Foto © Marco Borggreve
Belcea Quartet
Corina Belcea, Violine
Axel Schacher, Violine
Krzysztof Chorzelski, Viola
Antoine Lederlin, Violoncello
Antoine Tamestit, Viola
Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 4. November 2017
Wolfgang Amadeus Mozart Streichquintett C-Dur K 515 (1787)
Krzysztof Penderecki Streichquartett Nr. 2 (1968)
Johannes Brahms Streichquintett Nr. 2 G-Dur op. 111 (1890)
Johannes Brahms Streichquintett Nr. 2 G-Dur op. 111 (4. Satz: Vivace ma non troppo presto) (1890) – Zugabe
von Jürgen Pathy
Im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses durften Musikfreunde Zeugen eines intimen Kammermusikabends werden: Das international renommierte Belcea Quartet lud mit dem französischen Weltklasse-Bratschisten Antoine Tamestit ein, um zwei großartige Meisterwerke aufzuführen: Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquintett in C-Dur und Johannes Brahms’ Streichquintett in G-Dur – Spätwerke beider Komponisten.
Der kleinere Mozart-Saal (704 Plätze) bietet im Gegensatz zum Großen Saal (1685 Plätze) beinahe eine familiäre Atmosphäre und ist neben dem Schubert-Saal (366 Plätze) das ideale Refugium für Lesungen, Liederabende und Kammermusik.
Das vor 21 Jahren von Corina Belcea gegründete Streichquartet ist seit 2007 regelmäßig zu Gast im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses. Das Belcea Quartet startete seinen Siegeszug im Jahr 2001 mit dem Gramophone Classical Music Award in der Kategorie „Debut Recording“: eine CD mit Streichquartetten von Maurice Ravel, Claude Debussy und Henri Dutilleux. Überwiegend begeistern diese außergewöhnlichen Kammermusiker als reines vierköpfiges Streichensemble, doch hin und wieder öffnen sie hochkarätiger Verstärkung die Pforten: dem österreichischen Pianisten Till Fellner, dem polnischen Pianisten Piotr Anderszewski sowie dem großartigen deutschen Lied-Interpreten Matthias Goerne.
Am Samstagabend luden die „Belceas“ einen weiteren erstklassigen Kollegen auf die Bühne: den Bratschisten Antoine Tamestit. Der Pariser zählt zu den besten Bratschisten auf der Welt. An diesem Abend erweiterte der Franzose, Preisträger zahlreicher bedeutender Wettbewerbe, die illustre Runde des Belcea-Quartetts und stellte in zwei Meisterwerken seine kammermusikalischen Fähigkeiten unter Beweis.
Den Anfang des Programms durfte Wolfgang Amadeus Mozart und dessen 3. Streichquintett KV 515 aus dem Jahr 1787 gestalten. Im selben Jahr bejubelte das Prager Publikum „Die Hochzeit des Figaro“, und Mozart schickte sich an, mit der Arbeit an „Don Giovanni“ die Da-Ponte-Mozart-Erfolgskooperation fortzuführen. Wenig überraschend erinnern einige Passagen des 1. Satzes auch an die „Figaro“-Ouvertüre. Den Beginn des längsten Mozart‘ schen Allegro-Kopfsatzes bilden das majestätisch klingende Cello (seit 2006 Antoine Lederlin) und die erste Geige (Corina Belcea), die sich solistisch den Ball hin- und herspielen – die beiden Musiker sind auch privat ein harmonierendes Paar, das konnte der Konzertbesucher eindeutig spüren und hören. Die 1976 geborene Rumänin – sie spielt auf einer Stradivari aus dem Jahre 1666 – wusste das Publikum mit ihrem ausdrucksstarken, lyrischen Geigenspiel sofort in ihren Bann zu ziehen.
Auch beim langsamen 3. Satz, einem Andante, hielt dieser magische Bann: Die erste Bratsche (Krzysztof Chorzelski) und die erste Geige entführten mit ihrem Liebesduett in eine noble, zarte Klangwelt, öffneten die Tür zu einem friedlichen Traum und verzauberten berührend das Herz und die Seele des sehr dankbaren Publikums, das den intimen Rahmen des Kammermusikabends zu schätzen wusste und der erhabenen Musik aufmerksam lauschte.
Es waren Momente, die zum Innehalten und zum Nachdenken verleiteten. Momente die einem bewusst machen, welches Glück der Wiener hat, vor der eigenen Haustür täglich mit Hochkultur von Weltrang verwöhnt zu werden. Diesen Luxus dürfen nur wenige deutschsprachige Städte teilen: neben der Musikhauptstadt Wien sind das Berlin, München, Dresden (Semperoper), Baden-Baden (Festspielhaus) und Hamburg (Elbphilharmonie).
Mit dem abschließenden Allegro, einer neuartigen Mozart‘ schen Orientierung zwischen Rondo und Sonatensatz, endete der Ausflug in diese harmonische Zauberwelt.
