Was sagten Tristan und Isolde?

Tristan und Isolde, R. Wagner,  Bayreuther Festspiele, Bayreuth

Tristan und Isolde, Richard Wagner
Bayreuther Festspiele, 13. August 2016

Der Vorsitzende der Wagnergenootschap Nederland, Leo Cornelissen, 74, aus Amsterdam hat seinen großen Meister schon unzählige Male gehört. Trotzdem kommt er immer wieder gerne zu den Festspielen nach Bayreuth, vor allem wenn Christian Thielemann wie an diesem Samstag „Tristan und Isolde“ dirigiert. „Wagner machen, das kann er wie kein zweiter“, sagt der erste Wagnerianer der Niederlande, also der Chef des niederländischen Pendants zum deutschen Richard-Wagner-Verband. „Das Festspielorchester spielt unter Thielemann wirklich phänomenal, es ist berührend schön, dabei zu sein.“

 

Ja, es war wirklich einsame Weltklasse, was der versierteste Wagner-Dirigent den europäischen Ausnahmemusikern des Festspielorchesters im Bayreuther Graben abzuverlangen vermochte. Schon bei der Ouvertüre, deren Anfang zauberhaft leise und langsam den berühmten Tristan-Akkord zelebrierte, stellte sich Gänsehautgefühl ein. Auch die Hörner Anfang des zweiten Aufzuges hört man nirgends so gut wie in Bayreuth. Und die Streicher zu Beginn des dritten Aufzug und das folgende Englischhorn-Solo des Hirten sind wegweisend.

Auch Deutschlands bedeutendste Musikkritikerin, Eleonore Büning von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gerät bei der Premiere in diesem Jahr in allerhöchste Verzückung. Es lohnt sich ihren Worten ausgiebig zu lauschen: „Der Dirigent Christian Thielemann hat ein spezielles Gefühl für Klangmixtur. Außerdem kann er mit der Akustik des Festspielhauses in Bayreuth so selbstverständlich und souverän umgehen, als handele es sich um den Inhalt seiner Hosentasche. So gelingen ihm immer wieder unerhörte Synthesen aus allen möglichen Instrumentenfarben und Klangzaubereien, von denen alle Welt ahnt und erwartet, dass sie sich in diesem Hause einzustellen haben. Dieses Zaubers wegen sind die Leute angereist.“

Ja, Eleonore Büning ist so berührt, dass sie gar eine Anspielung auf den „lieben Gott“ nicht scheut: „Sie wollen hören, zum Beispiel, wie der scharfe, süße Ton einer Oboe so vom wärmenden, diffus gestreuten Violoncelloton überlagert wird, dass wir die jeweils haptische Herkunft, das Geblasen- oder Gestrichenwerden, nicht nur nicht mehr hören, vielmehr meinen, solch ein Sphärenklang müsse herrühren von einem bisher unbekannten Instrument, das der liebe Gott soeben erfunden und vom Himmel geworfen habe. Was auch geschah am Montag, als er zum Abschluss der Bayreuther Premierenwoche die Wiederaufnahme von ‚Tristan und Isolde‘ dirigierte, in der Regie von Katharina Wagner. Bereits mit den drei ersten Takten des Vorspiels ist alles wie verwandelt, Raum und Menschen.“

Die Hauptprotagonisten, Stephen Gould als Tristan, und Petra Lang als Isolde, erreichen die außerordentliche Leistung des Orchesters an diesem Abend leider nicht. Stephen Gould gehen Ende des ersten Aufzugs und Ende des dritten Aufzugs die Kräfte aus. Von seiner berühmten tenoralen Strahlkraft ist wenig zu verspüren. Stark ist er vor allem im baritonalen Bereich, hier kommen ihm die Töne warm und voll über die Lippen. In den Höhen muss er sich dagegen mühen und klingt bisweilen wie ein Tenor, der zu viel gesungen hat in der letzten Zeit. Dass er den Tristan besser kann, hat er in diesem Jahr an der Deutschen Oper Berlin und an der Hamburgischen Staatsoper bewiesen. Auch vor einem Jahr war sein Tristan in Bayreuth um ein Mehrfaches klarer und strahlender.

