CD-Besprechung: Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen (2018, NAXOS)
Jaap van Zweden: Dirigent
Hong Kong Philharmonic Orchestra
von Peter Sommeregger
Richard Wagners opus magnum, die Ring-Tetralogie komplett auf Tonträger zu bannen, erfordert auch heute noch einen erheblichen Kraftaufwand technischer wie künstlerischer Art.
Seit den Tagen Georg Soltis, der für die DECCA in den 1960er-Jahren den ersten im Studio eingespielten Ring dirigierte, haben sich die technischen Voraussetzungen für ein solches Großprojekt zwar sehr verbessert, aber das künstlerische Wagnis ist in Zeiten des unüberhörbaren Niedergangs der Gesangskultur ein noch erheblich Größeres.
Das höchst kreative und vielseitige Label NAXOS hat sich auf dieses Wagnis eingelassen und innerhalb von drei Jahren die vier Opern im Rahmen von konzertanten Aufführungen mitgeschnitten. Die künstlerische Gesamtleitung lag in den Händen des renommierten niederländischen Dirigenten Jaap van Zweden, der das Projekt mit dem von ihm geleiteten Hong Kong Philharmonic Orchestra realisierte. So entstand zwischen 2015 und 2018 der erste „Asiatische“ Ring, aufgenommen in der Concert Hall des Hongkonger Kultur-Centers.
Vokaler Star des Projekts war der Bariton Matthias Goerne, ursprünglich nur als erstklassiger Lied-Interpret bekannt, der sich aber über die Jahre ein zunehmendes Repertoire an Opernpartien erarbeitet hat. In diesen Aufnahmen singt er seine ersten Wotans, bzw. seinen ersten Wanderer. Neben Goerne wurde aber auch in fast allen anderen Rollen auf gestandene Wagner-Sänger zurückgegriffen, was besonders beim personenreichen Rheingold mit 14 Solisten zum Tragen kam und eine ausgewogene Ensemble-Leistung ermöglichte. Hervorheben kann man den Loge Kim Begleys, den Mime David Cangelosis und die Fricka Michelle De Youngs. Goerne gibt einen jugendlichen, eher sanften Wotan, der mit seinem samtenen Bariton Wohlklang verbreitet.
Auffällig ist der etwas behäbige und breite Ansatz von van Zwedens Dirigat. Das gibt dem Orchester aber Gelegenheit, die Wagner’schen Partituren gekonnt auszumusizieren, statt Effekthascherei zu betreiben.
Nach einem fulminanten Einstieg in das sturmbewegte Vorspiel zum ersten Akt Walküre nimmt van Zweden das Tempo in der Folge leider zu stark zurück. Dadurch droht der Spannungsbogen nicht gehalten zu werden, der musikalische Ablauf gerät zu episch. Der Australier Stuart Skelton und die Amerikanerin Heidi Melton singen idiomatisch erfreulich sauber und textverständlich, übertreffen dabei beinahe den Deutschen Falk Struckmann als Hunding. Die berüchtigten zweimaligen Wälse-Rufe dehnt Skelton über rekordverdächtige 12 Sekunden, schon nahe an Lauritz Melchiors Leistung, aber längst nicht so schön wie der legendäre Däne. Trotzdem gilt der Tenor heute als vielleicht größte Hoffnung unter den Wagner-Tenören. Er und Melton bilden im Finale des ersten Aktes ein echtes Power-Paar, wobei bei ihm eine Tendenz zum Pressen, und bei ihr ein unüberhörbares Tremolo den Hörgenuss etwas schmälern.
In der Wotan-Brünnhilden-Szene zu Beginn des zweiten Aktes kann Goerne erneut mit dem Farbenreichtum seines Bass-Baritons punkten. Petra Lang liefert ihre Hojotoho-Rufe routiniert, aber glanzlos ab. Ihre Stimme, die erst vor wenigen Jahren vom Mezzo- ins Sopranfach wechselte, klingt doch schon reichlich strapaziert. Der Auftritt von Michelle De Young als Fricka ist ebenfalls kein Ohrenschmaus, auch hier hört man ein sprödes, abgesungenes Material ohne Glanz. In der Todverkündung überzeugt Skelton erneut mit kräftigem Tenorstrahl, wogegen Lang mehrfach die Register wechselt, die Mezzotiefen liegen ihr doch mehr, als die exponierte Höhe.
Der Walkürenritt gerät van Zweden ein wenig beliebig, ein echter Spannungsbogen will sich durch das breite Tempo nicht aufbauen. Die 8 Walküren entledigen sich ihrer Aufgaben passabel. Petra Langs Brünnhilde wirkt im dritten Akt bereits deutlich erschöpft, die Stimme gerät mehr und mehr aus dem Fokus. Die deutlich jüngere Heidi Melton hat ihrerseits auch schon mit einem bedenklichen Tremolo zu kämpfen.
Matthias Goernes Wotan erreicht ein hohes Maß an Farbenreichtum und Differenzierung im Ausdruck. Der Künstler profitiert deutlich von seiner Erfahrung als Liedsänger. Wotans Abschied gelingt ihm vokal überzeugend und klangschön.
Fazit dieser Walküre ist die deutliche Dominanz der Männerstimmen, die drei Damen klingen sämtlich unfrisch und an ihren stimmlichen Grenzen singend.
