„La clemeza di Tito" im Theater an der Wien: Nicole Chevalier wird den hohen Erwartungen gerecht!

Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito Theater an der Wien, 19. Oktober 2019

Foto: Nicole Chevalier (Vitellia), David Hansen (Sesto),
Arnold Schoenberg Chor © Werner Kmetitsch
Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito
Theater an der Wien, 19. Oktober 2019

von Jürgen Pathy

Ein Sylvester-Feuerwerk der Extraklasse hätte es werden können: „La clemenza di Tito, Mozarts letzte Oper und Rückkehr zur damals bereits aus der Mode geratenen opera seria im Theater an der Wien. Mit seinen elf Arien und ebenso vielen Ensemble-Nummern bietet dieses 1791 uraufgeführte Meisterwerk mehr als genügend Zündstoff. Vom Duett der beiden Protagonisten Sesto und Vitellia gleich zu Beginn über die feurigen Bekundungen des Titus bis hin zu den herrlichen Arien des Sesto, ein Mozart‘ scher Erguss schöner als der andere.

Sam Brown, der 2011 mit dem Grazer Ring Award ausgezeichnet wurde, inszeniert Mozarts Huldigung an den böhmischen Kaiser im Spiegelkabinett der Träume. In dieser opera seria, basierend auf Pietro Metastasios Libretto, lenkt Brown den Focus ganz klar und geschickt auf die Charakterstudie der Hauptprotagonisten. „La clemenza di Tito“, zu deutsch die Milde des Titus, wird hier ebenso deutlich sichtbar, wie dessen Liebe zu Sesto oder die Rachegelüste und Perfidie der Vitellia, die sich des Jünglings sexuell bemächtigt und ihn zum Sturz des Kaisers ermutigt. Trotz drehender Bühne und einiger Multimedia-Projektionen lenkt in dieser Inszenierung kaum etwas vom Wesentlichen ab – der Musik und dem Gesang! Nur die Gebärfreudigkeit des römischen Volks, das in einem Anflug von Summer of Love plötzlich die Geburtenrate in die Höhe schnellen lässt, verwirrt ein wenig. Den Sängern wird jedoch ausreichend Platz und Raum geboten, um sich künstlerisch zur Gänze entfalten zu können.

David Hansen (Sesto), Kangmin Justin Kim (Annio) © Werner Kmetitsch

Ganz dem Brauch der opera seria entsprechend, bei der bis ins 18. Jahrhundert noch regelmäßig Kastraten zum Einsatz kamen, besetzt Sam Brown gleich zwei Partien mit Countertenören. In die Haut des Sesto schlüpft der Australier David Hansen, in die des Annio der in Südkorea geborene Kangmin Justin Kim. Während Kims ungemein klarer Knabensopran, der bei geschlossenen Augen zweifelsohne auch als Frauenstimme durchgehen würde, von Beginn an zündet, verschießt Hansen anfangs erstmal Blend– und Rauchgranaten. Die Stimme des hochgepriesenen Falsett-Akrobaten klingt vorerst gepresst, rauchig und mit zu viel Gewalt geführt, um als Sesto eindrucksvoll in Erscheinung zu treten. Erst mit Ende des ersten Aktes, als der Kaiser bereits tot geglaubt ist und das Kapitol in Flammen steht, erwacht dieser Jüngling zu voller Knabenpracht. Höhensicher, klar, teils sogar hochdramatisch singt Hansen seine große Partie letztendlich versöhnlich zu Ende

Von Anbeginn hingegen äußerst wach, klar und dominant, präsentiert sich Nicole Chevalier. Was die Amerikanerin mit französischem Namen und wohnhaft in Deutschland aus der Partie der Vitellia hervorzulocken vermag, grenzt an das Prädikat Weltklasse. Egal welches Register, ob Koloraturen, dramatische Ausbrüche oder lieblicher Schöngesang, mit welcher Energie und Präsenz Chevalier diese zentrale Figur zum Leben erweckt, sucht ihresgleichen. Den hohen Erwartungen, die ihren Engagements seit dem umjubelten Debüt bei den Salzburger Festspielen 2019 vorauseilen, kann das Teufelsweib aus Illinois wahrhaftig gerecht werden – eine Herrscherin, Verführerin und letzten Endes reumütige Vitellia par excellence!

