Ritterbands Klassikwelt 16: Oper - Krimi – Realität

Ritterbands Klassikwelt 16  klassik-begeistert.de

„Covid-19 hat die schwedisch-dänischen Stereotypen auf den Kopf gestellt“

von Dr. Charles E. Ritterband:

Die Corona-Krise hat sämtliche Opernhäuser und Theater weltweit heimgesucht, doch die Arena di Verona hat tapfer eine Sommersaison auf die Beine gestellt. Allerdings mussten szenische Aufführungen auf kommendes Jahr verschoben werden. Namentlich Verdis „Aida“ – der einsame Hit unter sämtlichen Opernspektakeln. Dass der Suezkanal 1869 mit dem Auftragswerk des in Ägypten herrschenden Khediven Ismail Pascha mit Aida eröffnet wurde ist ebenso ein Mythos wie die Eröffnung der „Königlichen Oper“ in Kairo mit „Aida“ im selben Jahr: Das sogenannte Khedivial-Opernhaus wurde zwar mit einer Verdi-Oper eröffnet – es handelte sich allerdings um „Rigoletto“.

Zwei Jahre später erlebte die „Aida“ doch noch – in dem übrigens  von einem Schweizer Architekten Giacomo Lepori erbauten – Opernhaus ihre Uraufführung. Die „Aida“ lebt – doch das Kairoer Opernhaus brannte im Oktober 1971, fast genau 100 Jahre nach der Aida-Erstaufführung, bis auf die Grundmauern ab. Erst 1988 wurde auf der Nil-Insel Gezira das neue Opernhaus, ein Geschenk Japans, eröffnet – diesmal allerdings nicht mit einer Oper Verdis, sondern sinnvollerweise mit einer Aufführung aus der traditionellen japanischen Kabuki-Theatertradition.

Die Arie mit dem „hohen C“

Zurück zur „Aida“: Worum es in der grandiosen Pharaonen-Oper geht, weiß jedes Kind: Abgesehen von den obligaten Liebeskrisen um den Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien. Die Aktualität der berühmten „Nil-Arie“ mit dem gefürchteten „hohen C“ – ein Paradestück für viele der ganz großen Operndiven – dürfte den wenigsten Opernfreunden bewusst sein. Tatsächlich wäre es vor nicht allzu langer Zeit beinahe zum Krieg zwischen den beiden afrikanischen Staaten gekommen. Um den Nil.

Es geht um das weltweit größte Staudamm-Projekt am längsten Fluss der Erde: dem Nil. Das äthiopische Mega-Projekt sprengt alle Dimensionen: Der „Grand Ethopian Renaissance Dam“, zu 70 % fertiggestellt, wird fast zweimal so hoch wie die New Yorker Freiheitsstatue und so lang wie die Brooklyn Bridge. Im Staubecken mit 74  Milliarden Kubikmetern Fassungsvermögen hätte die ausgedehnte Stadt London bequem Platz. Das Elektrizitätswerk soll dereinst 6000 Megawatt produzieren und die Produktion Äthiopiens verdoppeln.

Das Nachbarland Sudan, das vom billigeren Strom zu profitieren hofft, unterstützt das Projekt. Ägypten, so der griechische Historiker Herodot, sei ein „Geschenk des Nils“. Noch heute ist das Land zu 90 % auf das Nilwasser angewiesen und leidet unter chronischem Wassermangel. Es vergeudet allerdings Unmengen von (staatlich subventioniertem) Wasser für die Landwirtschaft, nämlich 80 %; in Israel und Jordanien liegt diese Quote bei 50 %. Die äthiopisch-ägyptischen Spannungen nehmen zu; Kairo soll unter einer früheren Regierung sogar die Bombardierung des Staudamms erwogen und erst kürzlich eine Cyber-Attacke gegen die Computerzentrale lanciert haben.

„Corona-Krise“ auf skandinavisch

Öresundbrücke, (c) Wikipedia

 

Ungeahnte Aktualität erhielt nicht nur „Aida“, sondern auch der skandinavische Kult-Krimi „The Bridge“, in dem es um die 7845 Meter lange Öresund-Brücke zwischen dem schwedischen Malmö und der dänischen Hauptstadt Kopenhagen und vor allem um die Zusammenarbeit (und den Kontrast) zwischen schwedischen und dänischen Kriminalisten geht. In dem Krimi sehen die Schweden ihre dänischen Nachbarn als lebenslustig, eher unzuverlässig und ziemlich chaotisch – umgekehrt halten Dänen die Schweden für pflichtbewusst, dafür emotionslos und stur. Die Aktualität, genauer: Covid-19, hat diese Stereotypen auf den Kopf gestellt. Während die Dänen die Pandemie recht gut in den Griff bekommen haben, bewegen sich die Schweden dank ihrem „epidemologischen Eigensinn“ in der akuten Gefahrenzone: So hat Schweden nur einen Viertel der Einwohner beispielsweise Polens, dafür aber doppelt so viele Corona-Fälle – der „schwedische Sonderweg“ ist definitiv gescheitert.

Dr. Charles E. Ritterband, 12. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ritterbands Klassikwelt 11: „Va pensiero“ im Cyberspace statt auf „Goldenen Schwingen“

Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Sophies Welt (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Samstag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.

Charles E. Ritterband mit seinem Königspudel auf der Isle of Wight

Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 67, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin. Er schreibt seit 2017 für klassik-begeistert.de.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert