Meine Lieblingsoper (7): "Die Walküre" von Richard Wagner

Meine Lieblingsoper (7): „Die Walküre“ von Richard Wagner  klassik-begeistert.de, Staatsoper Hamburg

Die größte aller Brünnhilden war natürlich die unvergleichliche Birgit Nilsson. Ihre Stimme flutete den Raum, wie weißglühender, gleißender Stahl durchbrachen ihre hochgelegenen Töne die Orchesterwogen, sie verfügte zudem über eine wunderbar ansprechende, farbenreiche Mittellage, mit der sie ihren Vater Wotan besänftigte… Die Inszenierungen sind heute zum Teil kaum noch zu ertragen, wie der dritte Aufzug in der Hamburger Inszenierung von Claus Guth mit verlausten, sich  in einem Keller eines zerbombten Hauses versammelnden Walküren.

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

von Dr. Ralf Wegner
Foto: Die Walküre – Bayreuther Festspiele 2018, (c) Enrico Nawrath

Es war 1967, als ich mir meine erste Schallplatten-Gesamtaufnahme kaufte. Es handelte sich um die Karajan-Einspielung der „Walküre“ mit der unvergleichlichen, silbrigfarbenen, gleichmäßig fließenden, fast vibratofreien Stimme von Gundula Janowitz als Sieglinde. Die LP-Kassette kostete damals 125 Mark, das lag 35 Mark über dem Wehrsold, den ich damals als Wehrpflichtiger nach dem Abitur erhielt. Diese Aufnahme war mir also viel wert.

Warum „Die Walküre“ und nicht eine andere Oper? Die Musik war einfach faszinierend, jeder der drei Aufzüge fast eine eigene Oper. Außerdem ist Wagners unterliegender Text ausgesprochen eingängig und wegen des Vokalreichtums so kantabel.

Jeder Sänger, jede Sängerin wird gefordert, es gibt keine unwichtigen Nebenpartien, selbst die Walküren wie z. B. Gerhilde (Judith Beckmann, Danielle Halbwachs, Hellen Kwon), Helmwige (Annabelle Bernard, Anna Alexieva), Ortlinde (Evelyn HerlitziusKaterina Tretyakova) oder Siegrune (Carol WyattKatja Pieweck) und Roßweiße (Hanna Schwarz 1975) müssen mit Spitzensängerinnen besetzt sein.

Selbst wenn die sängerische Leistung zu wünschen übrig ließ wie zum Beispiel bei Hans Beirer (1967-1970) am Ende seiner Karriere als Siegmund, überwältigte der dritte Aufzug, wenn Theo Adam als Wotan die Bühne dominierte (1967, 1969).  Beirers Stimmemission war zwar stets schallstark, der Stimmklang auch heldisch grundiert, sein die Ohren übermäßig quälendes, waberndes Vibrato bekam er allerdings kaum noch in den Griff.

Einen guten Siegmund erlebt man selten, Peter Hofmann war einer, allerdings sah ich ihn nur in der Bayreuther Fernsehversion. Jess Thomas (Berlin 1968) war gut, ebenso Siegfried Jerusalem (1997), vor allem aber Klaus Florian Vogt, der 2012 in einer Münchner Aufführung alle anderen Protagonisten überragte.

© Klaus Florian Vogt

Warum gefiel mir diese kindlich-helle Stimme? Siegmund bricht wie ein Außerirdischer in Sieglindes Leben ein; Vogts heller, in der Höhe glanzvoller Stimmklang hat dieses Außerirdische. Er ist der rettende Engel, dem sich Sieglinde bedingungslos und ohne an die Folgen zu denken hingibt. Warum sollte Sieglinde jemandem wie Hans Beirer oder vielen anderen schwergewichtigen Heldentenören folgen? Sie sucht nicht den kraftvollen Helden, sondern jemanden, der sie in ihre Traumwelt entführt, einen Spiegel, in dem sie sich selbst erkennen kann. Bei Siegmunds kraftvollen Wälserufen ist sie nicht auf der Bühne anwesend, sie schmilzt bei den lyrischen „Winterstürmen“ dahin.

