Die in Dresden geborene Sopranistin Agnes Selma Weiland sang bei den Tiroler Festspielen die großen Rollen ihres Fachs, wie TANNHÄUSER Elisabeth, LOHENGRIN Elsa und im Sommer 2019 Verdis AIDA. Am Theater Basel war sie als 1. Dame in Mozarts ZAUBERFLÖTE engagiert. An der Opéra National de Lyon erlangte sie internationale Aufmerksamkeit als SANCTA SUSANNA in Hindemiths gleichnamiger Oper und als Nella in Puccinis GIANNI SCHICCHI. Das Theater Bonn engagierte sie daraufhin auch als SANCTA SUSANNA. An der Oper Leipzig sang sie nach der 1. Dame in Mozarts ZAUBERFLÖTE ihre ersten Wagnerrollen: Sieglinde und später Brünnhilde in Wagners RING FÜR KINDER. Gleich nach dem Studium engagierte sie das Theater Bremen, wo sie bereits wichtige Hauptrollen sang. Konzertreisen führten sie nach Belgien, Polen, Spanien, Italien, in die USA und nach Abu Dhabi. Sie ist Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe. Agnes Selma Weiland lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Berlin.
von Dr. Petra Spelzhaus
Fotos: Xiomara Bender (c)
Was haben Sie vor einem Jahr getan, und wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Vor einem Jahr unterschrieb ich den Vertrag bei den Tiroler Festspielen Erl, um im Sommer 2019 dort die Aida zu singen. Also war ich dann Tag und Nacht mit dieser wunderbaren Partie beschäftigt, um sie möglichst schnell in meinen Kopf und Körper zu bekommen. In meinem derzeitigen Alltag dreht sich viel um meine sechsjährige Tochter. Gleichzeitig studiere ich neue Rollen ein wie La Gioconda, Turandot und Maddalena di Coigny, nehme mir Zeit Klavier zu spielen, probiere neue Lieder aus und bereite meine bevorstehende CD-Aufnahme vor. Endlich werde ich es wohl auch mal schaffen, meine Steuererklärung pünktlich abzugeben.
Nennen sie drei Schlagworte, wenn sie das Wort Corona hören…
Was mir sofort in den Sinn kommt, sind die zahlreichen Absagen, Vertröstungen und der fehlende Lohn. Das schickt sich an, einer der prägendsten Einschnitte in meinem Leben zu werden. Es bedeutet Verzicht auf direkte soziale Kontakte zu Gunsten der allgemeinen Gesundheit. Vor allem geraten durch Corona jedoch viel wichtigere Themen, wie die ungeklärte Flüchtlingslage etwa auf Lesbos oder die Vorgänge in den Townships von Johannesburg völlig aus dem Fokus.
Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona- Pandemie? Können Sie ihr auch etwas Positives abgewinnen?
Meine anfängliche Verzweiflung, der Ärger und meine Trauer über die Absagen sind dem positiven Gefühl des Zusammenhalts mit der Familie gewichen. Ich versuche meine Energie in Sport, allein und mit meiner Tochter zu stecken und neues Repertoire auszugraben, um meine positive Energie zu kanalisieren. Auch bei mir gab es beruflich etliche Absagen, das ist hart, künstlerisch, aber vor allem auch finanziell. Es ist ungewiss, wann der normale Theaterbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ob und wie die einzelnen Institutionen diese Krise überstehen. Die ersten Sommerfestivals werden auch gerade abgesagt, so sprechen wir über Verdienstausfälle von mehreren Monaten, ja fast schon einem halben Jahr. Ich bleibe derweil hoffnungsvoll und schaue zuversichtlich in die Zukunft.
Womit verdienen Sie sich normalerweise Ihre Brötchen? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen?
Als Opern- und Konzertsängerin bin ich seit über 10 Jahren hauptberuflich tätig. Seit vier Jahren arbeite ich nebenbei auch als Motivationstrainerin. Im Moment prüfe ich, wie ich über Webinare meine Coachings aufrecht erhalten kann. Das Unterrichten über Skype funktioniert schon gut. Die Einführung oder eine Testphase der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens war noch nie greifbarer. Ich hoffe: nein wünsche, dass die Petition auf ein offenes Ohr trifft. Denn nicht nur wir Künstler bräuchten das dringend! Es ist die einmalige Chance umzudenken, unsere Gesellschaft neu zu ordnen, Löhne anzupassen, in allen Bereichen nachhaltiger zu leben, zu denken, zu wirken. Ich wünsche mir, dass diese Katastrophe dazu am Ende wenigstens gut gewesen sein wird.
