Glückseligkeit, die bitte! bitte! nicht enden soll: Die Bayerische Staatsoper bietet bezaubernde Barockmusik

Montagsstück II: Barocco  Bayerische Staatsoper, München, 9. November 2020

Rezension des Videostreams Montagsstück II: Barocco

Emily Pogorelc, Foto: Fay Fox (c)

Ich möchte den Ausführenden zujubeln, einen trampelnden Klatschsturm entfachen, die wenigen Orchesterspieler:innen und die Solist:innen am liebsten und zwar alle, einer nach dem anderen, entfesselt umarmen. Also ist es gut, dass ich vor dem Bildschirm sitze in diesen blöden Viruszeiten. Ich könnte meine Begeisterung nicht zügeln. Eine Bitte an die Bayerische Staatsoper: lassen Sie diesen Abend nicht im Stream verschwinden. Lassen Sie mich dieses Glück vervielfacht als ein Zuhörer von vielen live erleben. Irgendwann wenn’s eben möglich ist. Ketten sie mich aber besser an, bloße Fesseln sprenge ich. 
Allen Musikern merkt man die Lust, den Spaß an der Musik an. Ein wunderbarer Anker der Erinnerung, welchen Mut, welche Kraft, welche Zuversicht mir Musik vermitteln kann.

Henry Purcell (1659 – 1695), Opernszenen aus The Fairy Queen & King Arthur
Claudio Monteverdi (1567 – 1643), Il Ballo delle Ingrate aus Madrigali Guerrieri et Amorosi

von Frank Heublein, München

Ich bin Barockfan. Ich habe mit Vorfreude auf das Programm reagiert. Gefährlich! Meist lege ich mir die Latte hoch und bin enttäuscht. Die mir nicht liegende Streamingsituation kommt hier dazu.

Diese Aufführung springt mit dem ersten Ton leicht über die Latte und erfüllt mein Herz mit Freude! Glückseligkeit, die bitte! bitte! nicht enden soll.

Die ersten Orchestertöne, welch satter Klang (der guten Kopfhörer) mit so wenig, genau 11 Orchestermusiker:innen. Ich tauche sofort und tief ein in die wundervolle Welt Henry Purcells ein. Das Programm spricht von Stücken aus The Fairy Queen und King Arthur, zeigt jedoch keine weiteren Details.

Caspar Singh ruft – auch mich – zur Wachheit auf (Awake!). Zugleich ermuntert mich sein energischer Tenor. Ich meine das als absolutes Kompliment an Martin Snell, wenn ich ihn als Wuchtbrumme tituliere. Seine Interpretation des Cold Songs ist grandios. Voluminös durchströmt vibrierend sein Bass meinen Bauch. Wow! Emily Pogorelc geht es daraufhin lasziv, sirenenhaft verführerisch an mit ihrem strahlend klaren Sopran. Von der sich Mezzosopran Corinna Scheurle kämpferisch herausfordernd stimmlich ebenso rein, aber eine Lage tiefer abgrenzt. Dann wird Tenor Caspar Singh träumerisch und wünscht sich 100 glückliche Tage. Worauf Bass Martin Snell mit „Hush, no more, be silent“ meinen Bauch ein weiteres Mal in glücksselige Vibration versetzt. Fantastisch voll ist seine Stimme. Meinen Wahrnehmungsraum umgreift er damit vollständig. Der erste Purcell Teil schließt mit dem in The Fairy Queen auf das Bass Solo unmittelbar folgenden „Chor“. Welch kraftvolle Sanftheit entwickeln dabei die vier Solist:innen. Ein Fest für mich!

© Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper – Nationaltheater

Ein ambivalenter Wunsch überfällt mich. Hätte Henry Purcell doch nur weniger über die Stränge geschlagen. Dann hätte ihn seine Frau womöglich nicht an einem unwirtlichen Abend des Jahres 1595 ausgesperrt. Er wäre älter als 35 (oder 36) Jahre alt geworden. Und was hätte er Unzähliges mir Freude Spendendes komponiert? Oder wäre das „weniger strängige“ womöglich der Intensität seiner Musik abträglich gewesen?

