Horacio Lavandera erweckt Schubert zum Leben

Wiener Konzerthaus, Schubert-Saal
Horacio Lavandera, Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart: Zwölf Variationen C-Dur über «Ah, vous dirai-je, Maman» K 300e
Ludwig van Beethoven: Sonate f-moll op. 57 «Appassionata»
Dino Saluzzi: Romance
Montañas
Media Noche
Franz Schubert: Moment musical f-moll D 780/3
Impromptu c-moll D 899/1
Impromptu Es-Dur D 899/2
Alfred Grünfeld: Soirée de Vienne. Konzertparaphrase über Walzerthemen von Johann Strauß op. 56

Von Bianca Schumann

Mit einem großen Lächeln im Gesicht nahm der argentinische Pianist Horacio Lavandera im Schubert-Saal des Wiener Konzerthauses den Begrüßungsapplaus des leider nur spärlich erschienenen Publikums entgegen und sicherte sich, bevor er nur eine Saite des Klaviers zum Klingen gebracht hatte, durch seine herzliche Ausstrahlung die Sympathie der Konzertbesucher.

Ganz bescheiden begann das Konzert am Samstagabend mit Wolfgang Amadeus Mozarts 12 Variationen über das französische Lied Ah, vous dirai-je Maman, dessen Melodie einigen Lesern wahrscheinlich besser unter den Titeln Winkle, twinkle little Star oder auch Morgen kommt der Weihnachtsmann bekannt sein wird. Sehr solide reihte der 32 Jahre junge Pianist eine Variation an die nächste. Beherrschte er das Stück zwar technisch perfekt – ein jeder der zahlreichen Triller saß einwandfrei –, so konnte er interpretatorisch doch nicht zu hundert Prozent überzeugen: Die feinen Nuancierungen, welche die eine Variation in ihrem Duktus von der darauffolgenden unterscheiden, kamen nicht überzeugend zur Geltung. Erst im Finale konnte sich Lavandera so richtig frei spielen und den Steinway zum ersten Mal an diesem Abend zu pulsierendem Leben erwecken.

Es folgte Ludwig van Beethoven. Eine große Aufgabe hatte sich Lavandera mit der Wiedergabe der Appassionata gestellt. Wer kennt ihn nicht, den ersten Satz, in dem Beethoven von jedem Interpreten verlangt, von einer Sekunde auf die andere von einem scheinbar zügellosen Ausbruch im Fortissimo in das zurückhaltendste Pianissimo umzuschlagen. Der junge Argentinier nahm Beethoven beim Wort und reizte die Extreme des Flügels aus. Allein der Gesamteindruck wollte sich nicht abrunden. War der Satz kontrastreich gespielt? Kein Zweifel! Doch waren die kontrastierenden Teile organisch untereinander vermittelt? Nicht überall.

Ungeachtet dessen spielte Lavandera tadellos. Manche Passagen in der Durchführung realisierte er mit erfrischend wenig rechtem Pedal, sodass in einigen Mittelstimmen ein nahezu polyphoner Klangeindruck entstand.

Das Andante con moto füllte den Schubert-Saal mit viel Wärme. Die Anfangsakkorde des choralartigen Themas, auf dem die folgenden Variationen beruhen, setzte Lavandera ruhig, aber dennoch kernig ins Klavier. Es gelang ihm, die anfangs evozierte Stimmung bis zur letzten Note aufrechtzuerhalten.

Stellte der zweite Satz zum ersten bereits eine Steigerung da, so übertraf der überaus virtuose und physisch enorm kraftaufwendige Finalsatz alles, was an diesem Abend zuvor erklungen war. Spätestens, nachdem das Hauptthema dieses ebenfalls in der Form der Sonatenhauptsatzform komponierten Finales erklungen war, hatte ein jeder der Anwesenden klar und deutlich verstanden, warum dieses Opus den Beinamen Die Leidenschaftliche erhalten hatte.

Dann: Einmal kurz Durchatmen. Die Halbzeit war erreicht.

Zu Beginn der zweiten Hälfte entführte Lavandera seine Zuhörerschaft in sein Heimatland. Mit den drei Stücken Romance, Montañas und Media Noche aus der Feder des 1935 geborenen argentinischen Komponisten Dino Saluzzi zog eine nostalgisch melancholische Atmosphäre in den gedimmten Saal ein. Die drei Stimmungsbilder luden ein, sich einfach in seinem Sessel zurückzulehnen, die Augen zu schließen und zu genießen. Ein willkommener und gelungener Tapetenwechsel nach den beiden Werken aus der Wiener Klassik.

Was nun folgte, war der absolute Höhepunkt des Abends. Hörbar und sichtlich zugleich gelang es Horacio Lavandera sich in die musikalischen Gedanken Franz Schuberts zu vertiefen und die Seelenzustände in den drei Impromptus zu vollem Leben zu erwecken. Ohne jeglichen Widerstand ließ sich das Publikum vom Argentinier sinnbildlich an die Hand nehmen und durch Schuberts Klangwelten führen.

Überraschte die Aufführung des ersten, von Schubert kurz und bündig komponierten Impromptus in f-moll mit einem erstaunlich mäßigen Tempo, das der Interpretation jedoch überaus gut stand, so begeisterte die Darbietung des folgenden, in c-moll gesetzten Werks mit wunderbar schattierten Dur-Moll-Wechseln. Sämtliche melodischen Phrasen waren derartig natürlich und ungekünstelt von Lavandera aufgezeichnet, dass man der Musik hätte ewig lauschen können.

Mit dem letzten der drei Stücke Schuberts in Es-dur, das aufgrund seiner Brillanz und Geläufigkeit Erinnerungen an Etüden oder Walzer von Chopin wachruft, ergriff Lavandera die Gelegenheit um zu demonstrieren, wie sich virtuoses Spiel und klangliche Leichtigkeit im besten Sinne verbinden lassen. Völlig zurecht honorierte das Publikum die pianistische Glanzdarbietung mit großem Applaus, und gewiss hat der ein oder andere Hörer nach diesem Programmpunkt gedacht: Ein Schubert-Abend von Lavandera, das wäre toll: zwei Stunden höchster Kunstgenuss garantiert!

Zum Schluss servierte Lavandera noch ein echt wienerisches Schmankerl: Alfred Grunfelds Konzertparaphrase über Johann Straußsche Walzermelodien spielte zum Tanz auf. Da drehten sich die Walzerfiguren nur so im Kreise. Erst die Klaviatur rauf, dann wieder runter, dann wieder rauf dann wieder… Da wurde getanzt in Sexten, Oktaven und Terzen, mal etwas schneller, mal wieder langsamer, aber immer mit Schwung.

Ein Bravourstück, das Lavandera technisch, wie interpretatorisch meisterlich über die Bühne brachte, und dafür sorgte, dass das Publikum mit demselben Lächeln, mit dem es vom Pianisten anfänglich begrüßt wurde, schlussendlich nach Hause ging.

Bianca Schumann, 22. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.at

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