Nicole Chevalier (Vitellia) © Werner Kmetitsch

Ebenso eindrucksvoll, wenn auch in einer etwas weniger gewichtigeren Partie, präsentiert sich Mari Eriksmoen als Servilia. Technisch vielleicht die sauberste Stimme des Abends, selbst in den Höhen exzellent gestützt und künstlerisch auf allerhöchstem Niveau, setzt Eriksmoen ein ausdrückliches Ausrufezeichen hinter ihren Namen. Mag die norwegische Sopranistin in ihrer Arie „S’altro che lacrime“ noch so nachdrücklich verkünden, das Weinen würde nichts bringen, den Tränen ist man nahe bei dieser ausgereiften und hinreißenden Gesangsdarbietung!

Titus, der Gnädige und Liebling des römischen Volkes entzückt nicht durchgehend. Vom Stimmmaterial und der Stimmfärbung einem Yusif Eyvazov nicht unähnlich, rezitiert Jeremy Ovenden zwar wunderschön und geschmeidig, lässt in den Höhen des Öfteren jedoch den nötigen Schmelz vermissen. Diesen verinnerlicht zu haben, scheint Jonathan Lemalu. Als Publio, der Titos Leibgarde kommandiert, verführt der neuseeländische Bassbariton mit lyrisch-geschmeidigen Höhenflügen, nimmt dadurch jedoch jede Furcht und Dominanz von der Partie des eigentlichen Bösewichts.

Alles in allem ein gelungenes Arien– und Ensemblefeuerwerk durch das Stefan Gottfried den Concentus Musicus scharf akzentuiert und schwungvoll zu manövrieren vermag,  jedoch kein außergewöhnliches. Musikalisch und emotional viel zu gewichtig ist diese Partie des Sesto, in der bereits Größen wie Elīna Garanča oder Vesselina Kasarova brillierten, als das dieser den ersten Akt komplett verschlafen könnte. Dennoch ist „La clemenza di Tito“ – eine Oper, die von einigen als unausgegoren empfunden wird – einen Besuch des Theaters an der Wien auf alle Fälle wert! So viel Charme, Pomp und Grazie vermittelt kaum ein anderes musikalisches Bühnenwerk des großen Komponisten, Genies und Meisters Wolfgang Amadeus Mozart.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 21. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sam Brown, Inszenierung
Alex Lowde, Ausstattung
Stina Quagebeur, Choreografie
Jean Kalman, Licht
Tabea Rothfuchs, Video

Jeremy Ovenden, Titus
Nicole Chevalier, Vitellia
Mari Eriksmoen, Servilia
David Hansen, Sesto
Kangmin Justin Kim, Annio
Jonathan Lemalu, Publio
Stina Quagebeur, Berenice

Concentus Musicus, Orchester
Arnold Schönberg Chor

Ein Gedanke zu „Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito Theater an der Wien, 19. Oktober 2019“

  1. Vielen Dank an die zuvorkommenden Billetteure des Hauses. Ein Bekannter hat mich heute gefragt, weshalb ich bereits zur Halbzeit w.o. gegeben hätte. Habe ich nicht. Ich bin nur von meinem Platz im Parkett in luftigere Höhen gezogen – im vollen Haus auf einen freien Billetteur-Platz. Dadurch sind gleich zwei Personen glücklich geworden. Erstens, ein Herr, der sich fürchterlich beschwert hat, er würde wenig sehen aus Reihe 5 im 3. Rang – oh, welch Wunder. Und eben ich. Der Wüterich durfte auf „meinem“ Platz in Reihe 7 im Parkett Platz nehmen, ich in Reihe 2 im 3. Rang. Ende gut, alles gut. So geschmeidig kann das geregelt werden, wenn die Mitarbeiter eines Hauses Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten der Gäste. In einem anderen Etablissement wäre der Wüterich hochkant rausgeflogen, mir wäre vermutlich nur der Weg zu den Stehplätzen geblieben, um mit der Akustik glücklich zu werden. Nochmals herzlichen Dank!

    Jürgen Pathy

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