Die donnergrollende Pauke leitet über zu Monteverdis Madrigal „Il Ballo delle Ingrate“ aus Madrigali Guerrieri et Amorosi über. Amors (Caspar Singh) Pfeile wirken bei den Frauen Mantuas nicht mehr, Venus (Corinna Scheurle) und Amor bitten Pluto (Martin Snell), eine Warnung zu senden. Die Geister der undankbaren Frauen (Emily Pogorelc) zeigen den lebendigen Frauen die Ödnis auf, die ihnen im Tod bevorsteht. Amor-Tenor ist verzweifelt emotional, Venus-Mezzo argumentiert energetisch prononciert. Pluto-Bass ist der Wahnsinn. Was macht Martin Snell heute nur mit meinem Bauch? Seine lange Warnung hör ich nicht nur im Ohr, sie durchdringt meinen ganzen Körper. Ich höre das Leidende im Sopran-undankbaren-Frauengeist sofort und dann die bedauernde Verwirrung, die „reine und heitere Luft der Oberwelt“ wieder verlassen zu müssen.

Das Orchester leitet mit festlich Trompete strahlenden Klängen den zweiten Purcell-Teil des Abends ein. Tenor Caspar Singh leitet ein weiteres fulminantes Quartett mit krassem Volumen und unbändiger sängerischer Lust ein. Mezzo Corinna Scheurle zerreißt mich mit einem schmerzhaft schönen „Oh let me wheep“. Der Abend endet mit dem Finale aus The Fairy Queen. Zuerst die absolute weibliche Power, sängerisch und in diesem Fall auch szenisch mit „Turn then thine Eyes“. Flirrend, süffisant, spielerisch. Es erquickt mich. Der anschließende Quartett-Chor ist eine Hymne an das immerwährende Glück.

They shall be as happy as they’re fair;
Love shall fill all the Places of Care:
And every time the Sun shall display his Rising Light,
It shall be to them a new Wedding-Day;
And when he sets, a new Nuptial-Night.

Sie sollen so glücklich sein, wie gerecht sie sind;
Liebe soll alle Orte der Fürsorge erfüllen:
Und jedes Mal soll die Sonne ihr aufgehendes Licht zeigen,
Es soll für sie ein neuer Hochzeitstag sein;
und wenn er vergeht, eine neue Hochzeitsnacht.

Dieser Abend ist für mich 80 Minuten währendes Glück.

Ich möchte den Ausführenden zujubeln, einen trampelnden Klatschsturm entfachen, die wenigen Orchesterspieler:innen und die Solist:innen am liebsten und zwar alle, einer nach dem anderen, entfesselt umarmen. Also ist es gut, dass ich vor dem Bildschirm sitze in diesen blöden Viruszeiten. Ich könnte meine Begeisterung nicht zügeln. Eine Bitte an die Bayerische Staatsoper: lassen Sie diesen Abend nicht im Stream verschwinden. Lassen Sie mich dieses Glück vervielfacht als ein Zuhörer von vielen live erleben. Irgendwann wenn’s eben möglich ist. Ketten sie mich aber besser an, bloße Fesseln sprenge ich.

Allen Musikern merkt man die Lust, den Spaß an der Musik an. Ein wunderbarer Anker der Erinnerung, welchen Mut, welche Kraft, welche Zuversicht mir Musik vermitteln kann.

Frank Heublein, 15. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Diana Damrau, Klaus Florian Vogt Montagsstück III – Zueignung Bayerische Staatsoper, München, 16. November 2020

Musikalische Leitung Chad Kelly

Emily Pogorelc Sopran

Corinna Scheurle Mezzosproan

Caspar Singh Tenor

Martin Snell Bass

Cembalo Chad Kelly

Violine Barbara Burgdorf, Corinna Desch

Viola Christiane Arnold

Violoncello Yves Savary

Kontrabass Alexander Rilling

Barocktrompete Johannes Moritz, Andreas Öttl

Schlagzeug Pieter Roijen

Orgel Richard Whilds

Theorbe Jacopo Sabina

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