Obsession und Leidenschaft pur: Marlis Petersen triumphiert als Salome

Salome, Richard Strauss,  Theater an der Wien, 25. Januar 2020

Foto: Marlis Petersen (Salome), Johan Reuter (Jochanaan) © Werner Kmetitsch
Theater an der Wien, 25. Januar 2020

Salome, Richard Strauss

von Jürgen Pathy

Wenn Blicke töten könnten, heißt es im Volksmund. Die Macht der Blicke ist auch ein zentraler Kern in Richard Strauss‘ Oper „Salome“, in der die junge Prinzessin Salome sich diesen ausgeliefert fühlt. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. Nicht nur Narraboth, der Hauptmann, auch Herodes, ihr Onkel und Stiefvater in einer Person, alle lechzen nach dem Körper des Teenagers und werfen ihr lüsterne Blicke zu. Nur Jochanaan, der Prophet, um dessen Gunst die blutjunge Salome buhlt, lässt sich vom Anblick der jungen Schönheit nicht beeindrucken und entzieht sich ihrer Blicke. Deshalb landet sein Haupt auf dem Silbertablett. Im Theater an der Wien kommen weitere Aspekte hinzu: Nikolaus Habjan, derzeit Director in residence, „möchte Dinge zeigen, die in diesem Stück stecken, aber nicht immer gleich sichtbar werden“. Wie bereits gewohnt, bringt der Österreicher, der zuletzt Webers Oberon inszeniert hat, seine Spezialität ins Spiel.

Salome und Jochanaan werden von Klappmaulpuppen begleitet. Ein zweites Ego sozusagen. Das des Jochanaan, den der dänische Bariton Johan Reuter mit viriler Stimme und kernigem Timbre hervorragend singt, steht im völligen Kontrast zur lebendigen Person: Volles schwarzes Haar und ein ausgemergelter Körper, der an Jesus Christus am Kreuze erinnert. Salomes Doppelgängerin hingegen gleicht der lebendigen Version wie aus einem Guss: kupferrotes Haar, silberfarbenes Kleid – nur die weit aufgerissenen Augen, durch die Habjan die emanzipierte Femme fatale darstellen möchte, die letzten Endes ebenso alle Männer mit ihren Blicken frisst, unterscheiden die beiden.

Von Marlis Petersen sensationell dargeboten und gesungen, wird Salome, die von einer Kindsfrau zur männermordenden Furie mutiert, regelrecht zum Leben erweckt. Zwar wollte Petersen, die sich nach 18 Jahren endgültig von ihrer Paraderolle – der Lulu – distanziert hat, einmal keine Rolle spielen, „deren Brutalität dermaßen auf die Seele abfärbt“, wie sie im Gespräch mit Elisabeth Kulman erzählt. Doch nach ihrem gefeierten Salome-Debüt an der Bayerischen Staatsoper im letzten Sommer scheint sie diese Rollen gepachtet zu haben. Kein Wunder!

Wie die deutsche Sopranistin, mit Wohnsitz in Griechenland, diese Rolle gestaltet, ist atemberaubend. Wie sie beim Tanz der Salome mit weit gespreizten Beinen vor Herodes liegt und letztendlich mit dem abgetrennten Kopf des Jochanaan zwischen ihren Beinen spielt – blutüberströmt –, ist an Obsession kaum zu überbieten. Wie sie dieser Partie, die normalerweise von Sopranistinnen des hochdramatischen Fachs gesungen wird, ein leicht lyrisches, blumig duftendes Aroma verpasst, ist in dieser Form nur selten zu erleben. Kein einziger schriller Ton, niemals auch nur der Ansatz eines Kreischens. Selbst dann nicht, als sie sich mit traumwandlerischer Sicherheit zu den harmonischen Höhepunkten des Schlussgesangs emporschrauben muss. Gänsehaut pur!

Seines eruptiven Höhepunkts, den letzten Worten der Salome, ein wenig beraubt, wird dieses Spektakel einzig und allein der Personenführung wegen. Weshalb Habjan, Petersen für die Worte „Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan – ich habe ihn geküsst, deinen Mund“ extra rechts an der Wand platziert, ist nicht nur fragwürdig, sondern ärgerlich. Das Publikum, das sich in den Logen auf der rechten Seite eingefunden hat, wird es ihm nicht verzeihen. Höllenlärm ist zwar ein Charakteristikum dieser Oper, aber diese letzten Worte sollten niemals im Rausch des Orchesters untergehen.

Sängern wie John Daszak, der als Herodes bereits in Salzburg reüssierte, und Michaela Schuster als Herodias, bereiten extreme Dynamiken sowieso keine Probleme. Erwähnenswert auch Bariton Kristján Jóhannesson, der mit seiner klaren, kräftigen Stimme überzeugt.

Leo Hussain, der das ORF Radio-Symphonieorchester durch den Abend führt, trifft keine Schuld. Der liefert über weite Strecken großes Kino! Trotz reduzierten Orchesterapparates entfaltet diese einzigartige Musik ihr volles Potenzial. Zwischen Totenstille und Höllenlärm, zwischen traumhafter As-Dur Seligkeit und autonomer Chromatik, findet Hussein überwiegend das richtige Maß. Vereinzelt zwar etwas übermotiviert und laut, aber grundsätzlich mitreißender orchestraler Klang, dem man sich mit Haut und Haar ergeben kann.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 27. Januar 2020, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Leo Hussain, Musikalische Leitung

Nikolaus Habjan, Inszenierung & Puppendesign

Julius Theodor Semmelmann, Bühne

Cedric Mpaka, Kostüm

Esther Balfe, Choreografie

Paul Grilj, Licht

Olaf A. Schmitt, Dramaturgie

Marlis Petersen, Salome

Johan Reuter, Jochanaan

John Daszak, Herodes

Michaela Schuster, Herodias

Paul Schweinester, Erster Jude / Narraboth

Tatiana Kuryatnikova, Page der Herodias

Johannes Bamberger, Zweiter Jude

Quentin Desgeorges, Dritter Jude

Andrew Owens, Vierter Jude / Diener

Dumitru Mădăraşăn, Fünfter Jude / Erster Soldat

Kristján Jóhannesson, Erster Nazarener / Kappadozier

Ivan Zinoviev, Zweiter Nazarener / Zweiter Soldat

ORF Radio-Symphonieorchester Wien

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