus Musik (z.B. Schönberg, Zemlinsky, Schreker), Malerei (u.a. Klimt, Kubin, Munch) und Dichtung (Hoffmannsthal, Wedekind, Dehmel u.a.) führten die Verklärung dieser Zeitgeist-Bewegung eindrucksvoll vor.

Gustav Mahler, der von Schicksalsschlägen und furchtbaren Verlusten wahrlich nicht verschont blieb, liebte das Leben. Schmerz und Trauer verarbeitete er in seiner Musik, aber sein Wesen machte doch seine große Lebenslust aus. Schwimmen, Fahrradfahren, in der Natur spazieren gehen, bergsteigen, gesund essen, all das hielt Körper und Seele lange Zeit gesund. Und so endeten auch seine Kompositionen nicht in der Dunkelheit, sondern im „Lux lucet in tenebris“ – das Licht leuchtet in der Finsternis.
Die sich dem mit langanhaltendem Beifall bedachten Vortrag anschließende Diskussion brachte durch sehr persönliche Beiträge des Auditoriums das Thema Tod und Sterben sehr schnell ins Heute und offenbarte, wie immens der Gesprächsbedarf und wie hilfreich die Auseinandersetzung damit ist.
Am folgenden Tag wurde das Festival mit zahlreichen Ehrengästen feierlich eröffnet. Teil des Festes ist immer auch eine Ausstellung unter dem Jahresmotto in Form einer großen Schautafel im Komponierhäuschen, in diesem Jahr ebenfalls von Andreas Ströbl geschrieben und gestaltet. Sie umfasst Mahlers Leben und Wirken, das Thema Tod in seinem musikalischen Schaffen und seinen Weg, allen Entsetzlichkeiten irgendwie doch ein positives Ende abzutrotzen.

Davor, mit Blick auf den See, saßen die festlich gekleideten Teilnehmer, lauschten den Wortbeiträgen ebenso aufmerksam wie den musikalischen, leidenschaftlich vorgetragen vom Organisten und Pianisten Tobias Takacs auf Friedrich Guldas E-Piano. Reg.Rat Franz Kneißl moderierte die Veranstaltung und interviewte den Kurator Andreas Ströbl. Außer den einführenden Worten von Morten Solvik gab es Grußworte der Bürgermeisterin Nicole Eder und vom Landeshauptmann a.D., Dr. Josef Pühringer. Unter dem Eindruck des noch sehr präsenten, so grauenhaften Grazer Amoklaufes berührten die Ansprachen der beiden Letztgenannten und die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander ganz besonders.

Eine sehr bewegende Veranstaltung, wenn nicht… Auf alten Photos ist die weite, freie Wiese mit dem Komponierhäuschen am Uferrand zu sehen, Ruhe wollte Mahler haben, einfach Ruhe. Heute steht das Haus umringt von einem Campingplatz, der ebenso wie die zahlreichen Badestellen an diesem heißen Tag sehr gut besucht war. Und so wandelten beständig etliche illustre und mitunter illustrierte Badegäste aller Altersgruppen hinter dem Häuschen hin und her, gern auch mehrfach und langsam, teilweise die Badekleidung ihrer daraus längst entwachsenen Enkelkinder auftragend. Leben und leben lassen, das ist natürlich überhaupt gar keine Frage; dennoch wäre es vermutlich möglich und der Würde der Veranstaltung angemessen, künftig diesen wenige Meter breiten Abschnitt des Sees den zwei Stunden der Festivaleröffnung vorzubehalten.
Am Abend folgte unter dem Titel „Lux lucet in tenebris“ ein Konzert in der prächtigen Stadtpfarrkirche Bad Ischl. Die Dramaturgie des Abends führte von der Trauer über den Trost hin zum Licht, ganz im Sinne von Mahler. Die Ausführenden waren der Chorus sine nomine unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger sowie ein Streichquartett von Solistinnen
des 1. Frauenorchesters von Österreich.
„Mozartl! Mozartl!“, sollen die letzten Worte des sterbenden Mahlers gewesen sein und folglich begann der Abend mit der Streichquartettfassung (Bearbeitung Peter Lichtental) des Introitus aus Mozarts Requiem. Lucia Hall, Palmena Ivanova, Kinga Vass und Teodora Miteva spielten getragen, dennoch nicht schleppend, und voll sensibler Trauer, äußerst fein aufeinander abgestimmt. Im weiteren Verlauf des Abends begeisterten sie mit dem 2. Satz aus Franz Schuberts Streichquartett d-Moll, „Der Tod und das Mädchen“. Eine solch leidenschaftliche, geradezu mitreißend kämpferische Wiedergabe hat man wohl selten gehört, ein absoluter Höhepunkt des Konzerts, akustisch wie optisch. Gegen Ende erklang noch das „Notturno“, der 3. Satz aus dem 2. Streichquartett von Alexander Borodin, sahnig-gefühlig vom Cello eingeleitet, poetisch-verträumt von den anderen Stimmen aufgenommen.
Und so war die Wende von der Nacht zum Morgen, von der Trauer zum Licht spürbar vollzogen. Die virtuose Wiedergabe aller drei Stücke zeichnete dieses Quartett aus, gepaart mit völliger Harmonie und Wärme im Zusammenspiel; ein phantastisches Erlebnis.

