Foto: Elena Zhidkova © Joern Kipping
Pietro Mascagni, Cavalleria rusticana
Ruggero Leoncavallo, I Pagliacci
Staatsoper Hamburg, 22. September 2017
Josep Caballé-Domenech, Dirigent
Elena Zhidkova, Santuzza
Teodor Ilincai, Turiddu
George Gagnidze, Alfio
Renate Spingler, Lucia
Dorottya Láng, Lola
Alfred Kim, Canio
Hayoung Lee, Nedda
George Gagnidze, Tonio/Taddeo
Oleksiy Pachykov, Beppe / Arlecchino
Alexey Bogdanchikov, Silvio
Diese Oper ist wie Urlaub in Italien. Diese Oper ist Emotion. Leidenschaft. Liebe. Laster. Diese Oper ist unglaublich gut. Jeder Mensch sollte sie einmal in seinem Leben hören. Live. Und zwar so gut wie an der Staatsoper Hamburg: „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni.
„Jaaaaaa“, würde BILD wohl schreiben, „das war Weltklasse!“ Mensch, liebe Staatsoper Hamburg (die treue Besucher noch immer Hamburgische Staatsoper nennen), Du kannst ja richtig gut, wenn Du willst. Du lieferst Weltklassesänger. Du lieferst einen feinfühligen, engagierten Dirigenten. Du lieferst ein engagiertes Orchester. Und Du lieferst einen recht guten Chor…
…der allerdings mal einen Betriebsausflug zum Arnold Schoenberg Chor am Theater an der Wien machen sollte, um zu sehen, wie „richtig“ gut geht – wie Passion auch unter professionellen Chorsängern walten kann. 20 Arnold-Schoenberg-Chor Sänger, mehr sind es meist nicht im altehrwürdigen Theater an der Wien, liefern mehr Power und Präsenz als 70 Sänger des Chores der Staatsoper Hamburg. Da liegen Welten zwischen den Sängern, obgleich der Hamburger Chor einen richtig, richtig guten Chorleiter hat: Eberhard Friedrich, der den Chor der Bayreuther Festspiele auch in diesem Jahr wieder zu Weltklasseleistungen bewegen konnte. Und sorry, im Hamburger Chor singen zu wenig junge, frische, leidenschaftliche Stimmen. Die Mischung stimmt nicht ganz.
Aber genug der Kritik zum ersten Teil, der Cavalleria rusticana („Sizilianische Bauernehre) – eine Oper in einem Akt von Pietro Mascagni. Als literarische Vorlage diente ihm die gleichnamige Erzählung von Giovanni Verga aus der Novellensammlung Sizilianische Novellen. Das Libretto stammt von Giovanni Verga, Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci. Die Uraufführung fand am 17. Mai 1890 im Teatro dell’Opera di Roma (damals Teatro Costanzi) in Rom statt. Die Spieldauer der Oper beträgt nur etwa 70 Minuten. Die Oper spielt in einem sizilianischen Dorf – sehr schön die italienisch-historisierend erbauten Häusersilhouetten auf der Bühne – am Ostermorgen. Stilistisch gehört die Oper zum Verismus. Die „Cavalleria rusticana“ stellt auch einen wesentlichen Teil des dritten und letzten Teils der Mafia-Trilogie Der Pate von Francis Ford Coppola dar. Viele Bilder und Handlungen der Oper werden im Film zitiert. Das Intermezzo wurde als Eingangsmelodie für den Spielfilm Wie ein wilder Stier verwendet.
Also, lieber Hamburger Staatsopernchor, bitte nicht verzagen, Sie sind wirklich gute Sänger, aber bei dieser 70. Vorstellung seit der Premiere vom 28. Januar 1988 war leider (wieder einmal) zu hören und zu sehen, dass nicht alle Sänger mit einer Inbrunst an die Arbeit gingen, die für diese hoch emotionale Oper vonnöten, ja, die immer vonnöten ist in einem Opernhaus, dessen Leiter von einem europäischen Opernhaus der Champions-League-Klasse sprechen. Auch Betriebsausflüge an die Deutsche Oper Berlin, an die Bayerische Staatsoper in München und vor allem zu den Bayreuther Festspielen wären eine empfehlenswerte Maßnahme für die Hamburger Staatsopernsängerschaft. Dort sind die Chöre wirklich einen deutlichen Tick besser und präsenter.
Dabei hätten sich die Chorsänger an den drei Top-Solisten des Abends berauschen können – die gaben wirklich alles und lieferten eine Weltklasseleistung ab. Die Mezzosopranistin Elena Zhidkova als Santuzza, der Teodor Ilincai als Turiddu und der Bariton George Gagnidze als Alfio sangen sich in einen Rausch, amazing, wunderbar, so hätten sie auch in Wien, München, Berlin, Mailand, Paris, London und New York auftreten können – und da treten sie ja auf oder sind vor kurzem aufgetreten.
Herzlichen Dank, lieber Intendant Georges Delon, lieber Generalmusikdirektor Kent Nagano, dass Sie dieses Trio überzeugen konnten, fünf Abende in Hamburg zu bestreiten. So macht Oper Spaß. Da kommen auch Zuhörer, die in anderen Spitzenhäusern zu Gast sind oder zuhause von tollen Aufnahmen verwöhnt werden, voll auf ihre Kosten. Und live ist immer packender als daheim vor den Boxen.
Elena Zhidkova sang Note 1 mit drei Sternchen an diesem Abend: Eine ganz warme, volle, farbenreiche Stimme hat diese Frau zu bieten. Ihre Höhen waren zum Darniederknien schön, im tieferen Register sorgte sie mit ihrer warmen Stimme für Gänsehautgefühl. Eine bessere Werbung für Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg, Zhidkovas Heimat, gibt es nicht. Und jetzt der Hammer: Dieser Weltstar kommt wieder an die Staatsoper Hamburg: Im März und April 2018 singt sie fünf Mal die Amneris in Giuseppe Verdis vielleicht schönster Oper „Aida“. Auch in Berlin ist sie zu hören, an der Deutschen Oper, ab 18. Mai 2018: als Prinzessin Eboli in Verdis „Don Carlos“. Und zwei Mal an der bedeutendsten Oper der Welt: der Wiener Staatsoper – ab 19. Oktober als Cizí kněžna in Antonin Dvoráks Oper „Rusalka“ und ab 15. Juni 2018 als Ortrud in Richard Wagners magischer Oper „Lohengrin“. Allein diese Frau ist den Eintritt in diese tollen Häuser dreimal wert.
Die Note 1 mit ebenfalls drei Sternchen sang der Tenor Teodor Ilincai. Der Rumäne hatte im Juni und Juli an der Deutschen Oper Berlin den Don Carlos in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper gesungen. Zuvor Pinkerton in Giacomo Puccinis Oper Madama Butterfly an der Staatsoper Unter den Linden und im Royal Opera House in London. Der macht also richtig Karriere, dieser Ausnahmesänger aus Mălini. Was für eine Strahlkraft hat dieser Mann, was für eine selbstverständliche, klare, unangestrengte, wunderbar angenehme Höhe! Und auch im tieferen Register setzt er mit wunderbarem Timbre Akzente. Spitze. Ganz große Klasse!
Die Note 1 mit zwei Sternchen ersang sich der Georgier George Gagnidze als Alfio. Der Bariton singt seit der Saison 2008/2009 ohne Unterbrechung an der Metropolitan Opera in New York. Ab Sylvester ist er dort wieder als Scarpia in Giacomo Puccinis Jahrtausendoper „Tosca“ zu hören, ab 8. Januar dann als Tonio in „I Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo. Auch sonst wird der Weltstar in dieser Saison nur an Topspielstätten auftreten: als Amonasro („Aida“) im Teatro Real de Madrid und im Teatro alla Scala in Mailand, erneut als Alfio im Teatro dell’Opera di Roma und zum Schluss der Saison, Achtung: als Barnaba in „La Gioconca“ von Amilcare Ponchielli an der Deutschen Oper Berlin zwischen dem 28. Juni und 7. Juli 2018 – das ist definitiv eine Reise in die Hauptstadt wert! Ja, und jetzt in Hamburg sang dieser Bariton mit einer unglaublichen Hingabe, mit einer prachtvollen Höhe, vollkommen unangestrengt, und sehr angenehm im mittleren und tieferen Register. Eine absolute Wohlfühlstimme.
Die Zhidkova und die Herren Ilincai, Gagnidze an einem Abend im Haus an der Dammtorstraße – das sollte vom Niveau her state of the arts werden! Genau für solche Sänger kommen die Menschen in die Oper. Sie öffnen Herzen, laden zum Träumen ein, lassen die Welt da draußen für eine Zeit lang vergessen. Diese Sänger sorgen für magische Momente.
Davon war im zweiten Teil nach der Pause leider nicht mehr allzuviel zu spüren. Um eine abendfüllende Aufführungsdauer zu erreichen, wird die Cavalleria häufig mit der zweiaktigen, ebenfalls veristischen Oper Pagliacci (Der Bajazzo, wörtlich Bajazzi oder Clowns) von Ruggero Leoncavallo verbunden.
