Miriam Prandi, Foto: © Daniil Rabovsky
10 Fragen an Miriam Prandi, Cellistin bei MusicAeterna
Musikalische Mehrfachbegabungen, die auf professioneller Ebene ausgelebt werden, sind selten. Die 1990 in Mantua geborene Italienerin Miriam Prandi spielt Klavier und Cello. Sie selbst fühlt sich mit ganzem Herzen als Cellistin. Das Klavier sei lediglich ein “ernsthaftes Hobby”. Was sie nicht davon abhält, öffentlich auch als Pianistin aufzutreten. Mit dem Cello tritt sie solistisch auf, war auch 2016-2018 Mitglied des renommierten delian::quartett. Warum sie Mitglied des MusicAeterna Orchesters von Teodor Currentzis werden wollte, beantwortet sie in der 10. Frage.
von Frank Heublein
1. Was bedeutet Ihnen Musik?
Ich wurde in eine Familie hinein geboren, in der ich schon Musik hörte, als ich noch sehr klein war. Mein Vater übte als Pianist im Keller unseres Hauses. Seine Chopin-Etüden, Brahms-Variationen, Bach-Präludien und -Fugen waren unsere tägliche musikalische Grundversorgung. Neben dem Klassik-Radiosender, der schon am frühen Morgen seine Klänge im ganzen Haus verbreitete. Musik war mein allererster Freund, um alle anderen Spielzeuge stehen und liegen zu lassen, wenn sie irgendwann langweilig wurden. Das Cello war der erste Kumpel, auf den ich mich in meiner privaten Zeit immer voll verlassen konnte. Ich erinnere mich an dieses Gefühl, als ich mit elf Jahren meinen ersten Wettbewerb hatte: Das Cello war mein engster Freund, auch und gerade auf der Bühne.
Die Musik ist auch heute noch eine Rückzugsmöglichkeit und zugleich ein großartiger Begleiter: Selbst in dieser für die Menschheit sehr schwierigen Zeit ist sie die große Hoffnung, die mir einen objektiven Blick in die Zukunft ermöglicht.
2. Sie spielen Klavier und Cello. Vorausgesetzt, es gibt keine musikalischen Verpflichtungen: Wenn Sie morgens aufstehen, gibt es den Moment, in dem Sie spüren, mit welchem Instrument Sie sich heute beschäftigen wollen?
Wenn ich morgens aufwache, muss ich immer erst einen Grund finden, um zum Üben zu finden. Natürlich ist der berufsbedingte Zeitplan immer eine starke Bindung an das, was ich üben werde, aber trotzdem spielt die Inspiration eine große Rolle in meinem Musikerdasein. Ich bin Cellistin und kann mich beruflich nicht besser als über das Cello definieren. Mich mit Freiheit der Musik zu nähern, ist in meiner Seele mit diesem Instrument verbunden. Eigentlich ist es der einzige Weg. Das Klavier ist mir eine freundliche Hilfe und ein “ernsthaftes Hobby”. Das Klavier war meine erste Begegnung mit der Musik. Es half mir damals, in frühem Alter Komponisten wie Bach, Mozart oder Beethoven näherzukommen. Es hat in späteren Jahren viel länger gebraucht, um diese Komponisten im Sinne einer natürlichen Phrasierung am Cello zu verstehen.
Ich hoffe, Sie, der Leser oder die Leserin, verstehen mich nicht falsch: Pianist oder Pianistin zu sein, ist heutzutage eine große Verantwortung. Nicht nur im Hinblick auf die riesige Gruppe von Künstlern der vergangenen und gegenwärtigen Generation, die sich diesem Beruf verschrieben haben, sondern zugleich aus Respekt vor dem großartigen Repertoire, das das Klavier mit seiner Vielstimmigkeit als solistisches Instrument einem größeren Ensemble nahebringt. Ich habe immer das Bild vom Klavier als einem kleinen Orchester vor Augen. Der Blick auf das Cello hingegen beschwört oft das Bild in mir herauf, auf einer Blume zu sitzen und die Realität vom kleinsten Detail bis zur Unendlichkeit zu bewundern.
3. Gab es schon einmal einen inneren Moment der Entscheidung zwischen den beiden Instrumenten? Wenn ja, wie hat dieser sich angefühlt?
