Bis in die letzte Ritze des Festspielhauses

Der fliegende Holländer, Wagner,  Bayreuther Festspiele

Der fliegende Holländer, Richard Wagner
Bayreuther Festspiele, 14. August 2016

Jan Philipp Glogers „Fliegender Holländer“ aus dem Jahr 2012 kommt bei den Besuchern der Bayreuther Festspiele gut an. Der Holländer ist ein erfolgreicher Geschäftsmann mit Rollkoffer und Kaffeebecher. Seinen Stoßseufzer könnte heute mancher erfolgreicher Single unterschreiben: „Was frommt der Schatz? Ich habe weder Weib noch Kind, und meine Heimat findʼ ich nie!“

Der Holländer ist dazu verdammt, in alle Ewigkeit auf dem Meer herumzuirren. Nur alle sieben Jahre darf er an Land, um eine Frau zu suchen, deren Treue ihn von diesem Fluch erlösen könnte. Daland als Betreiber einer Ventilatorenfabrik verschachert dem Holländer seine Tochter Senta, die sich in Glogers Inszenierung ein Schwert in den Bauch stoßen und damit den Holländer und seine Mannschaft erlösen wird.

Soweit Richard Wagners Geschichte in einem Absatz. Auf der Bühne im Festspielhaus dominiert wie bei „Tristan und Isolde“ am Vortag wieder ganz viel Metall und Düsternis. Das ist nicht besonders packend, hat aber etwas Gutes, wie die Abendzeitung konstatiert: „Zwischen den Datenströmen einer kühlen Businesswelt und den Pappschachteln im Miefquirl-Imperium muss man sich nicht aufregen – und kann sich auf die Musik konzentrieren. In Bayreuth ist das keine Selbstverständlichkeit. Da hat sich das Personal in Frank Castorfs ‚Ring‘-Produktion um einiges mehr zu quälen.“

Und die Musik, vor allem das Festspielorchester – diese grandiose Formation europäischer Spitzenmusiker – ist mal wieder das Beste an diesem Abend. Der Dirigent Axel Kober geleitet seine Wagnerspezialisten im heißen Graben grandios durch die zwei Stunden und 13 Minuten – das ist für den „Fliegenden Holländer“ eine recht kurze Zeit. Vor allem das muskulöse Fortissimo im Tutti überzeugt, auch im Zusammenspiel mit dem stimmgewaltigen Festspielchor unter der Leitung von Eberhard Friedrich, Chordirektor der Hamburgischen Staatsoper.

Eine Nebenrolle ist die Entdeckung des Abends: Allein die lupenreine, glasklare und helle Tenorstimme von Benjamin Bruns als Steuermann ist den Eintritt auf dem „Grünen Hügel“ wert. Wenn Benjamin Bruns noch ein wenig am baritonalen Bereich arbeitet, steht ihm eine glanzvolle Zukunft bevor. Auch eine zweite Nebenrolle ist hervorragend besetzt: Andreas Schager als Erik (nicht als Jäger wie bei Wagner, sondern Hausmeister) ist ein stimmgewaltiger Tenor, der auch den Parsifal im kommenden Jahr packen dürfte. Allerdings singt er den armen Erik eher wie einen kraftstrotzenden Siegfried, so wie im Juni 2016 in der Staatsoper im Schiller Theater in Berlin.

Peter Rose als Daland, des Steuermanns Chef, ist ein tiefer, autoritärer und vor allem textverständlicher Bass, der das Publikum vom ersten Takt an in den Bann zieht. Der Hingucker des Abends aber ist der Protagonist des Stückes: der Holländer. Der Bariton Thomas J. Mayer hat eine nuancenreiche, volle und auch vokalklare Stimme. Er ist nicht der noble Holländer, sondern ein echter Kerl, der etwas Geheimnisvolles mit sich trägt, das die Senta anzieht.

Die kraftvollste Stimme des Abends ist zweifelsohne Ricarda Merbeth als Senta. Als sie nach gut zwei Stunden zu den letzten Höhen brillant ansetzt, vermittelt sie den Eindruck, als habe sie gerade erst angefangen zu singen. „Unglaublich, die Senta war bis in die letzte Ritze des Saales zu hören“, sagt Christof Möckel, 54, aus Köln, der mit seiner Frau Barbara, 52, das erste Mal zu den Festspielen gereist war. Vor allem das Zusammenspiel mit Thomas J. Mayer im Duett „Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten“ ist ein Ohren- und Augenschmaus an diesem Abend. Der Holländer zeigt dabei, dass er auch gefühlvoll zu singen vermag. Die phantastische Musik wird von bewegenden Schattenbildern der beiden begleitet – die Schatten vereinen sich, der Holländer und Senta nicht.

„Ricarda Merbeth hatte wirklich überragende Momente“, bilanzieren Marco Grahl-Marniok, 41, und Stephan Flerlage, 46, aus Bielefeld. „Sie ist ein durchschlagender, dramatischer Sopran, der mit sanfter Stimme auch die liebende Seite der Senta darzustellen weiß.“ Nina Fuchs, 56, aus Wien brachte es in einen Satz auf den Punkt: „Phantastisches Orchester, stimmgewaltiger Chor und ein sehr gutes Stimmenpaar Holländer und Senta.“

Andreas Schmidt, 15. August 2016
Klassik-begeistert.de

 

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