Interview Mario Mairhofer: Mit dem Wienerlied durch die Coronakrise

Interview: Herr Leopold – mit Wienerlied durch Coronakrise

Dieser Tage spielt sich das soziale Leben der Wienerinnen und Wiener nicht wie üblich in der Oper, im Konzerthaus oder im Theater ab, sondern in den eigenen vier Wänden. Dass dies zu Problemen führt, muss gar nicht ausgeführt werden. Man „pickt“ aufeinander, raunzt noch mehr als sonst; diesmal sogar zu recht, und beim ein oder anderen wird vielleicht still und heimlich bereits vor 16 Uhr das erste „Glaserl“ oder „Krügerl“ getrunken – ganz gegen die übliche Regel „Kein Bier vor vier“.

Doch die Ausnahmesituation bringt eben auch sonst unübliche Verhaltensmuster zum Vorschein. Im nachmittäglichen Rausch der Musikliebhaber tauchen Bilder vor dem geistigen Auge auf von Familien, die sich um das Klavier versammeln und gemeinsam musizieren. Die Mutter und der Vater an den Instrumenten – die Kinder üben sich im Gesang. Das Musizieren in den eigenen vier Wänden wie es im biedermeierlichen Bürgertum üblich war, aber auch die sogenannten Leiermänner und Harfinisten, die das einfachere Volk in den Buschenschanken der Vorstadt (denn dort galt die eingeführte Verzehrsteuer nicht und machte Speis und Trank um einiges leistbarer) unterhielten, werden oft mit dem Polizeistaat in Verbindung gebracht. Wer konnte zog sich in die eigene Wohnung zurück, und die anderen vertrieben sich die Sorgen in wohliger Umgebung bei Wein und Musik.

Auch in diesen Tagen, die von sozialer Isolation geprägt sind, hat das private Musizieren im schönen Wiener Bezirk Margareten (5. Gemeindebezirk) wieder Einzug gefunden. Die vier Hauswände der Zentagasse, Vogelsanggasse und Jahngasse bilden die Bühne für Mario Mairhofer alis „Herr Leopold“, der täglich um 18 Uhr seine Nachbarinnen und Nachbarn mit ausgewählten Wienerliedern erfreut. Ich habe mich mit Herrn Leopold per Videotelefonat unterhalten.

von Anna Ploch

klassik-begeistert.de: Lieber Herr Leopold, seit 18. März gibst du täglich um 18 Uhr für deine Nachbarinnen und Nachbarn ein Hofkonzert, wie ist dir diese Idee gekommen?

Mario Mairhofer: Ehrlicherweise muss man sagen, dass es eines Abends nach zwei, drei Gläschen Wein dazu gekommen ist. Davor habe ich schon Wohnzimmerkonzerte in einer Whatsapp-Gruppe veranstaltet und hatte überlegt, ob ich nicht für die Nachbarschaft live singen könnte. An dem besagten Abend habe ich es dann beschlossen und am nächsten Abend einfach gemacht. Es war mir wichtig die Leute in dieser Zeit zum Lachen zu bringen, aber auch zum Nachdenken. Das Wienerlied bietet sich hier sehr gut an.

Das Wienerlied ist ja kein besonders populäres Genre, schon gar nicht bei den jungen Leuten. Du bist nicht unbedingt alt. Was gefällt dir so daran?

Naja, nicht alt ist Ansichtssache. In den 1980e- Jahren hat es jeden Samstagnachmittag die sogenannten Heimatfilme auf ORF gespielt. Da bin ich sehr schnell mit Hans Moser, Peter Alexander und wie sie alle heißen in Kontakt gekommen, auch mit Operetten. 

Hast du bereits als Kind Wohnzimmerkonzerte gegeben?

Ich habe auf jeden Fall immer schon gesungen und mir viel selber beigebracht. Anfangs war es die Kirchenmusik. Ich bin auf dem  Land in Oberösterreich aufgewachsen, habe mir selber Orgelspielen beigebracht und in der Kirche habe ich das erste Mal gehört, dass Leute zu mir gesagt haben: „Du kannst singen“. 

Alles selber beigebracht? Hast du nie Gesangsunterricht gehabt?

Neben der Hotelfachschule war ich auch in der Musikschule, aber das war nebenbei. Atemtechniken habe ich dort gelernt, was natürlich für das Singen sehr wichtig ist.

Und das Gastgewerbe hat dich ja lustigerweise dann doch wieder zum Singen gebracht. Im Café Schwarzenberg singst du regelmäßig und hoffentlich auch wieder, wenn die Ausgangssperren gelockert sind.

Ja, Kellner war immer mein Traumberuf, weil ich den Kontakt zu den Menschen mag. Ich wusste auch schon seit meinem Praktikum, dass ich in Wien arbeiten möchte. Ich bin nach Wien gekommen, um hier zu bleiben. Der Wiener Schmäh und dieses leicht Sarkastische, das liegt mir. Wenn mich jemand fragt, wie ein typischer Wiener Oberkellner ist, dann sag ich immer, sie sollen sich zehn Peter-Alexander-Filme ansehen, dann wissen sie es.

Wie haben sich deine Auftritte im Schwarzenberg ergeben?