Seit meinem elften Lebensjahr gibt es keine Diskussion mehr über meine Entscheidung, professionelle Cellistin zu werden und zu sein. Mein Ehrgeiz war es damals, jeden Sommer an die Accademia Chigiana nach Siena zu fahren, um dort für einen großen Cellisten und meinen zukünftigen Lehrer Antonio Meneses zu spielen. Diese Idee war ein großer Impuls für das ganze Jahr in der mühsamsten Zeit weit weg von der Musik aufgrund des normalen Schulplans. In Italien gibt es keine Musikschule für diejenigen, die früh mit einem professionellen Musikstudium beginnen. Man muss also den Musikunterricht im Konservatorium mit einer normalen Schule kombinieren, wo jede Anstrengung für die zusätzlichen musikalischen Aktivitäten nicht als Studienzeit gezählt wird. Das Klavier war immer ein Teil meines Tagesablaufs. Sagen wir mal so, es war eine “ça va sans dire”-Angewohnheit während der Schulzeit. Ich wollte meinen Bachelor schon allein deshalb abschließen, um meinen frühen Start in den Tag mit dem Klavier Sinn zu verleihen.
Natürlich hatte ich eine große Hilfe an meiner Seite. Die Idee meines Vaters war nicht, mich als Wunderkind zu erziehen. Er wollte mir vielmehr die Möglichkeit geben, den größten Einblick in diese magische Welt der Töne zu bekommen, damit ich später selbst entscheiden konnte, ob ich daraus einen Beruf machen wollte oder nicht.
4. Wenn Sie einem Pianisten den Reiz und Ihre Leidenschaft für das Cello vermitteln wollen: Wie gehen Sie vor?
Ich würde mir wünschen, dass viele wunderbare Pianisten oder Pianistinnen der heutigen Zeit mehr den Ansatz eines Streichers oder einer Streicherin hätten. Perfektion, großartige technische Beherrschung oder besondere Effekte in der Musik – oder in den Fotos, der Kleidung, dem Stil – bringen sie nicht wirklich in die Nähe einer Belcanto-Linie. Das Klavier sollte einfach nicht wie ein Perkussionsinstrument klingen.
5. Wenn Sie einem Cellisten den Reiz und Ihre Leidenschaft für das Klavier vermitteln wollen: Wie gehen Sie vor?
Gehen wir von dem Punkt aus, dass das Sitzen am Klavier mir immer noch Antworten gibt auf meine vielen nicht beantworteten Zweifel als Streicherin. Es ist nicht nur die Sorge, das Bild einer breiteren Sicht auf die Musik, die ich spiele, zu verlieren. Im kammermusikalischen Sinn wird es sogar grundlegend, am Klavier zu sitzen, um eine bessere und präzisere Sicht zu gewinnen. In Cellosonaten, von Beethoven zum Beispiel, ist das Klavier der eigentliche Motor und die Basis mit seiner Struktur für die gesamte melodische Linie des Cellos. Diese Sonaten sind wie für Klavier zuerst und dann für Cello gemacht.
Nach einigen vollen und intensiven “Cello-Tagen” trägt das Klavier stets zu meinem musikalischen Wohlbefinden bei. Es ist ein starkes Bindeglied in dieser Zeit der einjährigen Quarantäne weit weg von zu Hause, das mich dank der wundervollen Kindheitserinnerungen mich meiner Familie und meinen Eltern näher fühlen lässt.
6. Gibt es so etwas wie eine musikalische Sternstunde in Ihrem Leben? Eine Art Energie, die Sie seitdem befeuert?
So etwas gibt es in der Kunst nicht. Und sollte es auch nicht geben. Selbst in den positivsten Momenten und nach gelungenen Auftritten fühle ich mich nie gänzlich zufrieden. Es ist nötig, seine eigenen Grenzen zu kennen und es sollte eine Fähigkeit sein, ehrlich zu sich selbst zu sein. Es gibt nur immer dieses große Dilemma: Manchmal muss man sich entscheiden, entweder auf die große Perfektion und Kontrolle hin zu spielen oder bis zur Risikogrenze zu gehen, um die Musik ganz aus sich heraus sprechen zu lassen.
Wir sind Interpreten dessen, was bereits von den großen Musikern und Musikerinnen geschrieben wurde. Das Essenzielle ist, mit Deiner Art zu erzählen, das Herz der Menschen zu berühren und mit ihnen die tiefsten emotionalen Gefühle zu teilen, dank diesem heiligen Dialog. Musik ist die Sprache der menschlichen Gefühle. In einer zerrissenen Gesellschaft ist Kunst die einzige Hoffnung auf eine neue Art der Kommunikation in unserer Zeit. Es gibt also nicht “die Sternstunde”. Jede Aufführung ist das Ergebnis dieser Zeit und ihre Interpretation wird auch nach Jahren noch formbildend und einzigartig sein.
7. Beim Cello haben Sie ihr “persönliches” Instrument, dass Sie zu jeder Aufführung spielen. Wie entdecken Sie dessen Ton, Finessen und Besonderheiten?
