(Wieder einmal) Unruhe in der Wiener Staatsoper vor dem 150-Jahres-Jubiläum

Umberto Giordano , Andrea Chénier,  Wiener Staatsoper, 24. Mai 2019

Stehplatzzuschauer ohne Manieren verleiden Opern-Fans Sternstunden mit Anna Netrebko

Foto: Yusif Eyvazov  und Anna Netrebko © Michael Pöhn
Wiener Staatsoper
, 24. Mai 2019
Umberto Giordano, Andrea Chénier

Eigentlich wäre hier über den göttergleichen Gesang der Sopranistin Anna Netrebko zu berichten gewesen, die am Freitagabend in Umberto Giordanos Oper „Andrea Chénier“ die Arie „La mamma morta“ so himmlisch schön und ergreifend sang, dass niemand, der an diesem Abend in der Wiener Staatsoper war, es je vergessen wird. Man könnte auch schreiben, dass Anna Netrebkos Ehemann Yusif Eyvazov (er sang den Andrea Chénier) von Jahr zu Jahr besser wird und mittlerweile ein respektabler Tenor mit teilweise bestechender Strahlkraft ist. Auch der veritable Bariton Luca Salsi hätte es verdient, erwähnt zu werden: Das Publikum schenkte ihm fast so viel Beifall wie der berühmtesten und besten Sängerin der Welt.

Als Herausgeber von klassik-begeistert.de möchte ich diesen Opern-Abend einmal kurz dazu hernehmen, um über die vollkommen unakzeptable Situation bei vielen Aufführungen des besten Opernhauses der Welt aufmerksam zu machen. Auch einen Tag vor dem 150-jährigen Jubiläum des Opernhauses am Ring – die heutige Wiener Staatsoper wurde am 25. Mai 1869 feierlich eröffnet –, also vor der hochkarätig besetzten Festpremiere von Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten am heutigen Samstag, kam es im Haus am Ring wieder einmal zu Unruhe und Tumulten.

Grund waren vor allem zahlreiche – nicht alle ! – Stehplatzbesucher aus aller Herren Länder, die für einen Stehplatz für 3 bis 4 Euro anstanden, und sich dann dem Preis entsprechend verhielten: Rüpelhaft, schwatzend, filmend. Am Freitagabend dauerten die Gespräche zwischen vielen Besuchern bis in die ersten zehn Minuten der Vorführung. Flaschen fielen um, Thermoskannen rollten herum. Ein Besucher erschien gleich mit einem Wanderrucksack im Balkon und drückte sein gut 70 Liter fassendes Rückenpolster zahlreichen Besuchern ins Gesicht.

Auch nach der Pause zum 2. Akt und zum 3. Akt kam es zu lauten Gesprächen, Menschen liefen immer wieder die Treppen rauf und runter, Handys fielen herunter, Flaschen kippten um.

Besucher filmten mit Handys, teilweise an Handy-Stangen. Viele Stehplatzareale, vor allem im Balkon, waren vollkommen überfüllt. Und da die Stehplatzbesucher größtenteils nicht ruhig standen, übertrug sich ihre Unruhe direkt auf die Sitzplätze, die teilweise nur einen halben Meter entfernt liegen…

Vor allem Besucher im Balkon und in der Galerie, die bis weit über 100 Euro für die Karten bezahlt hatten, wurden von den Stehplatzrüpeln immer wieder gestört. Zwischen vielen Besuchern war das despektierliche Verhalten vieler Billigplatzbesucher DAS Gesprächsthema in den Pausen.

Zum Vergleich: Die 567 Stehplätze erlösen pro Abend nicht einmal 2000 Euro. Nach Erfahrungen und Berechnungen von klassik-begeistert.de werden mindestens 800 Zuschauer von den Stehplatzbesuchern gestört – teilweise massiv. Sie geben mehr als 80.000 Euro für ihre Plätze aus.

Aber auch Besucher auf den Premiumplätzen (gestern bei 239 Euro) sowie auch zahlreiche Sänger, Dirigenten und Musiker berichten immer wieder von akustischen Beeinträchtigungen, die von Zuschauern im Haus am Ring ausgehen.