Im Café Schwarzenberg gibt es immer von Donnerstag bis Sonntag Musik von dem Duo Ernest (Klavier) und Dida (Geige). Bei „Sag zum Abschied leise Servus“ habe ich dann einfach mal mitgesungen – jetzt hat es sich eingespielt, dass ich, wenn es die Zeit zulässt und alle Gäste gut versorgt sind, mitsinge. Den Gästen fällt meistens die Kinnlade runter, wenn ich nach meinem Auftritt an ihren Tisch komme und sie bediene. „Surprise I am the waiter“, sage ich dann oft.

Das Café Schwarzenberg hat ja viele ausländische Gäste. Würdest du sagen, das Wienerlied kommt auch bei nicht wienerischem Publikum gut an?

Ich habe das Gefühl es wird überall verstanden, auch wenn das Publikum den Text nicht kennt und nicht versteht.

Was macht für dich das Wienerlied aus?

Entstanden ist es ja aus einem gewissen Bedürfnis nach etwas Lustigem, Unterhaltsamen, um den Alltag ein bisschen zu vergessen. Trotzdem scheint die Tristesse und Melancholie der damaligen Zeit in den Texten natürlich durch. Viele Leute bezeichnen mich als Tenor, ich sehe mich eher als höheren Bariton. Ich denke meine Stimme ist gut geeignet, um die Melancholie, den Grant, aber dann doch auch die Zufriedenheit, die das Wienerlied thematisiert, wiederzugeben. 

Im Namen des Hofpublikums kann ich dem nur zustimmen. Die Beschreibung des Wienerlieds bringt mich zu deinem Lieblingskomponisten Hermann Leopoldi. Warum gerade er?

Hermann Leopoldi bezeichnet sich selbst als Klavierhumorist und hat ein schwieriges Leben gehabt. Er hat bereits vorm Zweiten Weltkrieg komponiert, kam jedoch auf Grund seiner jüdischen Herkunft ins KZ. Dort hat er die Offiziere mit seiner Musik unterhalten, was ihm zu einer etwas besseren Behandlung verholfen hat. Seine US-amerikanischen Schwiegereltern konnten ihn freikaufen und er emigrierte in die USA, wo er weiter komponierte. Nach Ende des Krieges kam er wieder nach Wien zurück und schrieb weitere Lieder, um den Leuten Mut zu machen. Leider kennt man sehr wenig von ihm, dabei hat er oft sehr tiefgründige Texte zu lustigen Melodien. Mir gefällt diese Ambivalenz zwischen Text und Musik. Ich kann mich da ein bisschen damit identifizieren. „Die Überlandpartie“ ist von ihm, mein erstes Duett im Hof. Die Playbacks bekomme ich von zwei guten Freunden zur Verfügung gestellt. 

Es stecken also mehrere Personen hinter den gelungenen Hofkonzerten. Wie wird das weitere Programm aussehen?

Ich plane nicht so weit im Vorhinein, aber es wird operettenmäßig weitergehen und für Ostern ist Schuberts „Pax mobiscum“ geplant. Es wäre sehr schön, wenn das Publikum auch mitmacht und mitsingt bei den Konzerten. Ich hoffe, dass die Konzerte den Zusammenhalt stärken, dass sie ein gewisses Sicherheitsgefühl geben, wenn man sich jeden Tag sieht und hört, wenn auch nur aus dem Hoffenster. Wenn die Zeiten der Ausgangsbeschränkungen vorbei sind, dann wäre es natürlich schön sich persönlich kennenzulernen. Ich werde es jedenfalls versuchen das Hofkonzertpublikum zu kontaktieren. Vielleicht lernt uns die Situation auch wieder mehr aufeinander zuzugehen. 

Welches Wienerlied fällt dir denn als erstes ein in der jetzigen Situation?

Ein Lied, das mir jetzt Trost spendet ist „Wenn der Herrgott net will“. Man muss nicht religiös sein, um etwas damit anfangen zu können. Es geht darum, dass die Welt, so schön sie auch ist, eben nicht für alle gleich ist. 

Nach dem Gespräch mit Herrn Leopold höre ich mir das Lied in einer Version von Peter Alexander und Paul Hörbiger an. Die Streicher spielen eine melancholische Melodie in Moll, begleitet von Harfenschlägen im ¾-Takt. Paul Hörbiger singt beruhigend mit einem gewissen Trost in der Stimme den Refrain. Gekonnt singt Peter Alexander in seiner typisch, erzählenden Art von den unnützen Sorgen, die sich die Menschen oft machen. Die Melodie wechselt in Dur für die Strophe, der Text bleibt melancholisch, aber tröstend: 

Die Welt ist so schön und die Welt ist so reich,

doch ist halt das Leben für alle nicht gleich.

Es geht durcheinander, es ist kunterbunt

und doch ist die bucklige Welt kugelrund.

Ein jeder Mensch hofft und ein jeder Mensch strebt,

doch viele sind da, die umsonst nur gelebt,

was nützt alles Denken, es gibt nur den Schluss:

Es kommt schließlich alles, wie kommen es muss!

Refr.: Wenn der Herrgott net will, nutzt es gar nix,

schrei net um, bleib schön stumm, sag, es war nix.

So war’s immer, so bleibt es für ewige Zeit,

einmal ob’n, einmal unt’n, einmal Freud‘, einmal Leid.

Wenn der Herrgott net will, nutzt es gar nix,

sei net bös‘, net nervös, denk, es war nix.

Renn‘ nur nicht gleich verzweifelt und kopflos herum,

denn der Herrgott weiß immer warum.

Anna Ploch, 27. März 2020, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de

  

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