"Fidelio": starke Bilder, so kurz vor der Europawahl allemal

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827), Fidelio,  Staatsoper Hamburg, 9. April 2019

Foto: © Arno Declair
Staatsoper Hamburg
, 9. April 2019
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827), Fidelio
Oper in zwei Aufzügen (1805/1814)
Text von J. Sonnleithner und G. F. Treitschke
nach einem Libretto von J. N. Bouilly

von Teresa Grodzinska 

Fidelio, ein Deckname der Leonora, kommt vom lateinischen “fides” – treu. Die treue Gattin gibt nicht auf, als Florestan, ein Freigeist und Revolutionär, im Kerker landet. Sie verkleidet sich als Mann und tritt in den Dienst von Rocco, dem Gefängnisdirektor, in der Hoffnung, ihren Gatten zu befreien. Sie spielt ihre Rolle so gut, dass Marzelline, die Tochter des Direktors, sich in Fidelio verliebt und sich mit dem Segen des Vaters schon ein Hochzeitskleid aussucht. Es kommt natürlich alles anders; ein Anschlag auf Florestan von Don Pizarro, dem Gouverneur, wird aufgedeckt, Florestan befreit, Pizarro bestraft.

Beethoven schrieb den ersten Entwurf 1804 – da stand Napoleon vor den Toren Wiens. Was für Polen Hoffnung auf Befreiung von österreichischer Besatzung bedeutete, war für Wiener ein Grund, statt die Oper zu besuchen, schnell aufs Land zu flüchten. Das Premierenpublikum im Theater an der Wien bestand hauptsächlich aus französischen Offizieren.

 1814 fand “Fidelio” – inzwischen von Georg Friedrich Treitschke kräftig gekürzt – seinen Weg auf die Bühne des Wiener Kärntnertortheaters. Diesmal war das heimische Publikum anwesend und begeistert. Das Ende des kleinen Kaisers (jetzt hieß er “der Tyrann”) – lag in greifbarer Nähe.

Die Hamburger Inszenierung wird erst verständlich, wenn man das obige weiß. Die Intrige trägt die Spuren der Kürzungen, und die Übersetzung aus dem Französischen ist streckenweise einem modernen Opernbesucher kaum noch zumutbar.

Wo liegen die Stärken dieser Inszenierung? Für mich eindeutig in den Bühnenbildern und in der musikalischen Präsenz des Chores. In diesen Momenten, wenn die Schubkästen mit den Gefängnisinsassen (einer davon nackt in Ketten, der Kopf mit schwarzem Tuch bedeckt, ein anderer an den Füßen aufgehängt) auf die Bühne gefahren werden, mitten in den gutbürgerlichen Salon des Gefängnisdirektors  – ist die Botschaft klar: die Geknechteten, die Mühseligen und Beladenen sind immer da. Wir tun nur so, als ob es sie nicht gäbe.

© Arno Declair

Das Chor – meisterhaft von Eberhard Friedrich vorbereitet – berührt zutiefst. Die verglaste Hinterbühne bildet ein Fenster zur Freiheit.  Der Chor der Gefangenen, der über Licht und frische Luft singt – einfachste menschliche Bedürfnisse – das ist großes Theater. Ähnlich die Schlussszene, als “das Volk” weiß gekleidet durch eben diese große Glaswand  nach vorne drängt, die Protagonisten der Intrige überschattend – das ist ein starkes Bild, so kurz vor der Europawahl allemal. Danke Intendant Georges Delnon (Inszenierung) und Kaspar Zwimpfer (Bühne).

Die Solisten haben es in dieser Oper nicht leicht. Beethovens einzige Oper war für den Meister der sinfonischen Musik eine Spielwiese mehrerer Gesangsarten. Von der Koloratur der Marzelline (sehr gelungenes Debüt von Katharina Konradi) über mehrere “Heldenarien” der Leonore (Simone Schneider, für mich zwar sehr laut, aber undifferenziert) bis zu den Rezitativen mehrerer Solisten, war alles dabei. 

Von den Herren wäre vor allem Rocco (Wilhelm Schwinghammer) zu nennen. Sein saftiger, müheloser Bass kam sehr gut in den Duetten mit Jochen Schmeckenbecher (Don Pizarro) zur Geltung. Eric Cutler als Florestan war an diesem Abend nicht bei Stimme. Ich habe seine anderen Rollen auf YouTube gehört – unüberhörbar besser. 

Das Publikum bedachte Herrn Cutler und Frau Schneider als wiedervereintes Ehe- und Liebespaar mit tosendem Applaus. Mehr Beifall bekam nur Kent Nagano – trotz einiger Rhythmus-Missverständnisse im ersten Akt. Mein Beifall galt vor allem dem Chor. 

Teresa Grodzinska, 10. April 2019, für
klassik-begeistert.de

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