Foto: Westermann (c)
Staatsoper Hamburg, 24. März 2019
Giuseppe Verdi, Un Ballo in Maschera
von Dr. Holger Voigt
Es ist Frühling in Hamburg; die Sonne scheint, die Temperaturen steigen an, und die Oper beginnt schon um 16 Uhr. Italienische Leichtigkeit breitet sich aus – die „Italienischen Opernwochen“ an der Staatsoper Hamburg haben Halbzeit. Auf dem Programm steht Giuseppe Verdis 1859 uraufgeführte Oper „Un Ballo in Maschera“ („Ein Maskenball“) nach Antonio Sommas Text und Eugène Scribes Libretto. Das auf einer wahren historischen Tatsache – nämlich der Ermordung des schwedischen Königs Gustav III während eines Maskenballes in der Stockholmer Oper – beruhende Melodram ist für die Kunstform Oper geradezu wie geschaffen. Es enthält alles, was ein dramaturgisches Herz begehren könnte: Liebe, Freundschaft, Eifersucht, Vertrauen und Misstrauen, Vorsehung und Prophezeihung, Verschwörung, Mord und – als ob das alles noch nicht genug wäre – zum Schluss auch noch Vergebung: der tödlich getroffene König vergibt im Sterben seinem Mörder. Was für ein Drama!
Aber einen Königsmord auf die Opernbühne zu bringen, war für die Zensur nun wirklich zu viel. So musste die Handlung zensurbedingt in das ferne Nordamerika (nach Boston) verlegt werden, von wo sie glücklicherweise zwischenzeitlich wieder zurückgekehrt ist als echter „Schwedenkrimi“.
Wer nun geglaubt hätte, dass eine farbenfrohe und prächtige (Ball-gemäße) Inszenierung auf die Bühne gestellt würde, musste sich enttäuscht mit der Tatsache abfinden, dass die Inszenierung aus dem Jahr 2001 von Alexander Schulin (Bühnenbild: Richard Peduzzi) geradezu puristisch ausfiel. Eine schräg angeschnittene, unveränderliche Häuserschlucht – ohne jegliche Farben, nicht einmal in der Waldszene an der Hinrichtungsstätte (ein karger Holzplankensteg) oder später beim eigentlichen Maskenball. Das vermittelte nur noch Düsterkeit und Tristesse. Auch die Ballkostüme waren gerade eben einmal in schwarz und weiss gehalten. Zudem waren die Gesichter der Protagonisten kaum oder gar dezentrisch ausgeleuchtet – war das tatsächlich auch so beabsichtigt? Am hellsten war es erst beim Schlussapplaus.
Giuseppe Verdis Musik zum „Maskenballs“ entpuppt sich als wahres Feuerwerk genialer melodischer und dramaturgischer Einfälle. Sie reihen sich nahtlos aneinander, so dass niemals Längen entstehen. Er bedient sich geradezu leitmotivischer Techniken, die dem Publikum jederzeit signalisieren, ob die „Guten“ oder die „Bösen“ gerade dran sind.
Nur einige wenige gezupfte Violintöne am Beginn der recht kurzen Ouvertüre (oder sollte man „Vorspiel“ sagen?) reichen aus, um die Spannung aufzubauen. Daraus entwickelt sich das „Königsmotiv“, dem aber schon unmittelbar das „Verschwörermotiv“ geradezu auf dem Fuße folgt: Es „verfolgt“ den König bereits hier, und er ist dabei noch nicht einmal zu sehen. Der Vorhang geht auf, und mit dem Auftritt von Gustavo wird das Eingangsmotiv vom Chor aufgegriffen. Aber auch hier folgt unmittelbar das Motiv der Verschwörer, jetzt in den Chor eingebettet. Ein Mord inmitten scheinbar Vertrauter kündigt sich an. Viele historische Beispiele sind uns allen bekannt, in denen genau dasselbe passierte.
