Finaler Triumph oder Weltuntergangschaos? Bei Beethoven und Schostakowitsch lässt sich beides heraushören

9. Philharmonisches Konzert „High Five“  Bremer Konzerthaus Die Glocke, 31. März 2025

Jean-Eflam Bavouzet/Bavouzet-4 July2016 © B Ealovega

Die hochgradige Spannung im Auditorium löst sich in befreienden Beifallsstürmen. Die währen zwar keine halbe Stunde (wie dereinst 1937 bei der Uraufführung anno), sind aber angesichts dieser wahrhaft überwältigenden Aufführung in jeder Hinsicht verdient.

9. Philharmonisches Konzert „High Five“

Fanny Hensel: Ouvertüre C-Dur
Ludwig van Beethoven:  Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Dmitrij Schostakowitsch:  Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 47


Jean-Efflam Bavouzet
  Klavier

Marko Letonja Dirigent
Bremer Philharmoniker

Bremer Konzerthaus Die Glocke, 31. März 2025

von Dr. Gerd Klingeberg

Richtig heroisch soll es angeblich werden bei diesem Konzert. Mit zwei Fünften: Beethovens Klavierkonzert und der entsprechenden Schostakowitsch-Sinfonie. Da scheint die Ouvertüre C-Dur von Fanny Hensel so gar nicht hineinzupassen mit ihrem lieblichen, geradezu feingeistig anmutenden Eingangspart. Nun ja, ist halt von einer Frau komponiert. Mochte man zumindest früher vielleicht gedacht haben.
Doch der beschauliche Anfang täuscht. Sogar ganz gewaltig. Der Klang verdichtet sich zunehmend, wird wuchtiger, dramatischer, beinahe schon beethovenesk sinfonisch, um schließlich in ein triumphales Finale einzumünden. Wow!

Für die Bremer Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Marko Letonja ist es alles andere als ein sanftes Einspielen; sie haben jeden einzelnen musikalischen Effekt bravourös inszeniert.

Also doch eine bestens passende, sehr gelungene Hinführung zu Beethovens pianistischem Meisterwerk, dem Klavierkonzert Nr. 5, das er seinem Verleger einstmals ausdrücklich als „Großes Konzert“ empfahl.

Zum Verständnis darf die damalige politische Situation nicht gänzlich außer Acht gelassen werden: Napoleon stand auf der Höhe seiner Macht, hatte halb Europa eingenommen. Beethoven hält auf seine eigene Weise dagegen, mit der Macht seiner Musik. Das spürt man schon in den energisch ausgeführten Eingangstakten, in denen sich Klavier und Orchester bereits auf Augenhöhe begegnen.

Das markante Thema, das den gesamten Satz durchzieht, wird vom Orchester emphatisch vorgebracht. Mit ungewöhnlich hartem Anschlag bei äußerst sparsamem Pedaleinsatz klinkt sich der französische Pianist Jean-Efflam Bavouzet ein in eine Interpretation von ausgesprochen kantiger Konturierung. Mit seinem kraftvollen Spiel hat der Pianist keinerlei Problem, sich selbst gegen ein Tutti-Fortissimo des Orchester zu behaupten. Wenn er sich streckenweise doch mal etwas zurücknimmt, dann hat es nicht den Anschein einer beginnenden Ruhephase, sondern als handele es sich um einen längst schon brodelnden Kessel, bei dem sich im nächsten Moment das Überdruckventil öffnen wird.

Marko Letonja, Generalmusikdirektor Bremer Philharmoniker © Caspar Sessler

Allerdings muss das Orchester mitunter höllisch aufpassen, um die gelegentlichen Rubatos des Solisten deckungsgleich auszuführen. Was unter Letonjas präziser Stabführung auch bestens gelingt.

Wie in einem anderen Film

Bei Satz 2 fühlt man sich wie in einem komplett anderen Film aus sordinierten Legato-Klangwolken des Orchesters. Anrührend schön! Bavouzet gestaltet hier auch deutlich zurückhaltender und feinfühliger als zuvor, aber niemals süßlich säuselnd; er bleibt seiner klaren Linie, seinem sehr präsenten, sehr präzisen Anschlag treu, lässt es höchst selten einfach mal so dahinfließen.

Der kompositorisch raffiniert angelegte Übergang zu Schlusssatz ist ein Erlebnis besonderer Art: Nach zögerlichem Start folgt eine Explosion ungeahnten Ausmaßes. Die zahllosen knallenden Läufe des Klaviers erinnern frappant an das nahezu ununterbrochen trommelnde Sperrfeuer eines Maschinengewehrs. In atemberaubendem Tempo strebt alles hin zum triumphalen Ende, das nach einer überraschenden, wie die Ruhe im Auge eines Orkans anmutenden Generalpause durch die alles überrennende Stretta markiert wird.