Nicht weniger begeisternd waren die Auftritte des Chores. Gleich das erste Stück, Johann Ockeghems „Mort, tu as navré“ war ein im wahrsten Sinne unerhörtes Erlebnis. Damen und Herren standen getrennt jeweils im Kreis und entführten mit der Klage über den Tod des Komponisten Gilles Binchois rauschhaft hypnotisierend in wahrlich himmlische Sphären. „When David heard“ beschreibt den Moment, als König David vom Tod seines Sohnes Absalom erfährt. Seinen unsagbaren Schmerz fasste Thomas Weelkes in ergreifende Töne.
Hart an der Grenze hingegen ist die Verbindung des Adagiettos aus Mahlers 5. Symphonie mit dem Gedicht „Im Abendrot“ von Joseph von Eichendorff. Die Vertonung von Richard Strauss macht diese Fassung eigentlich obsolet. Ähnlich verhält es sich mit Samuel Barbers „Adagio for Strings“, allerdings erfolgte die Bearbeitung für Chor vom Komponisten selbst. Wahrlich tröstend und aufrichtend erklang dann sowohl „Komm, Trost der Welt, du stille Nacht“ von Hugo Wolf als auch Max Regers „Nachtlied“, op. 138, Nr. 3. Das offizielle Programm schloss mit dem „Lux aeterna“ eine Bearbeitung von John Cameron zu Edward Elgars „Nimrod“.
Der Chorus sine nomine unter Johannes Hiemetsberger sang alle diese Stücke in überwältigender Klarheit und Präzision. Das Verhältnis der einzelnen Stimmgruppen war absolut ausgewogen und gleichermaßen kraftvoll wie sanft. Beeindruckend die Homogenität des satten Chorklanges, darunter Soprane, die in den höchsten Höhen strahlten und leuchteten, gebettet auf einem wunderbar tragenden Fundament.
Wer da nicht getröstet wurde, muss aus Stein sein. Man mag nicht alle gesungenen Stücke mögen, aber die Darbietung war absolut begeisternd. Hier stimmte einfach alles, entsprechend kannte der Jubel am Ende für alle Beteiligten, Chor und Streichquartett, keine Grenzen. Der Chor bedankte sich mit einer Zugabe, „And the Swallow“ von Caroline Shaw. Das Leuchten am Ende der Finsternis hatte alle erreicht und spiegelte sich auf den Gesichtern der Zuhörer.
Irene Heidemann, 3. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Nachlese Teil 2 lesen Sie Freitag, 4. Juli 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.
Hör-CD Rezension: Mahler – Welt und Traum. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein