Bayerische Staatsoper, München, 2. November 2020
Foto: Nikolaus Bachler © Markus Jans
Lesung Philip Roth, Jedermann
Frank Martin, Jedermann-Monologe
szenische Einrichtung, Andreas Weirich
Sprecher, Nikolaus Bachler
Solist, Michael Nagy
Pianistin, Sophie Raynaud
von Frank Heublein
Jedermann Hugo von Hofmannsthals trägt den Untertitel „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“. Heute also verfolge ich gleich zwei dieser Spielsituationen.
Der Jedermann Roths wundert sich. Warum nur erfährt er diese Ablehnung der Familienmitglieder, die er hinter sich gelassen hat? Durchstrahlt diese ganze Erinnerung, diese Aufrechnung, diese Selbstrechtfertigung diesen Moment des letzten Lichts, dem Moment seines Herzstillstands?
Nikolaus Bachler (* 29. März 1951 in Fohnsdorf, Steiermark) steigt nicht in den Ring, er sitzt im Parkett. Er liest gut. Ich höre ihm gerne zu. Der Erzählperspektive entsprechend bleibt er als Sprecher auch emotional auf Distanz, selbst Beobachter des egomanischen Jedermanns. Mit jeder Minute schwindet meine Verwunderung über sein Wundern. Jedes eigenes Fehlverhalten wird unmittelbar gegen das der anderen aufgerechnet. Als wäre das Leben ein Nullsummenspiel. Wenn es so wäre? Es wäre unendlich wenig, denke ich.
Frank Martin ist ein Schweizer Komponist des 20. Jahrhunderts. Er hat 6 Monologe aus Hugo von Hofmannsthals Jedermann vertont. Sein Jedermann ist ein Verhandler. Er versucht sich aus der Situation herauszusingen. Michael Nagys kraftvoll klare Bariton-Stimme ist Teil seines intensiven Schauspiels. Konzentriert begleitet ihn die Pianistin Sophie Raynaud. Michael Nagy (Jahrgang 1976) schafft es in diesem Stream, meine volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Spannung auf den nächsten Moment, das nächste Argument, die nächste Windung. Das singende Anlaufen gegen eine sonore schallende Sprechstimme, die Gerechtigkeit einfordert.
Ein vergleichsweise kurzes Montagsstück, in der ich meine Konzentration gut aufrechterhalten kann. Ein Moment des Innehaltens und der Reflektion. Ich übertrage die mir vorgestellten beiden Jedermänner auf die aktuelle Situation. Habe ich einen blinden Fleck der Wahrnehmung? Achte ich genug auf meine Mitmenschen? Gerade jetzt in Zeiten der Pandemie? Gute Fragen. Gutes Montagsstück!
Frank Heublein, 12. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Anmerkung:
Klaus Bachler studierte zunächst Schauspiel am Wiener Max-Reinhardt-Seminar. Nach dem Abschluss ging er an das Salzburger Landestheater und war an verschiedenen deutschen Bühnen engagiert. Von 1987 bis 1990 war er künstlerischer Betriebsdirektor des Berliner Schiller-Theaters und ging anschließend für zwei Jahre nach Paris.
1992 kehrte er nach Österreich zurück und wurde zunächst zum Intendanten der Wiener Festwochen ernannt (wo er u. a. in seiner letzten Saison das Kultstück Alma – A Show Biz ans Ende initiierte), anschließend 1996 zum Intendanten der Wiener Volksoper. 1999 übernahm er von Claus Peymann das Wiener Burgtheater.
Zu Beginn der Spielzeit 2008/2009 übernahm Klaus Bachler die Intendanz der Bayerischen Staatsoper in München. Seither nennt er sich wieder nach seinem Geburtsnamen Nikolaus Bachler.
Ab 1. Juli 2020 wird er die kaufmännische Geschäftsführung der Osterfestspiele Salzburg übernehmen und ab 2022 auch die künstlerische Gesamtverantwortung des Festivals. Er folgt auf Peter Ruzicka, dessen Vertrag am 30. Juni 2020 ausläuft. Quelle: wikipedia.de
Montagsstück II: Barocco Bayerische Staatsoper, München, 9. November 2020