Mozart Unter den Linden: Verklingen die edlen Töne, geht das ganze Durcheinander von vorne los

Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro,  Staatsoper Unter den Linden, 1. April 2021

Staatsoper Unter den Linden, 1. April 2021
Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro (Livestream)

Foto: Riccardo Fassi (Figaro) und Nadine Sierra (Susanna)
Credits: Matthias Baus

von Sandra Grohmann

Die Staatsoper Unter den Linden wollte ihre Premiere des „Figaro“ in der Inszenierung von Vincent Huguet eigentlich im Rahmen des Berliner Kultur-Pilotprojektes live feiern – daraus wurde angesichts der dramatisch steigenden Inzidenzen nun leider doch nichts. Aber wir feiern und fiebern trotzdem mit – einmal mehr vor der heimischen Glotze. Ach, das hat sich gelohnt!

Der Hochzeitstag fängt in der Küche an, und zwar – nach kurzem Workout – mit dem Frühstück, und das ist überraschend einleuchtend. Erstens finden die besten Parties ohnehin in der Küche statt und zweitens haben wir es mit einem Dienerpaar zu tun. Die sind, natürlich, morgens in der Küche am Werk! Und das Libretto? Schlafzimmer, Bett und so? Lässt sich alles umdeuten. Ja, das ist riskant und geht meist schief, und einen Moment lang steht das auch hier zu befürchten. So einleuchtend aber ist das Setting und so einleuchtend die ausgefeilte Personenführung, dass der anfängliche Schreck sich bald in diebisches Vergnügen umwandelt. Die ja ohnehin grad schwer angesagten 80’er sind vom Design des protzigen Rockstar-Palastes her so stringent durchgehalten, dass mir der eine oder andere Juchzer herausgerutscht ist. Ja, ja, mag sein, es ist pure Nostalgie: Ein grünes Tastentelefon! Hach!

Der damit verbundene Kunstgriff, den Zeitsprung nicht ganz bis heute anzusetzen, geht auf.  Es handelt sich immer noch um eine Handlung, die in der Vergangenheit spielt. Das Stück wird nicht zu einem platten Kommentar auf die Zeitpolitik umgeschrieben, trotz mancher (eher zeitloser) Anspielung, die man je nach Neigung vielleicht erkennen mag. Die Regie erklärt auch nicht, was das „Recht der ersten Nacht“, das es ohnehin nie gab, im 20. Jahrhundert gewesen sein soll – eine klare Stärke. Märchenhaftes sollte man im Märchenhaften lassen. Und dass kleine Gimmicks wie das „Alla Turca“-Digitalklingeln des Haustelefons in die Partitur platzen, stört nur selten.

In dieses Setting , das mit Plakaten der Gräfin Rosina als Rockstar, der mehrere Goldene Schallplatten gewonnen hat, illustriert ist, passen sich alle Figuren perfekt ein. Wir treffen auf ein Ensemble von Sängerschauspielern, denen allesamt nahezu alles gelingt. Am ausgefeiltesten die weiblichen Figuren, von denen die Gräfin die Musik verkörpert – und zwar ist das, wie ohren- und augenfällig wird, aus der Partitur abgeleitet. Der allergelungenste Einfall der Regiearbeit: Dass Cherubino ein Lied für sie hat, erklärt sich auf diese Weise ebenso zwanglos wie dass sie eines an den Grafen schreibt (Duettino „Sull’aria“). Kein Wunder, dass ihr Gesicht als Warhol-Ikone das gräfliche Büro schmückt.

Elsa Dreisig verkörpert diese Gräfin tief verletzt, dennoch selbstbewusst. Nadine Sierra als Susanna wiederum ist sehr von sich überzeugt, dennoch empathisch. Beide singen zum Dahinschmelzen, und das schon erwähnte Duettino im dritten Akt beweist aufs Allerentzückendste, wie gut die Stimmen zudem harmonieren. Das windet sich umeinander, schmeichelt sich und spielt zusammen, dass es die reine Freude ist. Dass Elsa Dreisig – wie übrigens auch Liubov Medvedeva als Barbarina im vierten Akt – ihre Stimme dynamisch bis in die kleinste Nuance unter Kontrolle hat, bekam den großen Arien, in denen wir schwelgen dürfen, natürlich besonders gut.

Katharina Kammerloher, Staatsopern-Urgestein seit fast dreißig Jahren (und selbst als Rosina, nämlich im „Barbier“, wie auch als Cherubino in lebendiger Erinnerung) gab eine durchaus attraktive Marcellina. Emily D’Angelo schließlich: ein Cherubino zum Verlieben. Wie treffend es doch heißt, es verstehe jeder sofort, was den Frauen (und vielleicht auch den Männern) an diesem Lausbub gefällt.

Die Männer etwas platter. Stimmlich allesamt ein Genuss, aber mit Abstufungen darin, wie sie die Rolle gesanglich und darstellerisch ausfüllen. Dass Gyula Orendt zum Ende des dritten Aktes wieder mit seiner Angetrauten anbändelt, illustriert nur seinen unbedingten Machtwillen. Und der Figaro des Riccardo Fassi kam mir etwas sehr lässig vor, auch stimmlich. Meine jugendliche Begleitung meint, Wut wahrgenommen zu haben oder Willensstärke oder irgendetwas Ähnliches, und zwar schon vor dem Schlussakt. Bis zu mir ist das nicht vorgedrungen. Ich habe einen Figaro gesehen und vor allem gehört, der die ganze Chose locker wegsteckte und meinte, sich aus allem einen Spaß machen zu können, bis er im vierten Akt für einen kurzen Moment glaubt, wirklich betrogen zu werden.

Man kann die Rolle so lesen. Besonders spannend finde ich das nicht. Niemand zum Mitleiden, Mitfreuen, Mitfiebern – was rechtfertigt dann die Hochspannungs-Musik? Aber die Töne, die dieser junge Bass in die Welt setzt, das muss man sagen, sind fabelhaft. Und dass sein Figaro ausgesprochen sexy daherkommt, stört auch nicht gerade (selbst die Cowboystiefel und die weiße Fransenlederjacke trägt dieser optische Freddie Mercury der Operbühne mit Bravour!)

Gyula Orendt (Graf Almaviva) und Nadine Sierra (Susanna)
Credits: Matthias Baus

Ganz wunderbar auch der geradezu schleimig singende (und aussehende) Stephan Rügamer als Don Basilio – ebenfalls schon lange an der Staatsoper Unter den Linden verpflichtet. Herrlich widerwärtig gibt er den Intriganten.  Über ihn wie über den Grafen konnte sich die Begleitung ausgesprochen echauffieren. Solche Ekelpakete sind das, jawohl!

Übrigens endete die Party nicht in der Küche, sondern librettogemäß im Garten. Einem dunklen, zauberhaften Garten, über dem der Vollmond steht. Was an dem Tohuwabohu, das sich mit dem Verklingen des letzten Tones eben nicht auflöst, nichts ändert. Sehr überzeugend, wie ich finde: Der Graf mag aufrichtig um Pardon bitten, die Gräfin aufrichtig verzeihen – aber die Gefühle, die für diese Aufrichtigkeit maßgeblich sind, halten nicht lange an. Verklingen die edlen Töne, geht das ganze Durcheinander von vorne los. Nichts in der Welt ist so sicher wie diese Erkenntnis.

Sandra Grohmann, 1. April 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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