Foto: © Tomasz Konieczny
Obwohl er eigentlich Regisseur werden wollte, landete er bei der Musik –quasi zufällig, wie er sagt, über Umwege. Tomasz Konieczny singt an allen bedeutenden Opernhäusern dieser Welt: Metropolitan Opera New York, Bayerische Staatsoper, Mailänder Scala und natürlich an der Wiener Staatsoper, von wo aus seine internationale Karriere begonnen hat. Ob der Pole, der zurzeit in Wien weilt, weiterhin so oft an der Wiener Staatsoper auftreten wird wie bisher, welchen Stellenwert der Wotan in seiner Karriere hat und ob er Dominique Meyer an die Scala folgen wird, darüber spricht er mit klassik-begeistert.de .
Interview: Jürgen Pathy
Grüß Gott, Herr Konieczny. Sie haben mal gesagt, obwohl Sie nicht im Ensemble sind, fühlt sich die Wiener Staatsoper für Sie so an, als wäre es ihr Zuhause. Wie sieht ihre Beziehung zur Wiener Staatsoper, an der sie so große Erfolge gefeiert haben, aus?
Vor 14 Jahren habe ich bei Ioan Holender, der damals als Direktor im Amt gewesen war, vorgesungen. Ich kann mich noch gut erinnern. Es war Wotans Schlussgesang vom „Rheingold“. Ich hatte mich sofort in die Akustik des Hauses verliebt – aber sofort! Es war ein Eindruck, als ob ich ein Theater gefunden hätte, was für mich gemacht wurde – ein Haus, wo meine Stimme gänzlich klingt. Es war mit Abstand mein bestes Vorsingen gewesen, das ich bis dahin gemacht habe.
Was ist das Besondere an der Akustik der Wiener Staatsoper?
Es ist ein großer Raum, mit sehr großzügigen Oberflächen. Häuser wie diese sind für mich immer explizit sehr gut. Man braucht eine große Stimme, um durch das Orchester durchzukommen. Vor allem in der Wiener Staatsoper, wo das Orchester fast auf Parkett-Niveau sitzt. Nicht irgendein Orchester, sondern die Wiener Philharmoniker, die auf jeden Fall mein Lieblingsorchester sind. Die spielen hervorragend, die sind fantastisch. Allerdings muss man wissen, wie man mit ihnen umgeht als Sänger. Wenn man das weiß, ist es das beste Orchester der Welt!
Sie haben den Wotan erwähnt. Ab der kommenden Saison übernimmt Bogdan Roščić das Kommando in der Wiener Staatsoper. Was sagen Sie dazu, dass Sie nun nicht mehr als Wotan dabei sind?
Nun ja. Es ist das Recht einer neuen Direktion, dass sie eigene Sänger bringt. Das ist völlig legitim. Allerdings hängt das vermutlich nicht mit meiner Person zusammen, sondern mit dem Repertoire, das die neue Direktion bringen wird. Immerhin werde ich nächste Saison den Jochanaan singen.
Den Wotan habe ich an der Wiener Staatsoper zum ersten Mal 2011 gesungen. Es war der Walkürenwotan, am 5. Juni 2011. Seit dem habe ich den Wotan jedes Jahr gesungen – ganze 34 Mal! Natürlich finde ich es schade. Aber ich singe die Partie auch woanders. Einen kompletten „Ring“ wird es vorerst an der Wiener Staatsoper sowieso nicht geben – nur die „Walküre“.
Wissen Sie, ob Bogdan Roščić eine Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ plant?
Ich weiß es nicht genau, ob diese Inszenierung bleibt. Was ich gehört habe und in Interviews gelesen, möchte der neue Direktor einen neuen „Ring“ bringen. Das will auch jeder neue Direktor der Wiener Staatsoper. Aber das ist gar nicht so einfach. Eine Neuinszenierung birgt immer ein gewisses Risiko.
Man kann die größten Namen, die Top-Regisseure, die Besten der Besten engagieren, eine Garantie für einen Erfolg gibt es keine. Umgekehrt kann es sein, dass völlig unbekannte Sänger mitspielen, und es kann ein Kunstwerk, ein Erfolg werden. Das ist in unserem Beruf so – es ist eine geheimnisvolle Welt, und das ist auch gut so. Theater muss sehr lebendig sein, überraschend!
Wie bei mir damals. Als mich Ioan Holender 2008 in der Bechtolf-Inszenierung als Alberich in der Premiere von „Siegfried“ gesehen hat, hat er auf der Open-Party danach gesagt: „A star was born!“ Was will ich damit sagen: Theater ist Leben. Es entstehen immer neue Ereignisse, neue Namen. Damals war ich ein junger, recht unbekannter Sänger gewesen. Dennoch wurde dieser „Ring“ zu einem Erfolg.
Was sagen Sie zu dieser Ring-Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf?
Es ist eine gute, eine tragende Inszenierung. Es wird sehr schwierig werden, in Wien einen „Ring“ zu inszenieren, der besser ist – da bin ich mir ganz sicher! Die Inszenierung hat sich mehrfach bewiesen. Der größte Vorwurf, den es für diese Inszenierung gegeben hat, war, dass die zusätzlichen Deutungen fehlen. Sie sei so einfach gemacht, wie es im Buch steht. Meiner Meinung ist das jedoch kein Vorwurf, sondern genau das Richtige.
In dieser Inszenierung gibt es einen Moment, der etwas skurril wirkt. In „Siegfried“ vergisst der Wotan beinahe seinen Speer. Was hat das zu bedeuten? Ist das Bechtolfs Einfall gewesen?
Das ist definitiv von Bechtolf. Und wie alles bei Bechtolf ergibt es einen Sinn. Es ist eine Andeutung, dass der Speer für Wotan nicht so wahnsinnig wichtig ist. Der Speer ist für den Wotan sogar unangenehm. Der Speer ist ein Hindernis, das im Weg steht, um den Ring wiederzuerlangen. Wenn Wotan den Speer loswird, ist er nicht mehr durch Verträge gebunden. Dadurch kann er womöglich den Ring wiedererlangen – was sein größter Traum ist!
Es ist ein bisschen wie bei Tschechow – die Helden sprechen nicht immer, was sie denken. Was der Wotan im „Siegfried“ sagt, ist nicht das, was er macht. Der Wotan sagt zwar, er möchte Siegfried den Weg zu Brünnhilde verwehren, damit dieser sie nicht weckt. Es ist aber genau umgekehrt! Nothung, das Schwert, ist notwendig, um zuerst den Ring zu gewinnen. Das tut Siegfried. Dann ist Nothung notwendig, um den Speer zu brechen. Es ist also eine doppelsinnige Deutung.
Welche Rolle spielt der Wotan in Ihrer Karriere?
Der Wotan ist meine Lieblingsrolle, mein Lebenswerk. Der Wotan ist eine Partie, die muss man als Lebenswerk sehen – anders wäre es falsch! Man kann nicht nur einfach die Partie lernen, auf die Bühne gehen und singen. Diese Partie benötigt Zeit. Man entwickelt sich in dieser Partie immer weiter. Man lernt neue Sachen kennen – alleine nur durch das Zuhören von Kollegen. Was da passiert ist faszinierend, wie sich die Leitmotive mit den verschiedenen Interpretationen zusammentun. Das ist wirklich hervorragend, großartig. Ich glaube, der Wotan ist größer als der Wagner als Person selbst. Der Wotan ist ein Mysterium, in dem unendlich viel drinnen steckt. Wenn es um den Wotan geht, werde ich mich ständig bemühen, alles zu tun, um meine Darbietungen zu verbessern – um meine Aussprache zu verbessern.
Ich denke, das merkt man auch. Letzte Saison (2018/19) haben Sie unter Axel Kober an der Wiener Staatsoper einen Walküren-Wotan gesungen, von dem viele behaupten, es sei der beste Wotan gewesen, den sie je gehört haben. Selbst Personen, die nicht unbedingt zu den „Konieczny-Fans“ zählen, waren begeistert. Merken Sie das selbst, wenn ein Abend voll aufgeht?
Ja, natürlich. Ich freue mich sehr, dass die Menschen sagen, der Konieczny hat sich verbessert. Ich lerne jedes Mal dazu. Es ist faszinierend. Wissen Sie, es gab einen Moment in Japan, wo wir als Gastspiel mit der Wiener Staatsoper gewesen sind. Da hatte der Konieczny auch einen riesigen Erfolg gehabt. Da haben die Journalisten plötzlich verstanden, was ich kann und ganz anderes darüber geschrieben als davor.
Woran lag es, dass die Kritiker zuvor etwas zweifelhaft geschrieben haben?
Naja, ich habe es schon verstanden. Ich war ein erfolgreicher Alberich in Wien. Plötzlich wollte dieser Alberich, der noch dazu kein Deutscher ist, sondern ein Pole, zum Wotan werden. Das kann manchen nicht passen! Der Alberich könnte unter Umständen ja durchaus ein Ausländer sein – das könnte man als Interpretation durchaus so betrachten. Aber nicht der Wotan.
Was machen Sie, um auch die Zweifler und Kritiker ruhigzustellen?
Wissen Sie, ich bin ein fleißiger Künstler. Ich arbeite ständig daran, meinen Ausdruck zu verbessern – am Wort selbst. Erst im Februar habe ich den Wotan fünf- oder sechsmal im Teatro Real de Madrid gesungen. Dort gab es einen Coach, eine Frau aus Deutschland, mit der ich an meiner Diktion gearbeitet habe. So eine Dame gab es auch letztes Jahr an der Met in New York. Ich arbeite ständig an den Sachen, die ich singe. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie lerne ich, wie viel ich noch verbessern kann.
Früher dachte ich, dieser Akzent wird immer zu hören sein. Jetzt denke ich ganz anders. Es gibt schon viele Möglichkeiten, die Aussprache zu optimieren, damit es für beide Seiten passt. Denn, es gibt Menschen, die die Eleganz vorziehen. Die stört es, wenn ein Wort falsch ausgesprochen wird, wenn es eine Verfärbung gibt – und das verstehe ich auch voll und ganz!
