Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 1. Februar 2021
Rezension des Videostreams – Montagsstück XII: Bayerisches Junior Ballett München
Unsterbliche Geliebte, Ch.: Jörg Mannes, mit Helian Potie, Phoebe Schembri
(c) Wilfried Hösl
von Frank Heublein
Die jugendliche Power beginnt vor der Bühne vor geschlossenem Vorhang. Denn auch die Pianistin Julia Hermanski ist jung und talentiert. Sie interpretiert gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsorchester Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 unter der Leitung von Myron Romanul. Tanzen zu Live-Musik ist noch ein Tick anspruchsvoller, so in etwa sagt das Choreograf Jörg Mannes nach Ende des ersten Stücks im Video in der Umbaupause. Er nennt seine Choreografie zur Musik Beethovens „Unsterbliche Geliebte“.
Also gleich zu Beginn eine knackige Herausforderung für die jungen Tänzer und Tänzerinnen, die zwischen 17 und 20 Jahre alt sind. Das bayerische Junior Ballett München verschafft einer kleinen „Compagnie“ die Möglichkeit, die Tanzausbildung zu finalisieren, das Tor zur professionellen Laufbahn weit aufzustoßen. Gemeinsam leben sie in einem Wohnheim, arbeiten gemeinsam und treten gemeinsam auf in Choreografien junger wie auch arrivierter Künstler. Das bayerische Junior Ballett München ist eine Kooperation der Heinz-Bosl-Stiftung, des bayerischen Staatsballetts, sowie der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München.
Eine bläulich dunkle leere Bühnenfläche, schal erleuchtet. Sehr viel wird sich an Bühne und Licht im Verlauf des Stückes nicht ändern.
Zu Beginn vermittelt sich mir die Musik intensiver als der Tanz. Ich nehme eine angespannte Konzentration der Tänzerinnen und Tänzer wahr. Das Ensemble mal in größerer mal kleinerer Anzahl ist technisch sehr gut. Jedoch will der Funke nicht überspringen zu mir. Ich gerate ins Grübeln. Ist es die Konzentration aufs Technische, die das Zutrauen bremst, sich der Musik gänzlich hingeben zu können? Warum sich der Funke mir deshalb nicht überträgt?
Die Kadenz im ersten Satz des Klavierkonzerts bringt die Wende. Ich spüre sie jetzt, die Einheit zwischen Musik und Bewegung. Das Trio und der Pas de Deux im zweiten langsamen Satz folgt dem musikalischen Fluss. Homogen zart fließend sind die Bewegungen. In mir breitet sich Freude aus.
Der dritte Konzert-Satz wird wieder vom Ensemble getanzt. Im Verlauf dieses dritten Satzes sehe ich in entspanntere, zuweilen lächelnde Gesichter. Darin empfinde ich eine Verstärkung des Ausdrucks, eine noch stärkere Verschmelzung mit der Musik. Was zugleich auch von der anderen Seite, der orchestralen unterstützt wird. Denn auch die Pianistin, meine ich, spielt souveräner, entspannter, lockerer in den letzten beiden Sätzen. Das mannigfaltige Miteinander auf der Bühne wird tänzerisch zelebriert. Am Ende von „Unsterbliche Geliebte“ bin ich energetisch aufgeladen und erquickt.
Die zweite Choreografie heißt „Stimmenstrahl Trio“. Die Musik kommt nun vom Band. Eine Mischung liturgischer Vespern für die orthodoxe Liturgie von Rachmaninow und Klängen des zeitgenössischen italienischen Pianisten und Komponisten Jacopo Salvatori.
Eindringlich sphärische Musik. Lichtspots in wiederum bläulich-schwarzem Lichtgefüge. Ein wunderbar ausdrucksstarkes tänzerisches Trio. Die Höhepunkte bilden für mich die ineinander verwobenen Hebefiguren und Körperreihungen. Mehrfach aneinandergeschmiegt, zart zu dritt miteinander verbunden. Einfühlsame Ästhetik. Ich fühle Begeisterung.
Im dritten Stück UnHeaven macht mich die Regie sehr unglücklich. Sie zerreißt mir das ganzheitliche Erfassen der Choreografie. Das Stück fängt interessant an. Eine Tänzerin, wieder in bläulich schwarzem Licht, liegt leicht zusammengerollt allein (soweit mir die Regie zulässt, es zu erkennen) auf einer Bühne voller Federn. Sie singt! Oh. Ah. Dann eine zweite Tänzerin, ich darf es nicht selbst erkennen, die Regie stößt mich mit der Kameranase drauf. Sie schält sich in zwei Versuchen ästhetisch schön aus den Federn heraus. Eine dritte, jetzt ein Paar. Musiklos.
Die Bühne wird nur auf Bodenhöhe beleuchtet. Die weißen Federn heben das Licht auf körperlich etwa halbe Standhöhe. Die Effekte von Licht und Schatten, das Durchschreiten, verspieltes In-die-Federn-werfen. Mal zum rhythmischen Händeklatschen, mal zu Orffs Musica Poetica, mal ohne Musik.
Das Licht wird aufgezogen auf volle Höhe. Kommt mir das nur so vor, dass die Frauen mit Ihren langen offenen Haaren kämpfen? Gehört das zur Inszenierung? Kann schon sein. Es wird gehechtet, übergesprungen, sich in die Federn geworfen, aus den Federn emporgehoben.
Stille. Ein Paar im Lichtspot. Federflockend. Langsam bewegen sich eine verstreute Menge Tänzer und Tänzerinnen im Halbdunkel der federgefüllten Bühne. Das Licht verlischt.
Die nervöse irrlichternde Regie auf Bodenhöhe in die seitlichen Abgänge lugend raubt mir die Spannung, die eigene Beobachtungsentdeckung, wo was wie etwas passiert. Das ist aus meiner Sicht die Absicht, das Interesse der Choreografie, die sich mir so nicht erschließen kann. Schal ist dieser Geschmack, das Gefühl, viel verpasst zu haben.
Den Ärger verdaue ich schnell weg. Denn insgesamt vermittelt mir das Tanzensemble am heutigen Abend ihre jugendliche Energie, ihren Willen, ihr Können, ihren Spaß und Freude. Diese positiven Gefühle sind mir so viel wichtiger.
Frank Heublein, 2. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de
Unsterbliche Geliebte
Choreographie Jörg Mannes
Ludwig van Beethoven, Klavierkonzert Nr.4
Musikalische Leitung Myron Romanul
Pianistin Julia Hermanski
Orchester Bayerisches Staatsorchester
Solisten Anna Greenberg, Phoebe Schembri, Joaquin Angelucci, Hélian Potié
Damen Ayala Magril, Ana Mamic, Benedetta Musso, Olivia Swintek, Isabella Wagar, Freya Wilkinson
Herren Tobias de Gromoboy, Jacopo Iadimarco, Camillo Lussana, Lucas Praetorius, Arnau Redorta, Daniel Robertson-Styles
Stimmenstrahl Trio
Choreographie Maged Mohamed
Sergej W. Rachmaninow Ganznächtliche Vigil op. 37, Jacopo Salvatori
Dame Phoebe Schembri
Herren Jacopo Iadimarco, Camillo Lussana
UnHeaven
Choreographie Martina La Ragione
Carl Orff Musica Poetica
Damen Anna Greenberg, Ayala Magril, Benedetta Musso, Olivia Swintek, Isabella Wagar, Freya Wilkinson
Herren Joaquin Angelucci, Hélian Potié, Lucas Praetorius, Arnau Redorta, Daniel Robertson-Styles
Frau Lange hört zu (23): Kurkonzert mit Schwiegermutter-Schmeichler