Ich spiele auf einem wunderbaren Giovanni Grancino 1712 dank der großzügigen Leihgabe der Stiftung Pro Canale in Mailand. Es ist ein sehr elegantes Instrument mit eigener Persönlichkeit. Ich habe vorher auf einem Tecchler und einem Bisiach gespielt und ehrlich gesagt bin ich immer wieder überrascht von den Farben, die jedes Instrument vorschlägt. Manchmal ist es kein Ziel, den eigenen Klang durchzusetzen. Die Anpassung an ein großes Instrument kann Zeit erfordern. Und doch kann man für jedes Repertoire, ob barock oder modern, innerhalb der Vorgabe stets sehr viele Alternativen entdecken. Erst nach einem Jahr des Spielens auf dem Giovanni habe ich langsam eine friedliche Beziehung zu ihm entwickelt!
Auch die verwendeten Saiten können extrem viel Freiheit und Komfort für die Klangerzeugung bieten: Die Pirastro-Saiten sind mir dabei eine wertvolle Unterstützung. Dank ihrer Eigenschaften reagieren sie auf eine Vielzahl von Klangqualitäten, die helfen, die richtige Balance in den Klangfarben zu finden.
8. Ändert sich der Klang im Lauf der Zeit des Zusammenspiels zwischen dem Cello und Ihnen?
Ja, denn der Geschmack ändert sich. Ich erinnere mich, dass ich als Teenager in einige Interpretationen verliebt war. Sogar einige meiner früheren musikalischen Helden sehen jetzt in meinen Augen ein bisschen banal aus.
Das ist die Entwicklung unserer Persönlichkeit. Die Klangqualität hängt stark mit unserem psychologischen Zustand und unseren Hauptpersönlichkeitsmerkmalen wie etwa ruhig, aggressiv, etc. zusammen.
9. Beim Piano spielen Sie zu Aufführungen jedes Mal unterschiedliche Instrumente. Pianisten sagen den Instrumenten individuelle Eigenschaften nach. Wie fühlt es sich an, herauszufinden, welches zu Ihnen und den zu spielenden Stücken passt?
Im Januar 2020 habe ich in Turin Mozarts Klavierkonzert KV 414 mit dem ansässigen Orchestra Filarmonica di Torino aufgeführt, zusammen mit Haydns C-Dur-Cellokonzert. Ich hatte die Wahl zwischen zwei Flügeln. Obwohl das neuere Instrument eine unglaubliche technische Reaktion hatte, wählte ich für Mozart den älteren Flügel. Dieser entwickelte in der Akustik vor Ort viel angemessenere Farben für dieses Stück und für meinen Zustand des Spielens.
Ja, als Cellist oder Cellistin hat man den sehr großen Luxus, auf seinem eigenen Instrument zu spielen und – hoffentlich – ungestört darauf zu üben.
10. Verändert sich Ihr musikalisches Gefühl durch die Art der Besetzung: Solo, Kammermusik, Orchester?
Ich habe Teodor Currentzis und MusicAeterna mit Mahlers 4. Symphonie im Dezember 2018 live in Berlin gehört. Dieses Konzert wird mir als eines der besten klassischen Konzerte in Erinnerung bleiben, das ich erlebt habe. Es machte einen so starken Eindruck, der mich davon überzeugte, mit diesem unglaublich hingebungsvollen Maestro zu arbeiten. Er empfindet die Musik so natürlich wie kein anderer. Wenn man dann noch sein fanatisches Gefolge hinzunimmt, war es einfach ein Traum. Beruflich wollte und hatte ich noch nie in einem Orchester gespielt. Obwohl ich sehr beschäftigt mit meinen eigenen Solokonzerten und meinem Quartett war – ich hatte zudem angefangen zu unterrichten –, bereue ich es nach einigen Monaten nicht, die erste Möglichkeit ergriffen zu haben, diese erste Erfahrung in Perm zu machen.
Musik ist eine universelle Sprache und viele große Cellisten der Vergangenheit waren gleichzeitig Orchestercellisten, große Kammermusiker und haben als Solisten Geschichte geschrieben, János Starker war einer unter ihnen. Ich glaube immer noch, dass das Ego und das ein wenig verrückte Musikgeschäft all diese Kategorien und Einteilungen in einem Beruf vornimmt, der doch nicht in solche Kategorien aufgeteilt werden kann. Musik ist die Sprache der Gefühle und als Künstler kann sie in jeder Form vorgetragen werden, solange sie aus ehrlichem Herzen kommt.
Frank Heublein, 6. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das Interview wurde in englischer Sprache durchgeführt und vom Autoren unter Zuhilfenahme von deepl.com und in Abstimmung mit Miriam Prandi übersetzt.