Und als wäre es für den agilen Pianisten noch nicht genug an wahnwitzig schnellen Fingerübungen, legt er mit nicht minder kraftvoll prasselndem Anschlag, als wolle er die Tastatur oder gleich den ganzen Flügel atomisieren, gleich noch zwei mitreißende Zugaben nach: ein Prélude und eine Toccata von Maurice Ravel.

Zwischen Melancholie und martialischem Marschgetöse

Nach dem schon über die Maßen packenden Beethoven ist eine weitere Steigerung kaum vorstellbar. Aber für Schostakowitsch haben Letonja und die Philharmoniker dennoch einiges in petto.

Sorgsam zelebrieren sie die düsteren Eingangstakte, erstellen ein zunächst eher unterschwellig beängstigendes, melancholisch gefärbtes Stimmungsbild höchster Intensität. Die dann einsetzenden schrillen Streicherattacken erinnern geradezu an Hitchcocks Psychothriller „Die Vögel“; martialisches Marschgetöse wird zum Zerrbild militaristischer Kampfeslust.

Auch hierbei ist die Kenntnis der persönlichen Hintergründe des Komponisten und der politischen Weltlage ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis und zur Interpretation des Werkes. Nur so lässt sich der ausgeprägte Sarkasmus etwa des polternd startenden, wie eine verhohnepipelnde Parodie folkloristischer Melodien anmutenden 2. Satzes Allegretto in Gänze nachvollziehen. Die von Letonja grandios präsentierte Kulisse eines bauerntheaterähnlichen, schrägen Volksfestamüsements ist dabei erheiternd und irritierend zugleich.

PHIL Orchester stehend © Caspar Sessler

Armageddonisches Weltuntergangsszenario

Bis hierher lässt sich – zumindest ansatzweise – die Sinfonie durchaus noch eher belustigend und fast schon hardrockig effektvoll wahrnehmen. Doch spätestens der hochemotionale 3. Satz Largo geht heftig an die Nieren: Streicher und Holzbläser formieren sich zu einem groß angelegten Requiem, einem elegischen Lamento, das alle polternden Töne ausschließt.

Die subtil vorgetragenen Klänge sind wie ein riesiges Leichentuch, über dem feine Harfentöne wie fahle Grablichter leuchten. Die expressiven Solopartien verschiedener Instrumente und der zwischenzeitliche ungebärdige Tutti-Aufschrei formen sich zum gigantischen Epos seelischer und körperlicher Tragik. Die zarten Harmonien des Schlussakkords lassen Hoffnung keimen. Oder ist es eher Resignation? Das bleibt offen.

Dies näher zu analysieren, bleibt ohnehin keine Zeit. Denn die brutalen Marschrhythmen, das vernichtend grollende Tohuwabohu aus markerschütterndem Blech und ohrenbetäubend scharfen  Streichertönen im Finalsatz Allegro lässt jegliche Nachdenklichkeit weit in den Hintergrund treten bei diesem so genial vom Orchester generierten armageddonischen Weltuntergangsszenario. Ist bei der unvermutet einsetzenden romantischen Blechbläsermelodie, den fast schon mystischen Streicherklängen alles wieder gut? Mitnichten! Noch einmal schwingt sich das riesige Ensemble auf zu einem gleißenden Fortissimo, zu Mark und Bein erschütternden Einsätzen, die erst in titanisch monströsen Schlussakkorden ihr Ende finden.

Triumph oder Untergangschaos? Das bleibt angesichts der Doppeldeutigkeit der Komposition erneut offen…

Die hochgradige Spannung im Auditorium löst sich in befreienden Beifallsstürmen. Die währen zwar keine halbe Stunde (wie dereinst 1937 bei der Uraufführung anno), sind aber angesichts dieser wahrhaft überwältigenden Aufführung in jeder Hinsicht verdient.

Dr. Gerd Klingeberg, 1. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lantern-Light Melodies, Silke Aichhorn  Harfe Bremer Konzerthaus Die Glocke, 30. März 2025

Anastasia Kobekina Violoncello, Tarmo Peltokoski  Dirigent Bremer Konzerthaus Die Glocke, 28. März 2025

Marko Letonja Dirigent, Die Bremer Philharmoniker Bremer Konzerthaus Die Glocke, 18. November 2024

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