Traumfaszinosum im Märchenwald der Gebrüder Grimm: "Hänsel und Gretel" in der Semperoper Dresden

Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel,  Semperoper Dresden, 21. Dezember 2019

Foto: © Klaus Gigga

Semperoper Dresden, 21. Dezember 2019

Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel

von Pauline Lehmann

Regisseurin Katharina Thalbach vermag es, Groß und Klein in den Bann des Traumhaften und Wundersamen zu ziehen, wobei sie hin und wieder die Pfade einer biederen Inszenierung verlässt. So stößt man sich an grotesken, skurrilen Details, die sich nicht immer erschließen lassen. Doch die Klänge, die während der zwei Stunden aus dem Orchestergraben strömen, sind ein musikalischer Genuss und bereiten eine vorweihnachtliche Freude.

Zum Kindergeflüster im Saal entfaltet sich zu Beginn der Ouvertüre choralartig der Bläserklang der Sächsischen Staatskapelle, bevor die Streicher einsetzen und das gesamte Orchester weihevoll das Motiv des »Abendsegens« vorwegnimmt. Manchmal hat man das Gefühl, dass sich der dichte Orchesterklang über die Solisten erhebt, doch besonders im »Abendsegen« dimmt Dirigent Srba Dinić die Sächsische Staatskapelle zu einem seichten Klangteppich.

Für die kurzfristig erkrankte Mirella Hagen übernimmt Nadja Mchantaf die Rolle der Gretel. Dass sie die Partie an diesem Adventssamstag bereits zum zweiten Mal gibt, merkt man ihrem Esprit und ihrem vollen, warm timbrierten Sopran keineswegs an. Nadja Mchantaf ist derzeit als Gast zurück an der Semperoper Dresden, seit der Spielzeit 2016/17 gehört sie zum festen Ensemble der Komischen Oper Berlin.

Christa Mayer als Gertrud (Mutter) und Markus Marquardt als Peter (Vater) sind stimmlich souverän und sattelfest in ihren Rollen. Die Russin Julia Muzychenko leiht dem Sandmännchen und dem Taumännchen ihren klaren, strahlenden Sopran.

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Auf einem schwarzen Vorhang zeichnet sich mit weißen Kreidestrichen ein Haus ab, dahinter deuten sich schemenhaft die Umrisse des dunklen Waldes an. Wie Hänsel und Gretel Besen binden, spielen und herumalbern, erscheint als Schattentheater. Dann hebt sich der Vorhang und das weiße, ärmliche Haus wird sichtbar. Ein draufgängerischer Hänsel spielt mit dem Besen Karaoke und Gretel mit hochgebundenem Pferdeschwanz und blauem Sackkleid tanzt dazu, bis die Mutter dem bunten Treiben ein jähes Ende setzt und die Kinder zum Erdbeerensammeln in den Wald schickt. Katharina Thalbachs Hänsel und Gretel erinnern im ersten Bild in ihrem Wesen an die Lausbuben Max und Moritz.

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Im zweiten Bild gelingt es dem Bühnenbildner Ezio Toffolutti das Bedrohliche und Dramatische des Waldes, das die Musik durch die Bläser und die tiefen Streicher übermittelt, einzufangen. Zunächst erscheinen die Grimm’schen Märchengestalten als Schattentheater. Dann huschen sie in einem düsteren, bläulich-schwarzen Wald, in dem die Baumstämme wie schwarze Banner herabhängen, umher.

Für Hänsel und Gretel unsichtbar erscheinen Schneewittchen und die sieben Zwerge, Rotkäppchen und der Wolf. Dazwischen funkeln Irrlichter und es entsteht eine unheimliche Atmosphäre, wobei das Sandmännchen aus dem Kinderfernsehen Goldstaub und eine lieblichere Stimmung bringt.

Katrin Wundsam als Hänsel und Nadja Mchantaf als Gretel bringen einen klanglich wunderschönen »Abendsegen«. In einem bläulichen Licht und unter Sternenhimmel entfaltet sich anschließend die »Traumpantomime« als eine Spielwiese der Engel – mit Seilbahn, Rutsche und Strickleiter. Durch die obszönen dicken Bäuche der Engel wirkt sie indes verzerrt, abstoßend und himmlisch-träumerisch zugleich.

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Eine Schildkröte verheißt die Nähe des Ilsensteins und allerlei Zuckerzeug – Lutscher, Lakritz, Bonbons, Smarties und Gummibären – hängt übergroß vom Bühnenhimmel herab. Aus dem Kekshaus der Hexe windet sich eine Marshmallow-Schlange. Die Knusperhexe Rosina Leckermaul erscheint zunächst als Erotik-Diva, mit wallendem rotem Haar und im roten Kleid umgarnt sie die Kinder.

© Klaus Gigga

Bei einem Zauberspruch zieht sie sich um und nimmt bis auf die Glatze die gängigen Attribute einer Hexe an. Auf einem übergroßen Lutscher reitet sie mit einer überzeugenden Komik über die Bühne. Mit Evelyn Herlitzius als Hexe ist dieser Besenritt – Pardon! Lutscherritt – ein pures Vergnügen. Entgegen dem traditionellen Schluss kehren Katharina Thalbachs Hänsel und Gretel nicht in die Arme ihrer Eltern zurück, sondern bleiben im Märchenwald.

Wer sich an den Festtagen und darüber hinaus von der märchenhaften Welt und Engelbert Humperdincks Musik verzaubern lassen möchte, dem sei die historische Aufnahme aus dem Jahr 1953 unter der Leitung von Herbert von Karajan und mit Elisabeth Schwarzkopf als Gretel und Elisabeth Grümmer als Hänsel empfohlen.

Pauline Lehmann, 23. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung: Srba Dinić

Inszenierung: Katharina Thalbach

Bühnenbild und Kostüme: Ezio Toffolutti

Choreografie: Erica Trivett

Licht: Jan Seeger

Kinderchor: Claudia Sebastian-Bertsch

Dramaturgie: Hans-Georg Wegner

Hänsel: Katrin Wundsam

Gretel: Nadja Mchantaf

Gertrud (Mutter): Christa Mayer

Peter (Vater): Markus Marquardt

Hexe: Evelyn Herlitzius

Sandmännchen/Taumännchen: Julia Muzychenko

Sächsische Staatskapelle Dresden

Kinderchor der Semperoper Dresden

Damen des Sinfoniechores Dresden – Extrachor der Semperoper Dresden

Tänzerinnen und Tänzer

Mitglieder der Komparserie

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