Petra Lang ist eine Isolde, die in den Höhen mitunter mit zu viel Druck singt. Das hört sich dann ein wenig gepresst an und führt dazu, dass sie in den Höhen zu viel Vibrato zelebriert. Langs Mittellage ist deutlich besser als die Höhenlage – an die Isolde des Vorjahres, Evelyn Herlitzius, reicht sie aber bei Weitem nicht heran. Tiefere Partien wie die Ortrud im „Lohengrin“, dargeboten in Bayreuth vor einem Jahr, liegen der aus dem Mezzofach stammenden Lang deutlich besser.

Ganz schwach agieren die beiden Titelhelden an diesem Abend in punkto Textverständlichkeit. Wer den Tristan nicht schon 70 Mal gehört hat und das Textbuch intensivst studiert hat, sitzt im Festspielhaus, das im Gegensatz zu anderen Opernhäusern auf Textprojektionen verzichtet, einsam und ratlos da. Die beiden Protagonisten sind kaum zu verstehen. „Ich habe von Petra Lang fast keinen Satz verstanden“, sagt der Wiener Arbeitsmediziner Dr. Thomas Orel, 59. „Auch Stephen Gould war kaum verständlicher.“ Das bestätigen auch der Psychiater Dr. Jörg Schumacher, 68, und seine Gattin Ute, 65, aus Saarbrücken. „Ich sitze in Reihe vier und kann kaum ein Wort verstehen“, sagt Jörg Schumacher. „Der US-Amerikaner Stephen Gould spricht ja schon den Namen ‚Isolde‘ nicht Deutsch, sondern mehr Amerikanisch aus.“

Aber es gibt auch Ausrutscher nach oben in Sachen Verständlichkeit. Georg Zeppenfeld als König Marke singt textverständlich und klar. Sein Bass ist kräftig und warm, wenn es sein muss; er hat Autorität, wenn das Spiel es erfordert. Zeppenfeld bekommt nach dem zweiten Aufzug den kräftigsten Einzelapplaus – er wird als der Star der Festpiele 2016 in die Annalen eingehen. Mit seinem Gurnemanz im neuen „Parsifal“ und seinem Hunding in der „Walküre“ setzt Zeppenfeld Maßstäbe.

Der sonore Bariton des ebenso textunverständlichen Iain Paterson überzeugt durch Kraft und Zuverlässigkeit. Der Mezzosopran Claudia Mahnke, in Sachen Textverständlichkeit bekommt sie hinter Zeppenfeld die Silber-Medaille, ist eine zuverlässige Vertretung als Brangäne nach der kurzfristigen Absage von Christa Mayer.

Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat für das Nachtstück von Katharina Wagner drei abstrakte Räume gebaut: Ein Treppen-Labyrinth mit Hängebrücken und Reling, ein Gefängnis mit Fahrradständern, ausfahrbaren Metallkrallen und Suchscheinwerfern sowie eine Artus-Runde im mystischen Nebel. In großen Teilen, außer im dritten Aufzug, ist die Inszenierung düster, morbide und emotionslos. Sie passt nicht zur emotionalen Musik, die die verzweifelte Liebe Tristans und Isoldes und deren Liebestod – in dieser Inszenierung führt König Marke Isolde nach Tristans Tod mit den Schlussakkorden von der Bühne – mit phantastischen Wellen, Nuancen, Bögen und leisen Feinheiten zelebriert. Allein die Visionen der Isolde im Fieberwahn, die Tristan im dritten Aufzug erscheinen, bleiben dem Zuschauer als beeindruckende Bilder haften. Und so musste sich die Urenkeltochter Richard Wagners bei der 2016er Premiere auch zahlreiche Buhrufe anhören.

Andreas Schmidt, 14. August 2016
klassik-begeistert.de

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