Beim nächsten Werk wussten die Zuhörer mit dem ersten Takt, einem pointiert einsetzenden, langgezogenen, dissonant klingenden Tutti-Strich: Es wird etwas Seltsames, Eigenartiges und Verwirrendes folgen. Mal pfeifen die Musiker, dann wiederum zupfen und schnalzen sie regelrecht in die Saiten der gepeinigten Instrumente. Unruhig glissandierende Legato-Bogenstriche wechseln mit forsch einsetzenden Staccato-Schlägen: Der Klang ähnelt einer leiernden, leisen Alarmsirene, die von einem heraneilenden, laut hupenden Schnellzug regelmäßig niedergeschmettert wird. Gewiss öffnet der zeitgenössische polnische Komponist Krzysztof Penderecki einen interessanten Klangkörper, aber viel mehr als reges Interesse kann den befremdenden Geräuschen nicht abgewonnen werden – die Botschaft des 83-Jährigen bleibt ein mysteriöses Rätsel!
Für die intime, teils filigran anmutende Welt des Streichquartetts, ist diese Art der Musik schlichtweg ungeeignet. Mit einem Orchester im Rücken könnte diese bizarre Klangwelt eher in eine mächtige, fremdartige Dimension führen, anstatt nur reines Unbehagen auszulösen. Zur sichtlichen Erleichterung einiger Zuhörer endete der Spuk genauso schnell wie er begonnen hatte und die Pause bot Gelegenheit, sich von diesem Abenteuer zu erholen.
Mit Johannes Brahms und dessen sinfonisch klingendem G-Dur-Streichquintett eröffnete der zweite Teil des Abends – ein totaler Gegensatz zur ersten Hälfte. Nicht nur musikalisch mit einem romantisch beschwingten Allegro non troppo, ma con brio – schnell, aber nicht all zu heiter, und mit Schwung –, sondern auch mit veränderter Sitzreihenfolge: der französische Gast-Bratschist wechselte mit dem Cellisten den Sitz und durfte ab sofort aus der Mitte des Ensembles strahlen.
Mit weinend lyrischen Bratschen beginnt Brahms den langsamen 2. Satz und bringt im Laufe des verträumten Adagios alle Stimmen gleichberechtigt zum Tragen. Der erste Bratschist, Krzysztof Chorzelski, und das ganze Streicher-Ensemble verzauberten gekonnt das weiterhin fokussiert lauschende Publikum. Durch das gemeinsame Atmen von Publikum und Ensemble – ein seltenes Erlebnis – konnte sich über dem Mozart-Saal eine angenehme, leicht knisternde Atmosphäre ausbreiten. Vielen Dank an die Musiker und auch an das großartige, disziplinierte Publikum!
Nicht nur im Adagio, auch in den folgenden Sätzen sind eindeutig die Spuren des Brahms‘ schen Intimus, Joseph Joachim, zu hören, der dem Wahl-Wiener Johannes Brahms beratend zur Seite stand: jammernde, ungarische Klänge als auch flotte Csardas-ähnliche Musik.
Antoine Tamestit und seine Stradivari „Gustav Mahler“ (1672) – die älteste noch existierende von insgesamt rund 15 Bratschen des italienischen Geigenbaumeisters – ordneten sich in das eingespielte Spitzen-Quartett als zweite Bratsche bemerkenswert gut ein – fast ist man gewillt, zu sagen: ordneten sich unter. Als Viola-Spieler sind Starallüren sowieso fehl am Platz, denn „wir wissen nicht immer, ob wir Kammermusiker oder Solist sind, ob wir Recitals spielen wollen oder mit dem Orchester“, bekannte Tamestit in einem Interview.
Die Rolle des Viola-Spielers ist eine differenzierte und das Wiener Konzerthaus-Publikum darf sich von den vielen Facetten des 38-Jährigen überzeugen: am 19. November 2017, Streich-Sextett mit dem Quatuor Ebène und Nicolas Altstaedt; am 3. Dezember 2017, Solo-Rezital; am 25. Februar 2018, Orchestra de Paris (Daniel Harding); am 17. April 2018, Liederabend mit der bayerischen Sopranistin Christiane Karg – die vor kurzem mit dem Brahms-Preis 2018 ausgezeichnet wurde – und Malcolm Martineau; am 15. / 16. Mai 2018, Kammerorchester (François Leleux).
Die „Belceas“ zählen zu den führenden Musikern ihrer Zunft und bewiesen dies an diesem Abend ein weiteres Mal. Der Besucher des Wiener Konzerthauses und Kammermusik-Liebhaber darf dankbar sein, neben dem Artemis Quartett, auch das Belcea Quartet als Artist in Residence bewundern zu dürfen. Gönnen Sie sich einen wohltuenden Ausflug in die anmutige Welt der Kammermusik, die „Basis und Anfang jeder Musik ist“, wie die Sopranistin Christiane Karg sagt. Hier steht nicht das Society-Event im Vordergrund, sondern zu hundert Prozent das gemeinsame Musizieren; es zählt nicht das Sehen-und-Gesehen-werden. Im kleinen, aber feinen Kreise des Kammermusikabends sind Puristen und Musikliebhaber noch unter sich.
Weitere Konzerte des Belcea Quartets und des Artemis Quartetts im Wiener Konzerthaus: https://konzerthaus.at/abonnement/id/2416
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 6. November 2017, für
klassik-begeistert.at