Verdis Musik im „Maskenball“ erweist sich als unglaublich vielfältig und abwechslungsreich – sie ist voller anrührender Melodien und spritziger Chorgesänge. Alle Solisten haben eigene „große“ Arien; daneben gibt es anrührende Duette, wunderbare Terzette neben hinreissenden Chorszenen. Offensichtlich schien Verdi eine ungebremste Komponierlaune gehabt zu haben. Ein Beispiel dafür ist die leitmotivische Einführung einer Sopran-Soubrette in der Figur des Pagen Oscar, der von Verdi wie ein szenischer „Verknüpfungsjoker“ durch die Handlung geführt wird (Wagner hatte im „Ring“ die Figur des „Loge“ eingeführt, der ganz ähnlich zwischen den Welten hin- und her oszillierte).
Die Rolle des Oscar wurde an diesem Abend von der aus Kirgisistan stammenden deutschen Sopranistin Katharina Konradi geradezu sensationell ausgestaltet. Ihre Stimme zeigte einen makellosen, hellen und hinreissend klangschönen Sopran, der leicht und spielerisch mit perfekter Phrasierung ohne jedwede Schwierigkeiten daherkam. Bewegung, Körpersprache, Choreografie waren grazil, elegant und übermütig zugleich. Es war eine wahre Freude, ihr zuzuhören und sie auf der Bühne zu beobachten – sie holte alles aus dieser Rolle heraus, einfach nur wunderbar! Weltklasse! Zurecht erhielt sie frenetischen Applaus für ihre Leistung (eine ihrer Gesangslehrerinnen war Julie Kaufmann, die ich in den 80er-Jahren ebenfalls als Oscar an der Hamburgischen Staatsoper bewundern durfte).
Die Stimme des mexikanischen Tenors Ramón Vargas als König Gustavo klang bereits am Anfang wie „tiefer gelegt“ und ausgesprochen ausdrucksarm. Die Höhen meisterte er, aber es klang nicht schön und klar; man hatte den Eindruck, er müsse dafür jeweils einen Anlauf nehmen. Im 2. Aufzug zeigte er aber Verbesserungen, besonders auch im Zusammenwirken mit Carmen Giannattasio als Amelia. Dann kam in der Pause die Ansage, dass er wegen einer Erkältung indisponiert sei, aber weiter singen würde. So, als hätte dieser Hinweis bereits therapeutische Wirkungen, konnte er bis zum Ende durchsingen. Danke, Respekt und gute Besserung! Allerdings verdeutlichen Auftritte aus letzter Zeit, dass Ramón Vargas seinen Zenit überschritten hat.
Die Personenregie setzte seiner Rollengestaltung leider einige Grenzen. Als König blieb er in dieser Darstellung ausgesprochen farblos und zu distanzlos. Auch die Neckereien und Zärtlichkeitsavancen zum Pagen Oscar – offenbar eine Anspielung auf die historisch berichtete bisexuelle Neigung des Königs – zeigten nicht gerade eine königliche Persönlichkeitsverfassung. Am Ende der Oper ist verwunderlich, dass der niedergestochene König urplötzlich wieder aufsteht und offenbar schmerzfrei sogar die Runde machen kann, bevor er dann endgültig zusammenbricht. Er singt seine letzten Töne also überwiegend im Stehen und Herumgehen. Aber das kann man natürlich Ramón Vargas nicht anlasten.
Die Prophezeihung der mystisch-okkulten Wahrsagerin hat sich mit dem Königsmord also erfüllt: Derjenige wird der Mörder sein, der dem König als erster die Hand gibt. Die Mezzosopranistin Judit Kutasi gab in der Rolle der Ulrica eine schaudererregend eindringliche Seherin, die mit okkulten Schicksalsmächten im Pakt steht. Sehr dämonisch klingend, kräftig und geradezu durchdringend klangschön kam ihre Prophezeihung mit der gewünschten Wirkung beim Publikum an. Verdienter Applaus für Stimme und Rollengestaltung! Das war internationale Klasse.
