Edita Gruberová in Kiel: Die Zuneigung des Publikums flutet eine respektable Abschiedsgala

Edita Gruberová, Peter Valentovič,  Schleswig-Holstein Musik Festival, Kieler Schloss, 23. Juli 2019

Foto: © Lukas Beck

Kiel, Schloss, 23. Juli 2019
Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF)

Farewell-Gala

Edita Gruberová, Sopran
Peter Valentovič, Klavier

Richard Strauss:
Die Georgine (op. 10 Nr. 4)
Efeu (op. 22 Nr. 3)
Mohnblumen (op. 22 Nr. 2)
Waldseligkeit (op. 49, No. 1)
Allerseelen (op. 10, No. 8)
Ständchen (op. 17, No. 2)
In goldener Fülle (op. 49, No. 2)
Zueignung (op. 10, No. 1)

Johann Strauss (Sohn): Frühlingsstimmen (op. 410)

Gioachino Rossini: Arie der Rosina „Una voce poco fa“ aus „Il barbiere di Siviglia“

Vincenzo Bellini: Arie der Beatrice „Ah, se un’urna ė a me concessa“ aus „Beatrice di Tenda“

Sergei Rachmaninoff: Improvisationen über Themen aus dem Klavierkonzert Nr. 2 (op. 18) und der Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43, bearbeitet von Peter Valentovič für Klavier

Ambroise Thomas: Wahnsinnsarie der Ophélie „À vos jeux, mes amis …Pâle et blonde dort sous l’eau profonde la Willis“ aus „Hamlet“

Zugaben:
Antonin Dvořák: Als die alte Mutter sang (op. 55, No. 4)
Carl Millöcker: „Ach, wir armen Primadonnen“, Lied der Harriet aus „Der arme Jonathan“
Johann Strauss (Sohn): „Mein Herr Marquis“, Lied der Adele aus „Die Fledermaus“

von Guido Marquardt

Edita Gruberová überließ an diesem Abend nichts dem Zufall. Verhalten und intim zu Beginn mit den Strauss-Liedern, kam sie mit ihrem Belcanto- und Operetten-Repertoire später richtig in Fahrt. Auch wenn die zauberische Mühelosigkeit früherer Tage an manchen Stellen doch einem Hören mit sozusagen freiem Blick auf die stark geforderte Apparatur gewichen ist: Hier steht immer noch eine Sopranistin auf der Bühne, die zarte Lyrismen und dramatische Höhepunkte transportiert. Das ist aller Ehren wert – und ihre Fans sind ohnehin begeistert.

Mehr als 50 Jahre auf der Opern- und Konzertbühne – das ist beeindruckend und fast ohne Beispiel. Und sozusagen die goldene Ringfassung für die Perle in der Auster ist es, wenn die Protagonistin es dann noch schafft, den irgendwann dann doch unvermeidlichen Abschied selbstbestimmt und im vollen Wortsinne vor allem selbstbewusst zu gestalten.

Soll heißen: Während es in der Musikgeschichte nur so wimmelt von Beispielen, in denen Opernstars mit dem falschen Repertoire, mit falschen Begleitmusikern, in grotesken Settings à la Playback-Gesang im Sportstadion oder eben schlicht zu spät abtreten, schaffen es nur ausreichend reflektierte und uneitle Menschen, mit Verve und Würde ihre Laufbahn abzuschließen.

Edita Gruberovás Liederabend in Kiel war ein Ereignis, das auch über den Punkt „ein Mal noch die Gruberová sehen“ hinaus eine künstlerische Relevanz zeigte und berührende Momente hervorbrachte.

Doch zunächst leise Verwunderung beim Blick ins Programmheft: Waren zuvor einfach „Schätze des Belcanto“ angekündigt, stand nun am Beginn des Abends ein recht umfangreicher Block aus Strauss-Liedern. Richard, wohlgemerkt. Es mag eben dieser Diskrepanz geschuldet sein und dazu der superlativen Erwartungshaltung des Publikums, verbunden mit dessen unbedingter Bereitschaft, hier einen Star noch mal richtig abzufeiern, dass in diesem ersten Konzertteil noch eher höflicher und respektvoller, aber keinesfalls enthusiastischer Beifall dominierte.

Das ändert aber nichts daran, dass Gruberová die Strauss-Lieder überwiegend mit delikater Finesse sang. Verhaltene Melancholie, angehauchte tiefere Register, ein sehr erzählerischer Interpretationsansatz, der das Sentiment so konzentrierte, dass es niemals forciert wirkte: Das war innige Sangeskunst, gerade bei den „dunkleren“ Stücken wie „Allerseelen“ und ganz besonders der „Waldseligkeit“. Spitzentöne waren hier noch rar, sie kamen zum ersten Mal im dritten Lied („Mohnblumen“) ganz am Schluss.