Liebe Anna Netrebko, Sie sind auch Österreicherin und die einflussreichste Sängerin der Welt (Sie haben 347.000 Likes bei Facebook, die Wiener Staatsoper nur 109.000): Bitte überzeugen Sie das renommierteste Opernhaus der Welt, dass es so nicht weitergeht! Denn wenn es so weitergeht, macht eine Minderheit, die weniger für einen Opernabend ausgibt als für einen Coffee to go, das ganze Flair, das Besondere, die Aura und die Bedeutung der Oper kaputt.

Das Personal der Staatsoper muss auch dringend wieder auf die Kleiderordnung achten, die im Foyer gut sichtbar aushängt. Lärmende, junge Frauen, die mit Flip Flops (!) in das Haus am Ring ziehen (und deren Geklapper noch während der Vorstellung zu hören ist), mögen diese am Donaukanal präsentieren. Wenn sie abends in Szene-Clubs und -Diskotheken ziehen, achten sie sicher auch deren Hausordnung.

Nachtrag, Quelle Wiener Zeitung:

„Die Staatsoper zieht ihre Stehplatzpreise in der nächsten Saison kräftig an. Was bisher – je nach Lage – drei oder vier Euro kostete, schlägt dann mit zehn Euro zu Buche. Auch die Stehplatzberechtigungskarte (SPBK) wird abgeschafft: Dieses Papier, limitiert auf 350 Stück, galt als ‚Wiens begehrtestes Theater-Abo‘, jedenfalls unter standfesten Fans.“

Andreas Schmidt, 25. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de

9 Gedanken zu „Umberto Giordano , Andrea Chénier,
Wiener Staatsoper, 24. Mai 2019“

  1. Dieser Kommentar spricht mir und vielen meiner „Staatsopernfreunde“ aus der Seele, bereits seit einigen Jahren bemerkten wir das Fehlen des Aufsichtspersonals , das früher immer wieder durch Kontrollen und Ermahnungen für Ruhe gesorgt hat. Anscheinend ist das Füllen des Hauses, egal mit wem, wichtiger. Und daß nach der Pause der halbe Stehplatz, zumindes auf der Galerie, leer ist ,… Manchmal verleidet mir dieser Umstand einen genussvollen Abend. Aber geben wir die Hoffnung nicht ganz auf, die Wiener Oper kann uns keiner nehmen, wir lieben sie unbedingt!!!

    Christine Kaintz

  2. Frau Netrebko wird es egal sein,wie es auf dem Stehplatz zugeht!
    Mir als Stehplatzlerin ist es das nicht. Es ist empörend, wie es zugeht, seit unwissende Touristen, die eine günstige Stehplatzkarte einer teuren Führung vorziehen, wahre Opernenthusiasten vom Stehplatz vertreiben!
    Zu einem großen Teil muss man die aktuell herrschenden Zustände dem Personal vorwerfen, das sich mitunter auch nach Beschwerden nicht um ein zivilisiertes Benehmen der Touristen kümmert.
    Als treue Besucherin wurde ich vor mittlerweile 40 Jahren am Stehplatz’erzogen‘. Billeteure kümmerten sich um den kleinsten Verstoß gegen die Hausordnung und die tradierten Vorschriften, wie man sich am Stehplatz zu benehmen hatte. Wie kann es sein, dass heute Rucksäcke und Thermosflaschen umfallen, die haben im Zuschauerraum nichts verloren!
    Heute wähle ich meine Besuche nicht nach Opern aus, sondern ich überlege, ob irgendwelche Ferien sind, denn dann fallen die Touristen ein, stören meinen Opernbesuch und ich bleibe lieber zuhause!
    Es ist eine Schande!
    Andrea Doleys

  3. „Liebe Anna Netrebko, Sie sind auch Österreicherin und die einflussreichste Sängerin der Welt “
    Irrtum!!! Sie ist Russin, hat auf ihrem Social Media am 9. Mai den „Tag des Sieges“ gefeiert. Von Österreich hat sie nur einen ihr 2006 geschenkten Pass (damals hatte sie nicht einmal einen Wohnsitz in Österreich; sie kann auch noch immer nicht die Landessprache) und eine Luxuswohnung in Wien (und NY; ist sie deshalb auch Amerikanerin?)…

    Waltraud Becker

    1. Weit gefehlt, nicht nur Danton fiel, auch eine Flasche. Ich hatte diesmal einen Sitzplatz, gleich vor den Galerie-Stehplätzen, und war fassungslos, als zwei Reihen vor mir plötzlich ALLE aufsprangen und gingen. Dann war aber Ruhe, wie zumeist bei Opern des 20. Jahrhunderts.