Auch Johan Botha (Bayreuth 2015)  muss erwähnt werden. Seine gesangliche Kompetenz mit ausgesprochen schönstimmigen „Winterstürmen“ halfen über seine darstellerischen Einschränkungen mehr als hinweg. Außerdem beeindruckte er, zumindest das Publikum, mit schallstarken und lang gehaltenen Wälserufen.

Bothas Sieglinde war Anja Kampe wie auch bei der vorgenannten Münchner Aufführung (2012). Ganz überzeugend fand ich sie nicht. Im Gegensatz zu Ingrid Bjoner (1969), Helga Dernesch (1969, 1970), Linda Plech (1993, 1994), Waltraud Meier (1995) oder Nadine Secunde (1997, 1998). Zuvörderst ist aber die auf der Bühne unvergleichliche Leonie Rysanek (1975, 1978) zu nennen, die mit ihrem orgiastisch klingenden Erlösungsschrei beim Ziehen Nothungs aus der Esche Sieglindengeschichte schrieb. Mich wundert, dass sie keine Nachahmerin fand. Viele Jahre  sehnt Sieglinde diesen Moment herbei, und als es passiert, schaut sie nur zu; ist das psychologisch plausibel?

Waltraud Meier (hier als Klytämnestra), Simina Ivan (Vertraute), Zoryana Kushpler (Schleppträgerin)
© Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Da Wagners Werke durchkomponiert sind, fällt es schwerer als bei Verdis Opern, die Höhepunkte herauszugreifen. Von einem gelegentlichen Durchhängen bei Wotans Erzählungen im zweiten Aufzug ist eigentlich alles in der „Walküre“ Höhepunkt. Trotzdem seien Trittsteine genannt: Im ersten Aufzug Siegmunds Wälserufe und sein „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, im zweiten Aufzug Brünnhildes Hojotoho-Rufe, die Todesverkündung „Sieh auf mich, ich bin’s, der du folgst“ und Sieglindes „Kehrte der Vater nur Heim“, im dritten Aufzug der Walkürenritt, die Szene Sieglinde – Brünnhilde beginnend mit „Nicht sehre dich Sorge um mich“ … „ein Wälsung wächst dir im Schoß“ … „Rette mich Kühne, rette mein Kind“, Brünnhildes Schuldeingeständnis „War es so schmählich, was ich verbrach“ und schließlich Wotans Schlussequenz „Loge hör“. Hunding und Fricka tragen eher Szenisches zur Handlung bei.

Mit Arnold van Mill, Karl Ridderbusch, Martti Talvela, Matti Salminen und immer wieder Kurt Moll (zwischen 1975 und 1997) waren stets die besten Bässe aufgeboten. Mit diesen konnten andere Sänger später nicht mehr recht konkurrieren, abgesehen von Alexander Tsymbalyuk, der den Hunding in Hamburg 2018 sang. Fricka ist der Motor der Handlung in der „Walküre“, wenngleich sie zunächst von Wotan schachmatt gesetzt wird: „Wann ward es erlebt, dass leiblich Geschwister sich liebten?“ „Heut hast du’s erlebt“. Da Wagner bei Fricka musikalisch knauserte, sind Bühnenpräsenz und darstellerische Potenz neben einer guten Stimme entscheidend für den Erfolg der Fricka. Manche Fricka bekam früher den Unmut des Publikums zu spüren, wenn sie nicht über diese Kompetenzen verfügte. Nicht so zuletzt Mihoko Fujimura, die 2018 in Hamburg die Fricka schönstimmig und darstellerisch mit Würde sang. Auch Sophie Koch (München 2012) oder Violeta Urmana (1997) beeindruckten mit dieser Partie, vor allem aber Hanna Schwarz, die in den 1990er Jahren in einer Günter Krämer-Inszenierung immer wieder als Fricka auf einer Art römischen Streitwagen auf die Bühne fuhr und den Streit mit Wotan zu einem Höhepunkt der Oper werden ließ.