„Siegfried“ ist der vielleicht problematischste Teil der Tetralogie. Textreich und handlungsarm bedarf es schon erstklassiger Sänger, um diese gut vier Stunden schmackhaft zu machen. Der neuseeländische Tenor Simon O’Neill ist in den letzten Jahren zu einem der gefragtesten Interpreten dieser Partie geworden. Sein kräftiger, sicher geführter Tenor prädestiniert ihn für diese allein schon durch ihre Länge herausfordernde Rolle. Als Mime treffen wir wieder auf David Cangelosi, der genau den Ton des bösartigen Zwerges trifft. Ein wenig störend ist nur die Ähnlichkeit von Cangelosis und O’Neills Timbre, in den gemeinsamen Szenen kann man sie kaum auseinanderhalten, aber beide singen kraftvoll und gut verständlich.
Das „Waldweben“ im zweiten Akt gelingt atmosphärisch dicht, der Gesang des Waldvogels besitzt den angestrebten Wohlklang, für den Valentina Farkas verantwortlich zeichnet.
Matthias Goerne stattet den Wanderer mit der nötigen stimmlichen Autorität aus, im dritten Akt gelingen ihm im Dialog mit Erda wunderschöne, berührende Momente. Deborah Humbles Urmutter orgelt dazu mit ihrem satten Mezzosopran, diese Szene ist eines der Highlights der gesamten Aufnahme.
Siegfried findet am Ende auf dem Felsen eine ausgeruhte Brünnhilde, für die Heidi Melton besser disponiert scheint, als für die Sieglinde in der Walküre. Die von vielen Sopranistinnen unterschlagenen Triller und die Attacke gelingen ihr ausgezeichnet. Das krönende, aber auch gefürchtete Schluss-C singt sie zwar, aber es gerät ein wenig kurz und nicht unbedingt schön.
Zum Auftakt der „Götterdämmerung“ gestalten die drei Nornen Sarah Castle, Stephanie Houtzel und Jenufa Gleich eine dichte, schön gesungene Nornenszene. Im großen Duett Siegfrieds mit Brünnhilde wird praktisch das Schluss-Duett des Siegfried konterkariert, allerdings trifft man auf andere Sänger. Daniel Brenna, amerikanischer Wagner-Tenor verfügt durchaus über den erwünschten Tenor-Strahl, nur seine Diktion ist teilweise gewöhnungsbedürftig. Gun-Brit Barkmin gestaltet die Brünnhilde in menschlichem Format eher lyrisch. Das Duett gelingt beiden Sängern ausgezeichnet, auch der Schlusston kommt sicher und souverän.
Bei den Gibichungen erfreut die Gutrune Amanda Janewskis mit frischem, jugendlichem Sopran, als Gunther ist der chinesische Bass-Bariton Shenyang zu hören, der sich mühelos in das Ensemble einfügt und dem mit Brenna ein kraftvolles Schwurduett gelingt. Eric Halfvarson bringt in Hagens Wachtgesang ungewollt ein massives Tremolo ein, auch die Wortdeutlichkeit lässt bei ihm zu wünschen übrig. Gleiches gilt für die Waltrauten-Erzählung Michelle De Youngs. Die Sängerin scheint deutlich über dem Zenit ihrer Karriere angekommen zu sein. Auch Halfvarson verschenkt in der Folge Hagens große Szene mit dem ausgezeichneten Chor der Bamberger Symphoniker, verstärkt durch den Latvian State Choir. Der Bass, der in dieser Szene deutlich dominieren sollte, kann sich hier nicht gegen den stark besetzten Chor durchsetzen.
Im Finale des zweiten Aktes kann Gun-Brit Barkmin , obwohl nicht wirklich eine Hochdramatische, mit schönen, sicheren Spitzentönen aufwarten. Sie verkörpert eine Brünnhilde von menschlichem Maß und hält klug Haus mit ihren Mitteln. Den Eid auf den Speer leisten sie und Brenna eindrucksvoll, die Szene markiert den dramaturgischen Höhepunkt der Oper.
Im dritten Akt begegnet man erneut den Rheintöchtern Eri Nakamura, Aurelia Varak und Hermine Haselböck, die vom Timbre her gut abgestimmt zu den Aktivposten der Besetzung zählen. Daniel Brenna hat in Siegfrieds Sterbeszene seine stärksten Momente, hier kann er sowohl den metallischen Kern seiner Stimme zeigen, als auch seine lyrische Gestaltungsfähigkeit. Der Trauermarsch gelingt Van Zweden mit der notwendigen Wucht und Eindringlichkeit, hier kann das Orchester demonstrieren, dass es den Vergleich mit Europäischen Opernorchestern nicht scheuen muss.
Barkmins Brünnhilde läuft im finalen Schlusstableau zu großer Form auf. Die Brünnhilde ist sicher eine Grenzpartie für die Sängerin, aber sie versteht es, den Abgesang auf Wallhalls Götter mit ihrem farbenreichen Timbre sehr individuell zu gestalten, zum Teil völlig gegensätzlich zu den heute vorherrschenden Kampf-Sopranen, die sich diese Rolle schreiend zu erobern versuchen. Saubere Phrasierung und große Textdeutlichkeit sind ein weiteres Plus ihrer Interpretation.
In der Summe eine interessante Alternative zu den auf dem Markt befindlichen Aufnahmen. Die Männer haben in dieser Einspielung die (qualitative ) Nase vorn, am Ende verbessert Barkmin aber mit ihrer Leistung die Bilanz der Sängerinnen. Die Ausstattung der Box ist eher spartanisch, aber wer bräuchte ernsthaft noch ein weiteres Wagner-Libretto? Der Preis ist, wie bei NAXOS üblich, sehr moderat.
Peter Sommeregger , 16. April 2020, für
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