Die großen, aber nie vordergründigen Bögen, die in diesen Liedern angelegt sind, sie waren an diesem Abend für große Teile des Publikums vielleicht zu subtil. Leider aber auch für den Konzertsaal – bereits in Reihe 11 fühlte man sich wie hinter einer akustischen Zerstreuungslinse. Schade besonders um die hohen Pianissimo-Töne.

Nichts an Gruberovás Programm war, zufällig oder kompromisslerisch, die kontinuierliche Steigerung in der Dramatik klug und schlüssig aufgebaut. Um ihr Publikum nicht in nachdenklicher Melancholie in die Pause zu entlassen, wechselte sie kurzerhand von Richard zu Johann Strauss. Mit viel Schwung ließ sie die Lerchen und Nachtigallen in den „Frühlingsstimmen“ fliegen, die Triller wirkten mühelos und natürlich – große Begeisterung. Die Huldigungen, mit denen die Primadonna assoluta bereits empfangen wurde, flammten sofort wieder auf.

Nach der Pause ging es dann mit einschlägigem und unverzichtbarem Belcanto-Repertoire weiter. Die Arie der Rosina geriet in den Koloraturen vielleicht einen Tick schwerfällig. Gerade mit Blick auf die dahinterstehende Rolle war dies vielleicht doch ein Stück, das Gruberová auf den Prüfstand hätte stellen können. Der Beifall gab ihr freilich recht.

Die Arie der Beatrice dann zeigte prototypisch, was einer der Gründe dafür sein dürfte, dass Edita Gruberová überhaupt noch eine konzertant satisfaktionsfähige Stimme ihr eigen nennen kann: Sie singt nicht mehr aus dem Stand, ansatzlos ihre Spitzentöne, sondern quasi mit Anlauf. So aufgebaut, erreichte sie auch an diesem Abend immer noch erstaunliche Höhen, wenngleich am oberen Rand der Tessitur bzw. knapp darüber hinaus eine gewisse metallische Härte nicht zu leugnen war. Hier wich die Beweglichkeit dann auch zeitig einem stehenden Ton, den sie allerdings noch immer erstaunlich lange halten kann.

Vor knapp 15 Jahren justierte Gruberová ihre Stimme noch einmal neu. Mit Unterstützung einer neuen Gesangslehrerin schuf sie damit vermutlich die Basis dafür, ihre Karriere so lange fortsetzen zu können – und lieferte zugleich einen eindrucksvollen Beleg dafür, was Veränderungsbereitschaft und die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen wert sind.

Nach der Bellini-Arie brauchte der Star des Abends dann eine kleine Pause. Peter Valentovič konnte nun unter Beweis stellen, dass er nicht nur ein jederzeit souveräner Begleiter am Klavier, sondern ein echter Virtuose an den Tasten ist. Allerdings, viel mehr als ein „Showcase“ (um das böse Wort „Lückenfüller“ zu vermeiden) waren seine Rachmaninoff-Improvisationen an diesem Abend nicht. Die Aufnahmefähigkeit für solch ein Intermezzo war durch die Rahmenbedingungen kaum gegeben.

Die Wahnsinnsarie der Ophélie brachte Gruberová an ihre Grenzen. Trotz vieler gut gesetzter Akzente gelang es nicht hundertprozentig, die Spannung in dieser langen und monströsen Arie komplett zu halten. Gleichwohl faszinierend, wie daraus eine gewisse Brüchigkeit erwuchs, die gerade bei einem solchen Abschiedskonzert auch wieder ihre Schlüssigkeit besitzt.

Die Zugaben zeigten dann noch einmal ein breites Spektrum: Zart und melancholisch der Dvořák, überzeichnet und selbstironisch der Millöcker und schließlich komödiantisch mitreißend der Abschluss aus der „Fledermaus“, inklusive eines kleines Gesangscontras von Valentovič.

Natürlich gab es lang andauernden Applaus, nein: Ovationen, stehende. Sie dauerten zwar nicht 58 Minuten wie bei Gruberovás Abschied von der Opernbühne im März, aber die große Zuneigung und der enorme Respekt, der an diesem Abend mit den Händen zu greifen war, entluden sich hier noch einmal mit voller Wucht. Und sie taten dies mit Recht! Das war nicht in erster Linie der Beifall für ein intelligent aufgebautes und mit hoher Durchdringungstiefe interpretiertes, jedoch stimmlich nicht jederzeit überwältigendes Konzert – es war der Beifall für eine künstlerische Lebensleistung. Zbohom, pani Gruberová! Ďakujem.

Guido Marquardt, 24. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de

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