Getanzte Oper in München: Starregisseur Sidi Larbi Cherkaoui erklärt Glucks "Alceste" mit viel Körpersprache

Christoph Willibald Gluck, Alceste,  Bayerische Staatsoper München, 29. Mai 2019

Foto: Wilfried Hösl ©
Bayerische Staatsoper München
, 29. Mai 2019
Christoph Willibald Gluck, Alceste
Tragédie-opéra in drei Akten (1767 / 1776, Pariser Fassung)
Libretto von Marius-François-Louis Gand Lebland, Bailli Du Roullet nach Ranieri de’ Calzabigi.
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Getanzte Oper – Starregisseur Sidi Larbi Cherkaoui erklärt Glucks Alceste mit viel Körpersprache

von Barbara Hauter

Endlich mal ein heißes Thema für die Pause: Das Ballett, das der Regisseur Cherkaoui in seine „Alceste“ hinein choreografiert. Die einen finden es fantastisch, die anderen fühlen sich vom reinen Musikgenuss abgelenkt und empfinden die Tänzer als störend.

© Wilfried Hösl

Mir gefällt die Körperlichkeit, in die der Regisseur die Musik übersetzt. Die zwölf Tänzer der Compagnie Eastman aus Antwerpen wirken als Erweiterung des Chores, der wie in einem antiken Drama die Handlung erklärt. Schon die Ouvertüre wird körperlich sichtbar gemacht. Streng wie Säulen stehen die Tänzer auf der Bühne, gekleidet in elegantem Schlabberlook. Ihre Finger fächern sich auf bei den Trillern, und die Arme schlängeln sich bei den musikalischen Bögen – mit den tiefen Streichern bewegen sich auch die Beine, und schließlich kommen die Tänzer ganz in Bewegung, formen Kreise, umhüllen die Sänger. Das Ballett ist keine Dekoration, es ist Kern der Interpretation des Regisseurs.

Glucks „Alceste“ ist eine sogenannte Reformoper, ein Konzept, mit dem Gluck sich von der als zu theatralisch und überkünstlich empfundenen höfischen Musik absetzen wollte. Es geht um mehr Natürlichkeit, um echte Gefühle; die Musik  – und auch das Ballett – sollten in ihrem Dienst stehen und nicht Selbstzweck sein. Entsprechend emotional ist das Thema der „Alceste“: die große Liebe und Selbstaufopferung für den geliebten Menschen. König Admète, gesungen von Charles Castronovo, ist sterbenskrank, das Volk trauert. Es gibt nur einen Weg ihn zu retten: jemand muss sich für ihn opfern und statt seiner sterben. Königin Alceste, gegeben von Dorothea Röschmann, trifft diese schwere Entscheidung und will für ihren Mann in den Tod gehen. Doch der König kann und will ohne seine Frau nicht weiterleben und auch sterben. Als die Königin in den Hades hinabsteigen soll, schaltete sich Held Herkules ein, die Götter sind gerührt von Alcestes Selbstlosigkeit und am Ende steht ein Happy End: das Liebespaar darf gemeinsam weiterleben.

Das Leid, die Verzweiflung, die große Freude  – all diese großen Gefühle werden nur zum Teil von den Sängern wirklich transportiert. Charles Castronovos dunkler, samtiger Tenor strahlt viel Wärme und Wahrhaftigkeit aus, und die aus Flensburg stammende Sopranistin Dorothea Röschmann ist einfach beeindruckend, wenn sie in die Höhe sticht und wieder in die Tiefe fällt.  Aber oft stehen die beiden auf der von Ballett und Chor übervollen Bühne einfach nur statisch herum, die Tänzer übernehmen komplett den körperlichen Ausdruck der Emotionen.

© Wilfried Hösl

Die Verzweiflung an den Toren des Hades zum Beispiel: die Tänzer werden zu schwarzen Höllenhunden, auf riesigen Stelzen und vierfüßig erheben sie sich übermächtig und bedrückend über die Sänger, breiten ihre Arme aus und wirken wie Todesengel. Dass man es mit einer Oper zu tun hat, vergisst man fast in diesem Augenblick.

© Wilfried Hösl

An anderen Stellen klappt die Verzahnung zwischen Körperlichkeit und Klang: König Admète wird zum Stagediver, hoch über den Köpfen der Tänzer badet er den Glücksgefühlen seines Volkes. Besonders die Sopranistin Anna El-Kashem hat einen hochgefeierten Auftritt als Coryphee. Sie singt von einem Tänzer hoch gestemmt und auf den Kopf gestellt, ihre Stimme trotz dieser ungewöhnlichen  – und auch nicht wirklich szenisch schlüssigen – Position mit strahlender Kraft und Reinheit. Dass die großen Emotionen aber auch nur über Gesang funktionieren, zeigt die intime Szene zwischen König und Königin. Die beiden sind allein, es geht darum, wer nun sterben soll, und alles andere ist ausgeblendet, nur Röschmann und Castronovo sind an der Rampe. Ein sehr intensiver Moment.  Am Ende sind es aber vor allem die großen Bilder, die die Tänzer um die Sänger herum inszenieren, die im Kopf bleiben.

Barbara Hauter, 30. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Antonello Manacorda
Regie, Choreographie: Sidi Larbi Cherkaoui
Regie Mitarbeit: Marcos Darbyshire
Choreographische Assistenz: Václav Kuneš
Bühne: Henrik Ahr
Kostüme: Jan-Jan Van Essche
Licht: Michael Bauer
Chor: Sören Eckhoff
Dramaturgie: Benedikt Stampfli
Admète: Charles Castronovo
Alceste: Dorothea Röschmann
Ein Oberpriester des Apollon: Michael Nagy
Évandre: Manuel Günther
Ein Waffenherold: Sean Michael Plumb
Hercule: Michael Nagy
Coryphée(s): Noa Beinart, Anna El-Khashem, Frederic Jost, Caspar Singh
Apollon: Sean Michael Plumb
Das Orakel: Callum Thorpe
Ein Gott der Unterwelt: Callum Thorpe
Ballett: Tänzer der Compagnie Eastman, Antwerpen
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

 

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