Wird man Sie weiterhin regelmäßig an der Wiener Staatsoper hören?
Es werden nicht so viele Auftritte werden, wie in den letzten Saisonen unter Dominique Meyer. Das war auch etwas Außergewöhnliches. Von März bis Mai hätten es fünf verschiedene Partien in acht Opern werden sollen. (Wotan/Wanderer; Cardillac; Don Pizarro; Caspar; Mandryka). Wie alle wissen, ist das aufgrund von Corona leider nicht möglich gewesen.
Ich bleibe der Wiener Staatsoper aber treu. Ein „Konieczny-Festival“, wie es einige mit etwas Hohn formuliert haben, wird es zwar nicht geben. Doch mir wurden für die nächste Spielzeit zwei Partien angeboten. Das freut mich sehr! Das zeigt, dass die neue Direktion wirklich vernünftig ist. Wenn man einen Sänger hat, der Erfolg hatte und den das Publikum mag, dann soll man auf solche Menschen nicht verzichten.
Wie bereits erwähnt, werde ich in der nächsten Saison den Jochanaan singen – der zählt auch zu meinen Lieblingspartien. Daneben wurde mir noch eine Partie angeboten, die ich wegen eines Gastspiels jedoch nicht wahrnehmen konnte. Welche Partie das gewesen wäre, möchte ich nicht sagen.
Von der Saison 2022/23 darf ich noch nicht sprechen, bevor das Programm offiziell bekannt gegeben wird, aber: Es wird auch in Zukunft Auftritte geben an der Wiener Staatsoper. Die Verbindung zur Wiener Staatsoper wird bleiben.
Was sagen Sie zum Konzept der neuen Direktion?
Mich freut es, dass ein schauspielerischer, ein theatralischer Reiz dazu kommt. Regisseure wie Calixto Bieito zum Beispiel und die Dramaturgie, die sich jetzt an der Theaterwelt orientiert, darauf freue ich mich sehr. Ich bin ja vom ersten Beruf Schauspieler. Theater ist mein Leben. Vielleicht kommen wir da irgendwie zusammen, damit wir gemeinsam etwas Interessantes gestalten können…
Sie haben Dominique Meyer angesprochen. Es ist kein großes Geheimnis, dass Dominique Meyer, der scheidende Direktor der Wiener Staatsoper ein großer „Konieczny-Fan“ ist. Wird er Sie nun an die Scala, die er seit März 2020 leitet, mitnehmen?
Es schmeichelt mir sehr, was Sie sagen. Von dem „Fan-Ding“ hatte ich aber keine Ahnung. Ich betrachte mich eher als guter Handwerker – nicht als Idol. Ich habe großen Respekt vor Dominique Meyer, der meine Karriere so gefördert hat. Dennoch: „Mitnehmen“, das gilt für den Konieczny, glaube ich, nicht mehr – der ist kein kleines Kind mehr. Mitnehmen kann man einen jungen Sänger, der gerade ins Ensemble aufgenommen wurde. Ich würde es anders formulieren.
Vielleicht ist der Dominique Meyer stolz darauf, dass er einen Sänger hat, dessen Karriere an der Wiener Staatsoper begonnen hat. Er hat den Schritt gewagt – damals, als ich noch ein Frischling war – aus einem Alberich, der ein großer Erfolg gewesen war, einen Wotan zu machen. Der wurde ebenfalls ein Erfolg. Er hat gezeigt, dass das funktioniert. Daraus wurde dann eine internationale Karriere – mittlerweile habe ich an der La Scala debütiert, an der Bayerischen Staatsoper und an der Met in New York. Mitnehmen, das ist also die falsche Formulierung…
Stellen wir die Frage ein wenig anders. Würde Dominique Meyer, wenn es Ihre Termine zulassen, Sie gerne öfters an der Scala sehen?
Zurzeit weiß ich von zwei Produktionen, die ich da singen soll. Genaueres darf ich dazu nicht sagen. Es ist auch alles ungewiss. Aufgrund der Coronakrise, wissen wir nicht genau, was da für die nächste Spielzeit auf uns zukommt.
Ich hatte schon in der Vergangenheit zwei erfolgreiche Produktionen an der Scala. Den Komtur in „Don Giovanni“, für den ich auch in Salzburg von Alexander Pereira engagiert wurde. Und den König in „Fierrabras“, eine wunderschöne Partie – allerdings beides Basspartien. Das habe ich jedoch bewusst zugelassen, um meine Stimme ein wenig zu entlasten.
Genauso wie der Wiener Staatsoper, bleibe ich also auch Dominique Meyer treu. Denn er hat mir an der Wiener Staatsoper wirklich geholfen. Er hat meine Karriere gefördert. Mit seiner Unterstützung wurde aus einem Frischling, der ich damals gewesen bin, ein Sänger, der auf eine internationale Karriere blicken kann. Dafür bedanke ich mich bei Dominique Meyer. Ich bin auch gebeten worden, für Dominique Meyer etwas in sein Abschiedsbuch zu schreiben. Da habe ich auch alles gesagt.
Jürgen Pathy, 22. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at,