Neben Theo Adam (1967-1975) erlebte ich Donald McIntyre (1972, 1975) und Simon Estes (1993-1998) als hervorragenden  Wotan, ebenso Thomas Stewart (Berlin 1970) und in neuerer Zeit Falk Struckmann (2008, 2009). Der Stimme Wolfgang Kochs, der als Alberich oder Telramund hervorragend war, fehlte es als Wotan in Bayreuth (2015) meiner Meinung nach an Kantabilität, um auch gesanglich die väterlichen Emotionen im dritten Aufzug zum Ausdruck bringen zu können. Catherine Fosters Stimme als Brünnhilde in derselben Aufführung war dagegen brilliant, in allen Lagen rein und rund mit dem nötigen Volumen und in der Mittellage mit einer etwas dunkler grundierten Stimmfärbung.

© Wilfried Hösl, Catherine Foster

Die größte aller Brünnhilden war natürlich die unvergleichliche Birgit Nilsson (1969-1972). Ihre Stimme flutete den Raum, wie weißglühender, gleißender Stahl durchbrachen ihre hochgelegenen Töne die Orchesterwogen, sie verfügte zudem über eine wunderbar ansprechende, farbenreiche Mittellage, mit der sie ihren Vater Wotan besänftigte. Auch Catarina Ligendza (1970, 1975), Gabriele Schnaut (1993-1997) und Sabine Hass (1997) konnten als Brünnhilde überzeugen.

Birgit Nilsson

Unter den Dirigenten gefiel mir immer Simone Youngs zupackende, fast kämpferische Art, Kent Nagano wirkte dagegen lyrischer, ebenmäßiger. Unter allen gehörten Dirigenten (u.a. Petrenko, Fischer, Albrecht, Hollreiser, Maazel) begeisterte mich am meisten Horst Stein, der das Philharmonische Staatsorchester Hamburg zu Höchstleistungen motivieren konnte.

Die beste gesangliche Walküren-Aufführung zu benennen ist schwierig, vor allem kommt es auf die Kombination der Paare an, wenn die gut ist, werden die anderen mitgetragen. Die besten von mir (gleichzeitig) gehörten Wälsungen waren Jean Cox und Leonie Rysanek (1975), Poul Elming und Waltraud Meier (1995) sowie Siegfried Jerusalem und Nadine Secunde (1997); als Halbgeschwister beeindruckten am meisten Helga Dernesch und Birgit Nilsson (1969), Leonie Rysanek und Catarina Ligendza (1975) sowie Waltraud Meier und Gabriele Schnaut (1995); als Vater-Tochter Paar erinnere ich mich gern an Theo Adam und Birgit Nilsson (1969), Donald McIntyre und Birgit Nilsson (1972) sowie Simon Estes und Sabine Hass (1997).

Vergoldet die Erinnerung? Möglicherweise. Neben Höchstleistungen, die sich einem in jungen Jahren eingebrannt haben, verblassen gute Leistungen neuerer Sängerinnen und Sänger eher. Auch sind die Inszenierungen zum Teil kaum noch zu ertragen, wie der dritte Aufzug in der Hamburger Inszenierung von Claus Guth mit verlausten, sich  in einem Keller eines zerbombten Hauses versammelnden Walküren. Den Scheunenpalast der letzten Bayreuther Inszenierung von Frank Castor fand ich wegen des technischen Aufwandes beeindruckend, an andere Inszenierungen in Wien, München oder Berlin erinnere ich mich nicht mehr, allerdings an die erste Hamburger Walküre, ich meine sie war von Günther Rennert. Die auf einen langsam die Bühne umrundenden Gazevorhang projzierten Flammen entsprachen noch dem, was man einen Feuerzauber nennen kann. in späteren Inszenierungen war das eigentlich nur noch peinlich.

Dr. Ralf Wegner, Hamburg, 11. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner, Hamburg

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