Wie gelingt es einem Musiker/Sänger, ohne Publikum bei Laune zu bleiben?
Mir ist mein Publikum sehr wichtig und ich vermisse es. Die Publikumsrezeption verändert sich in diesen Tagen. Es gibt zahlreiche Aufführungen, die online gestreamt werden. Diese werden sehr gut angenommen. Ich nutze jetzt die Zeit, um Videos meiner Auftritte zu produzieren und diese für mein Publikum online zur Verfügung zu stellen. Da ich ein positiv denkender und sehr optimistischer Mensch bin, fällt es mir leicht, „bei Laune“ zu bleiben. Ich kann innehalten, mal nachhorchen, was ich will, was meine langfristigen Ziele im Leben sind, sie gegebenenfalls erweitern und schauen, wo ich meine Aufgabe in der Gesellschaft habe und in Zukunft stärker einnehmen kann. Dabei kommt gewiss keine schlechte Laune auf.
Eine Frage, die mich als Ärztin sehr interessiert: Mit welchem Musikwerk stimulieren Sie Ihr Immunsystem?
Wollen Sie eine ehrliche Antwort? Ich tanze mit meiner Familie fast jeden Tag zu „Go West“ und zu „They don’t really care about us“. Jeder sing laut mit und ist Choreograf. Wunderbar! Ich genieße es aber auch, täglich Zeit zu haben, um mal tiefgründiger Klavier zu spielen. Ich bin da so vertieft in die Stücke, dass ich alles um mich herum vergesse, manchmal auch das offene Fenster. Wenn sich die Nachbarn dann noch für das schöne Konzert bedanken, habe ich noch mehr Grund zur Dankbarkeit.
Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebot, die Sie uns dringend empfehlen würden?
Wer sie noch nicht gelesen hat, dem lege ich die beiden dystopischen Romane von Magret Atwood (Handmaid’s Tale/ The Testaments) ans Herz. Gerade habe ich von Daniela Krien Die Liebe im Ernstfall ausgelesen und bin im Moment literarisch in meiner Heimat in Dresden Blasewitz mit Ingo Schulzes neuem Roman Die rechtschaffenden Mörder unterwegs. Schon nach 95 Seiten kann ich das Buch sehr empfehlen.
Ebenso, wie die dystopische TV-Serie Years and Years, ein absolutes MUST SEE mit Emma Thomson. Ich höre mich derzeit durch Elisabeth Schwarzkopfs Gesamtausgabe.
Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo sehen Sie sich in einem Jahr?
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, dass wir diese Zeit überstanden haben, mittendrin in spannenden Inszenierungen, neue Opernrollen und einzigartige Konzerte singend.
Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prognostizieren. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie ist ihre Vision?
Unbedingt. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft gestärkt und mit einem neuen Wertekatalog ausgestattet, aus dieser Krise heraustreten. Und dass ein Umdenken stattfindet, ein jeder begreift, dass billiger nicht langfristig besser ist, sondern Ökologie, Glokalisierung, Nächstenliebe und Gerechtigkeit unser Barometer sind. Wir haben global so viele Aufgaben zu bewerkstelligen! Die Corona-Krise hat der Natur vielleicht eine kleine Atempause verschafft, aber im Bereich des Klimaschutzes gibt es noch unheimlich viel zu tun. Die Kriege müssen aufhören. Wir sollten uns nicht an der Armut unserer Mitmenschen bereichern, sondern ein Miteinander und Füreinander leben. Die Kunst ist der Tröster der Seelen und entfacht die Leidenschaften. Der Raum klingt nicht, wenn er leer ist: Das Mitatmen fehlt und das brauchen wir und als Sänger doch gleich dreifach. Menschlichkeit und Liebe lassen unsere Seelen klingen. Jeder kann das für sich selbst jeden Tag neu wählen. Wir haben es in der Hand.
Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für ihren ersten Auftritt haben sie drei Wünsche frei: Wo, in welcher Produktion und mit wem teilen Sie die Bühne?
Bayreuther Festspiele, Senta (Fliegender Holländer) unter der Leitung von Christian Thielemann.
Petra Spelzhaus, 30. März 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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