"Nabucco" in HH:
Bilder unseres rastlosen und ratlosen globalen Dorfes

Giuseppe Verdi, Nabucco,  Staatsoper Hamburg, 23. März 2019

Foto: © Brinkhoff/Mögenburg
Staatsoper Hamburg
, 23. März 2019
Giuseppe Verdi, Nabucco,
Libretto von Temistocle Solera

von Teresa Grodzinska

Dieser Abend lässt mich völlig ratlos zurück. So ging es wahrscheinlich auch zwei Drittel des Publikums. Der berühmte “schweigende Rest” sah sich bestätigt in der Annahme, dass Fremdes und Fremde an sich gefährlich, gewalttätig, schmutzig sind und völlig zurecht hinter Mauern und Weltmeere abgeschoben gehören.

Es ist eine Provokation, was uns Kirill Serebrennikov vor die Füße wirft: das echte Leid echter Menschen eingerahmt in süßliche Musik von Verdi aus dem 19. Jahrhundert. Platter Plot von Solera – Vater-Tochter-Konflikt, der sich an dem “unreinen” Blut der Tochter entzündet, Intrigen anderer Machtmenschen, Wahnsinn des Alleinherrschers. Realität geht anders. Aber wann bildet ein Opernabend die Realität ab?

Das war doch das Schöne… Schöne Menschen singen schön über ausgedachte Probleme, die wir nicht haben… abends in der Oper…

Die Dissonanz zwischen dem Flüchtlingsthema und dem Opern-Libretto ist genial. Wir erleben einen Abend, den wir seit 2015 glaubten aus unseren Wohnzimmern verbannen zu können. Mit der Fernbedienung votierten wir für “nicht meine Baustelle”. Serebrennikov lässt uns unsere Entscheidung nochmals vor Augen führen: Handeln so zivilisierte Menschen? Lassen unsere Bildung, Erziehung, unsere sozialen Normen so etwas zu? Wer sind wir, die auch AfD wählen, immer öfter?

Aus seiner 32 Quadratmeter großen Arrestzelle mitten im heutigen Babylon, schickt Serebrennikov eine Botschaft: So könnte es Euch ergehen, Leute. Eure Erste-Welt-Institutionen sind noch opernhafter als die Operngattung an sich und finden im leeren Raum der fernsehübertragenen Arien statt. Obacht! Der Nabucco naht.

Musikalisch versiert, wunderbar von allen Protagonisten gesungen – vor allem die Abigail von Oksana Dyka und der Zaccaria von Alexander Vinogradov -, lässt uns Serebrennikov in den bequemen Plüschsesseln immer wieder schaudern. Die riesengroßen Projektionen der  Photos von Sergey Ponomarev von Flucht, Vertreibung, Krieg und zerstörter Normalität in der Heimat kann man nicht mit der Fernbedienung abschalten. Sie bleiben in unseren Köpfen. Die Augen der Kinder, die Blutlache auf der Krankenhausliege, der verzweifelte Vater mit dem toten Säugling im Arm.

Im letzten Bühnenbild tragen die Geflüchteten goldene Ornate von assyrischen Priestern. Unterwegs in das gelobte Land – Europa – bekamen sie ab und an golden-silberne Kleider. Gegen Unterkühlung.

Danke, dass ich dieses Bild unseres rastlosen und ratlosen globalen Dorfes erleben durfte.

Teresa Grodzinska, 24. März 2019, für
klassik-begeistert.de

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