      Andrea Doleys

  4. Sie gehen wohl nicht sehr oft auf den Stehplatz, denn das geht seit Jahren so! Wenn sie heute, 26.5.2019, zu „Dantons Tod“ gehen, Beginn 16 uhr, passiert ihnen so was vielleicht nicht.

    Friedrich Krammer

  5. Die Klagen von Herrn Andreas Schmidt sind vollinhaltlich zu unterschreiben. Nur ein kleiner Trost, nacherzählt aus dem Buch „Herrscherin im Paradies der Teufel“ von Friederike Hausmann über Maria Carolina, Königin von Neapel, einer der Töchter Maria Theresias. Da wird von einer Opernaufführung im ehrwürdigen Gran Teatro di San Carlo berichtet. Im Parkett saßen Bürger und Volk essend. Ungeduldig wurde während der Rezitative auf die Arien gewartet. Vereinzelt verfolgten Zuschauer bei Kerzenlicht die Partitur.

  6. Samstag war wohl besonders arg – so viele Gäste auf der Kärtnerstraße, fast schon wie in Venedig. Am späten Nachmittag bin ich so gegen Uhr bei der Oper gewesen – eine auffallende, weil ungewöhlich lange Schlange vor dem Stehplatzschalter. Aber fast nur Touristen in freizügigster Stadtspaziergangsausrüstung, wie beschrieben in T-Shirts, mit Rucksack, Sandalen, Tennisschuhen, Trinkflachen. Beim Näherkommen habe ich festgestellt, dass sich einige nur anstellten, weil schon so viele Leute da standen und dann erst den Grund erklärt bekommen haben…
    Wahrscheinlich stehen die billigen Stehplatzmöglichkeiten in den Stadtführern – Europe for 10 Dollars a day oder so. Selbstverständlich sollte der Zugang zur Kultur preislich für alle möglich sein, aber spätestens, als die Tickets für die Führungen teurer als die Stehplatzkarten wurden, hätte reagiert werden müssen. Da hatte aber wohl der jeweiliege Direktor Angst vor schlechter Presse! Wobei diese Herrschaften ja selten bis gar nicht auf dem Stehplatz zu finden sind!
    Und dann vor der Oper wieder die Mozart-gewandeten Kartenverkäufer, die gutgläubigen Touristen hochpreisige, aber nicht hochwertige Klassikkonzerte anpreisen…
    U. Messer

  7. Lieber Andreas,

    als regelmäßiger Besucher des Stehplatzes möchte ich mich gerne zu Worte melden. Der Wiener Stehplatz ist eine Institution, die es ohne große Veränderungen beizubehalten gelten sollte! Gerade in einer Stadt, in der Tradition so tief verwurzelt ist.

    Es sind nicht immer die Touristen auf den Stehplätzen, die den großen Wirbel veranstalten. Es passiert natürlich, aber es ist nicht immer so. Die einheimischen Stehplatzler sind oftmals nicht besser. Mag es bei Hugo von Hofmannsthal zwar heißen „Ich will nicht zu Gericht sitzen über die Meinigen und kein Bluturteil sprechen“: Während des „Rings“ wurde ich regelmäßig von zwei einheimischen Egoisten gestört.

    Den größeren Wirbel jedoch veranstalten oftmals andere Besucher, die auch mehr als €4 berappen – Gäste auf den Galeriesitzplätzen. Während des „Ring des Nibelungen“ ist es zum Beispiel immer dieselbe Dame gewesen – während aller vier Opern –, die ständig ihre Hustenbonbons auspacken musste. Genauso versammeln sich die Tuberkulosekranken oftmals dort.

    Wollen wir denen auch das Recht verwehren, die Oper zu betreten? Oder dürfen die, weil sie zumindest das 10-fache bezahlen? Nach dem Motto: Wer zahlt, darf ungeniert wirbeln?