Der Erfüller der Prophezeihung ist Graf Anckarström, in der Oper „Renato“. Der Bariton Kartal Karagedik verfügt über eine mehr dramatische Stimmfarbe, der das primär warme Timbre zu fehlen scheint. Das ist aber ein Trugeindruck. Es geht schließlich um einen Eifersuchts-Mörder und Mitverschwörer – da denkt man nicht unbedingt an baritonale Herzenswärme. Deshalb gestaltete er diese Rolle auch sehr eindeutig nach dem voranschreitenden Handlungsduktus. Anfänglich klang seine Stimme etwas rauh, eng, unnatürlich und ausdrucksarm, doch glänzte er in „seiner“ Arie „Eri Tu Che Macchiavi Quell’anima…“ mit gewaltiger Stimm- und Ausdruckskraft, der nun auch baritonale Wärme beigefügt war. Großer Beifall mit vielen „Bravo“-Rufen.
Mit Carmen Giannattassio sang eine italienische Sopranistin die anspruchsvolle Partie der Amelia in einer atemberaubenden Expressivität und Klangschönheit. Ihre Sopranstimme ist in einem tieferen Bereich angesiedelt, ohne damit ein Mezzo zu sein. Sie phrasierte sprachdeutlich und meisterte jegliche Klippe der schwierigen Partie ohne Probleme (z.B. in „Ecco L’orrido Campo…“ und „Ahimè! S’appresa Alcun!“). Anrührend und sprachdeutlich im Piano und Pianissimo, was in der Staatsoper Hamburg oft schwer zu beurteilen ist, da es in diesen Momenten immer wieder Huster und Nieser gibt, die den Zauber des Momentes zerstören (dieses Mal war es ein Nieser). Ihre Rollengestaltung war – dem Regiekonzept entsprechend – eher statisch, kein Vergleich mit der Rolle des Oscar, der nur so über die Bühne wirbelte.
Ohnehin war das Regiekonzept hinsichtlich der Bewegungssprache der Protagonisten oft mehr als rätselhaft. So blieb der eigentliche Balltanz sehr statisch, wohingegen Oscar und Gustavo fast einen echten Walzer aufs Parkett legten. In einer anderen Szene begannen die Verschwörer sogar eine Art „Line-Dance“, der sehr komisch wirkte, aber nicht wirklich zu passen schien. Humoristisch ging es auch zu, als zwei der Verschwörer – Il Conte di Ribbing (Denes Velev) und Il Conte di Horn (Bruno Vargas) – sich mit Renato um die Modalitäten des Losverfahrens stritten. Sie sangen dabei sehr gut und klangschön und überzeugten in ihrer Rollengestaltung.
Das Philharmonische Staatsorchester unter der umsichtigen Leitung von Stefano Ranzani spielte mit italienischer Seele fehlerfrei und klangdynamisch. Die Solistenführung durch den Dirigenten war aufmerksam und behutsam. Eberhard Friedrich studierte das Werk wieder einmal blendend mit dem Chor der Hamburgischen Staatsoper ein. Großer Applaus für alle Mitwirkende für einen spannenden und klangberauschten Opernnachmittag.
Dr. Holger Voigt, 24. März, 2019, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: Stefano Ranzani
Chor: Eberhard Friedrich
Gustavo III: Ramón Vargas
Il Conte di Anckarström: Kartal Karagedik
Amelia: Carmen Giannattasio
Ulrica: Judit Kutasi
Oscar: Katharina Konradi
Christiano: Jóhann Kristinsson
Il Conte di Ribbing: Denis Velev
Il Conte di Horn: Bruno Vargas
Un Giudice: Hiroshi Amako
Un Servitore di Amelia: Jürgen Ohneiser
Chor: Chor der Hamburgischen Staatsoper
Orchester: Philharmonisches Staatsorchester Hamburg