Der Bajazzo ist eine in weiten Teilen sehr simpel komponierte Oper, von der großen Magie der „Cavalleria“ ist sie meilenweit entfernt. Sie müsste eigentlich nach so einem gigantischen Einstieg gar nicht mehr aufgeführt werden, aber die Leute wollen für Tickets bis zu 100 Euro mehr als 70 Minuten Unterhaltung geboten bekommen und die Oper will Kohle mit Cola, Sekt und Brezeln machen.
Der zweite Teil wurde leider negativ überschattet von einem vollkommen indisponierten und inakzeptablen Tenor Alfred Kim als Canio. Der Koreaner sang mit einem so unangenehmen Dauervibrato und mit viel zu viel Druck in der Stimme, dass der Herausgeber von klassik-begeistert und ein neben ihm sitzender Opernkenner und Dauergast in der Staatsoper ein körperliches Unwohlgefühl beim Hören verspürten. Das war wirklich nicht schön, Herr Kim, so singt man keinen Canio! Dass der Koreaner es eigentlich drauf haben könnte, zeigte er leider nur in kurzen Momenten, wenn er seine beeindruckende Strahlkraft bei Spitzentönen aufblitzen ließ. Und auch seine Engagements in dieser Saison sind ja nicht von schlechten Eltern: Radames/“Aida“ in der Ópera Nacional de Chile in Santiago und im Teatro Real de Madrid; Turiddu in der „Cavalleria“ im Teatro dell’Opera di Roma, Mario Cavaradossi/“Tosca“ im Palau de la Música in Valencia und Enzo Grimaldo in „La Gioconda“ an der Deutschen Oper Berlin – da singt ja dann auch George Gagnidze den Barnaba. Hoffentlich kommt der Koreaner schnell wieder in Form.
Schwach präsentierte sich an diesem Abend auch das Ensemblemitglied Alexey Bogdanchikov: in den meisten Passagen fehlte dem Usbeken deutlich die Durchschlagskraft – da mangelt es an Wumms in der Stimme. Das war auch schon am 22. Juni 2017 als Sharpless in Puccinis „Madama Butterfly“ so. Dieser Sänger muss wirklich noch an seiner Stimme arbeiten.
Die Sopranistin Hayoung Lee, Ensemblemitglied in Hamburg, war im zweiten Teil neben dem bewährten George Gagnidze die einzige, die richtig gut ablieferte. Das war eine sehr schöne Leistung, Frau Lee. Tolle Höhen, tolle Tiefe und ganz viel Devotion an diesem Freitagabend. Das hat Spaß gemacht!
Die Menschen in der Metropolregion Hamburg – und alle, die nach Hamburg kommen – haben noch vier Mal die Möglichkeit, eine phantastische „Cavalleria rusticana“ in der Hamburgischen Staatsoper zu hören und zu sehen, jeweils um 19 Uhr. Am Dienstag, 26. September, am Mittwoch, 4. Oktober, am Samstag, 7. Oktober und am Donnerstag, 12. Oktober. Viel Freude bei der Reise nach Italien!
Empfehlung von klassik-beigeistert.de: Jedes Hamburger Schulkind der 9. Klasse sollte die „Cavalleria rusticana“ – ohne den Bajazzo – in der Staatsoper sehen – vormittags mit richtig guten Sängern und Dirigenten. Die Kosten tragen die Steuerzahler der Hansestadt Hamburg, Sponsoren, wohlhabende Bürger sowie die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper. Mit dieser Oper voller Dramatik und Leidenschaft bekommen die Jugendlichen ein Gespür dafür, warum es sich wirklich lohnt, in die Oper zu gehen. Kundenbindung nennt man das in der freien Wirtschaft.
Andreas Schmidt, 23. September 2017, für
klassik-begeistert.de
Lieber Andreas Schmidt.
Vielen Dank für die sehr treffende Kritik zu dem Opernabend in Hamburg. Habe es sehr ähnlich erlebt.
Viele Grüße
Berthold Knicker
Die Einschätzung über den Dirigenten kann ich nicht teilen. Josep Caballé-Domenech vermag an einigen Stellen Esemble, Chor und Orchester nicht zusammen zu halten. Ebenso werden sensible Stellen der Oper zu brachial und ungestüm genommen. Gerade der arme George Gagnize wird bei seiner Alfio-Arie Opfer des undeutlichen Dirigats des Maestros. Die Rubati hingegen gelingen, gerade beim Pagliacci-Chor gut.
Die Santuzza von Elena Zidkova ist Weltklasse und dürfte derzeit an Innigkeit und an zu Herzen gehender Interpretation durch niemanden zu überbieten sein.
Matteo Castrovillari