    Die Stehplatztouristen lassen natürlich gerne Handys fallen, Flaschen krachen, und selbstverständlich gehen die Smartphones an, wenn ein Placido Domingo oder eine Anna Netrebko die Bühne betritt. Das muss akzeptiert und geduldet werden, dessen kann kein Riegel vorgeschoben werden.

    Die neue Regelung, die ab der nächsten Saison in Kraft tritt, zieht möglicherweise Verbesserungen nach sich. Es gibt 567 Stehplätze in der Wiener Staatsoper. Ab der Saison 2019/20 wird das Karten-Kontingent aufgeteilt. Rund 470 gehen in den Vorverkauf, die restlichen 100 an die Abendkasse. Bleiben Karten des Vorverkaufs übrig, wandern die logischerweise an die Abendkasse.

    Die Kartenpreise im Vorverkauf bleiben gleich – 3 € Galerie und Balkon, 4 € im Stehplatzparterre. Zum Kauf berechtigt sind nur Personen, die im Besitz einer kostenlosen BundestheaterCard sind. Karten sind, wie bei den Sitzplatzkarten, ab 2 Monate vor Vorstellungsbeginn erwerbbar.

    An der Abendkasse zahlt man in Zukunft einen Einheitspreis von 10 €. Damit könnte die Bundestheater-Holding zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens sollen Touristen nicht mehr dazu animiert werden die günstigeren Stehplatzkarten den offiziellen Führungen vorzuziehen. Zweitens könnte der großen Wanderung, die sich regelmäßig während des 1. Akts einstellt, weil die Touristen genug gesehen haben und ihre Erinnerungsfotos geschossen haben, Einhalt geboten werden.

    Deine Rechnung, nur der Stehplatz wäre schuld am regelmäßigen Wirbel, scheint die gestrige Premierenproduktion der „Frau ohne Schatten“ zu widersprechen. Am Stehplatz versammelten sich – wie üblich – eine Menge an Touristen. Dennoch dürfte der gestrige Opernabend in puncto Ruhe in die Geschichte eingehen. Stille Nacht, heilige Nacht, schien das gestrige Motto des Publikums gewesen zu sein.

    Weshalb Ruhe geherrscht hat, lässt einige Annahmen zu. Vermutlich waren es die Bonzenpreise, man ist geneigt „Thielemann-Preise“ zu sagen. Da hat es sich der ein oder andere Tourist zweimal überlegt, ob er einen Ausflug in die Oper machen möchte – nicht der Stehplatztourist, der Galeriesitzplatztourist!

    Jürgen Pathy

  8. Mein Besuch am Wochenende galt denselben Vorstellungen, ich kann aber nicht von solchen Unruheherden berichten (obwohl ich mich auf Galerie-Seite befand), tatsächlich ist aber die seitliche Belegung der Stehplätze auf Balkon und Galerie problematisch, weil viele enttäuschten Hoffnungen, etwas von der Vorstellung auch zu sehen, für Unruhe beim Platzsuchen verantwortlich ist.
    Das kann aber eine Kleiderordnung auch nicht lösen, das wäre nur stures Durchsetzen von konservativen Ansichten.
    Wohl wird aber seitens der Billeteure zu wenig auf die Mitnahme der Rucksäcke geachtet, für die Mitnahme von Klein-und Kleinstkindern gibt es aber offenbar leider keine Verordnung.
    Bei vollständiger Auslastung des Kartenkontingentes verbleiben auf den Seitenteilen der Stehplätze auf Galerie und Balkon (schon durch den Wegfall von Stehplätzen durch Rollstuhlbelegung im Mittelteil) eine Menge Plätze für Besucher des Stehplatzes, die nur mehr an den Rückwänden Platz haben. Somit Sicht gleich Null oder nur auf den Mittelluster. Lösung: Reduzierung der Stehplatzzulassung, um weniger Gedränge an den Seitengeländern zu haben.
    Und für alles wird nicht gleich ein Billeteur zur Stelle sein: Der unmittelbare Nachbar einer Störquelle ist eigentlich gefordert, vor allem den Unfug mit den Handys während der Vorstellung einzustellen.
    Peter Skorepa

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