Vielleicht ist die Frage nach der Verbindung von Medizin und Musik aber doch ganz simpel zu beantworten: Beides heilt.
von Dr. Petra Spelzhaus
Es war einer meiner ersten Jazzworkshops in Einschlingen, einem Randbezirk von Bielefeld. Meine damalige Zimmernachbarin, eine Musiklehrerin, bemerkte eines Abends, sie habe das Gefühl, in einem Schullandheim für Ärzte zu sein. Diese Behauptung war mir nicht neu, hörte ich doch schon häufiger von einer Ärzteschwemme an Musikinstrumenten. Ist da tatsächlich etwas dran?
Mittlerweile suche ich seit über einem Jahrzehnt alljährlich diesen verheißungsvollen Ort am Teutoburger Wald auf, um mit etwa 50 weiteren Musik-Verrückten und der Jazzpolizei in Form der Dozenten den Geheimnissen der Rhythmik, Dynamik, Phrasierung, Sound und den unendlichen Skalen im Jazz auf die Schliche zu kommen.
Da sind sie wieder: Der Notarzt, der das Martinshorn gegen eine Trompete eingetauscht hat. Der pensionierte Kinderarzt, der nicht mehr ohne Kanister Rotwein anreist, da wir seinen Nicht-Geburtstag Jahr für Jahr exzessiv feiern. Der Psychiater, der sanft die Gitarrensaiten zupft und den Pausengesprächen einen ungeahnten Tiefgang verschafft.
Ich hingegen scheine mit meinen Trompetenexzessen meine Jazzfamilie so zu verspannen, dass ich postwendend regelmäßig blockierte Wirbel lösen und Muskeln lockern darf. Man muss aber nicht immer studiert haben: Seit vielen Jahren teile ich mir das Zimmer mit meiner alljährlichen Ein-Wochen-Ehe, einer radiologisch-technischen Assistentin. Wir haben gemeinsam eine perfektionierte Technik entwickelt, ein legendäres geordnetes Chaos in unserem Raum zu verbreiten.
Mit dem Osteopathen am Saxophon durfte ich mich schon in mehreren Bands duellieren. Eine medizinische Fußpflegerin lockte ich von einem anderen Workshop in die Stadt, die nicht existiert. Apropos der andere Workshop: Der fand im bayrischen Burghausen statt. Drei Mädels meldeten sich einst beim Schlagzeug-Dozenten für die Freejazz-Combo an. Als dieser sich wunderte, wo die spontane Harmonie herkam, fragte er nach unseren Berufen: Zwei Ärztinnen und eine medizinische Fußpflegerin. Er nickte: „Das erklärt alles.“
Aber nicht nur in der Jazzmusik treibt sich das medizinische Personal herum. Man findet es ähnlich häufig in Rockbands und in der klassischen Musik, in Symponieorchestern und Chören. Fragt man angehende Studenten nach ihrem Studienwunsch, bekommt man häufig zur Antwort, dass sie sich zwischen Medizin und Musik entscheiden. Manche studieren gleich beides.
Woher kommt also die Liaison von Medizinern und Musik?
Auf einer Fortbildung dozierte ein Notarzt, der bei den Gigs der großen Pop- und Rockstars Dienst schob. Er sah eine wesentliche Übereinstimmung in der Psychokonstellation bei Ärzten und Musikern: In beiden Fällen findet man eine narzisstische Akzentuierung. Ein interessanter Ansatz, den man zumindest als Trompeterin nicht ganz von sich weisen kann.
Im Studium wurden wir Mediziner als diejenigen bezeichnet, die auch Telefonbücher auswendig lernen würden. Diese Penetranz ist äußerst hilfreich, wenn man sich als Musiklernender stundenlang durch die Etüden quält. Andererseits hat das Musizieren positive Auswirkungen auf die Neuroplastizität, das heißt, das Gehirn wird besser vernetzt. Sehr praktisch, um ein Medizinstudium durchzustehen. Es werden zudem vermehrt Endorphine, die Glückshormone und Oxytocin, das Bindungshormon (dieses insbesondere beim gemeinsamen Singen im Chor), ausgeschüttet. Über die tief empfundenen Emotionen beim Hören und Machen von Musik wird ein angstauslösender Bereich des limbischen Systems gehemmt. Da besagter Hirnabschnitt auch für das Lernen verantwortlich ist , geht dieses dann gleich viel lockerer von der Hand.
Ein anderer Aspekt ist sicherlich, dass medizinisches Personal – nicht nur in der jetzigen Krise – in seiner Freizeit – durchaus von entspannenden Tätigkeiten profitiert. Was wäre da geeigneter, als sich an sein Instrument zu setzen und selbstverloren nur dem Fluss der Musik hinzugeben? Ein wunderbares Immunstimulans!
Vielleicht ist die Frage nach der Verbindung von Medizin und Musik aber doch ganz simpel zu beantworten: Beides heilt.
Dr. Petra Spelzhaus, 6. April 2020, für
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Spontan sprang Dr. Petra Spelzhaus bei der Jazzahead 2019 für eine erkrankte Kollegin ein und berichtete vom Partnerland Norwegen für klassik- begeistert.de . Weitere Beiträge als Autorin folgten. Schon früh entstand der Kontakt zur Musik. Kaum dass Petra sprechen konnte, kannte sie schon sämtliche Komponisten ihres Quartett-Kartenspiels auswendig. Sie versuchte sich seit ihrer Kindheit an diversen Instrumenten, bis sie als Jugendliche auf ihre große Liebe, die Trompete, traf. Nach zunächst klassisch ausgerichteter Ausbildung stieß die gebürtige Bremerin auf Jazz- und Weltmusik. Da war ihr klar: „Ich will musikalisch frei sein und improvisieren!“ Namhafte Professoren besaßen die Geduld und nahmen sich ihrer an. Die Erkenntnis reifte: Je leichter und freier Musik klingt, desto mehr Schweiß steckt dahinter. Getreu ihrem Motto „Life is Jazz“, möchte die ganzheitlich tätige Ärztin Auge und Ohr auf klassik-begeistert.de weiten und der Jazzmusik Gehör verschaffen. Dr. Petra Spelzhaus ist Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin und Jazztrompeterin, sie lebt und arbeitet in München.