Foto © Milan Djakov
Nemanja Radulovic überzeugt auf der Violine mit herausragender Virtuosität
Kölner Philharmonie, 6. Dezember 2017
Nemanja Radulovic Violine
Russische Staatskapelle Moskau
Valery Polyansky, Dirigent
Peter Iljitsch Tschaikowsky, Feierlicher Krönungsmarsch D-Dur ČS 47 (1883) für Orchester
Peter Iljitsch Tschaikowsky, Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 ČS 54 (1878)
Peter Iljitsch Tschaikowsky, Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 ČS 27 (1893) – „Pathétique“
von Daniel Janz
Dieser Abend in der Kölner Philharmonie war für die Staatskapelle Moskau ein grandioser Erfolg. Von dessen Leistung verzaubert, gab das Publikum so ausdauernd Standing Ovations, dass die Musiker fast 20 Minuten lang Zugaben spielten. Valery Polyansky entzückte mit der Leitung seines erstklassigen Ensembles genauso wie der junge Violinvirtuose Nemanja Radulovic.
Von Anfang an gelingt dem russischen Orchester unter dem in Moskau geborenen Dirigenten ein furioser Einstieg. Tschaikowskys Krönungsmarsch vollführen die Musiker mit einer Wucht und Fülle, dass selbst dieses nur wenige Minuten lange Werk das Publikum betört. Der russische Komponist verarbeitete hier Teile der Hymne „Bosche, Zarja chrani“ (zu Deutsch: „Gott schütze den Zar“). Entsprechend zelebriert das Orchester diesen Lobgesang, dessen Klang vor allem durch die Blechbläser getragen wird. Es folgt begeisterter Applaus, der nur deshalb endet, weil der russische Dirigent bereits zum nächsten Stück übergeht.
Im Violinkonzert desselben Komponisten schlägt die Stunde von Nemanja Radulovic. Mit wilder Mähne und betont lässigem Outfit wirkt der 32 Jahre alte, serbische Violinist wie ein jugendlicher Rebell. Dem gegenüber steht die klare Vorstellung Polyanskys. Als wolle er seinen Solisten zähmen, gibt er ihm sowie dem Orchester jeden noch so kleinen Einsatz sekundengenau vor. Der erste Satz gewinnt dadurch an Weichheit und Zärtlichkeit im Klang. Radulovic kann durch seine herausragende Virtuosität überzeugen – Zwischenapplaus.
Auf den sehr blumigen Eindruck folgt nach einem sanften zweiten Satz ohne Pause der dritte. Radulovic gelingt mühelos der Übergang vom poetischen Spiel in ein leichtfüßiges Treiben. Solist und Fagott umtanzen einander melodisch, während verspielte Soli von Oboe und Klarinette das muntere Vergnügen begleiten. Auffällig ist das strenge Dirigat. Mit klarer Gestik wirkt Polyansky zuweilen, als würde er seine feiernd aufspielenden Musiker einfangen wollen.
Damit richtet er jedoch keinen Schaden an; nach dem Violinkonzert erhebt sich das Publikum im ausverkauften Saal zum ersten Mal für Standing Ovations. Dem Solisten schmeicheln sie damit so sehr, dass er als Zugabe Niccolò Paganinis Capriccio in B-Dur, auch bekannt als „Teufelslachen“, vorführt. Spätestens hier merkt man ihm neben seiner großen Virtuosität auch entfesselte Leidenschaft an. Mit temperamentvoll gespielten Pizzicati entlockt er den Zuschauern gar ein paar Lacher. Zum Dank schenken sie ihm noch einmal begeistert Applaus.
Das Hauptwerk des Abends – Tschaikowskys Symphonie „Pathétique“ – stellt zu diesen munteren Kompositionen einen düsteren Kontrast dar. Häufig wird mit diesem Musikstück die Idee vom Abschied des russischen Komponisten verbunden, der nur neun Tage nach dessen Uraufführung im Spätherbst 1893 unter ungeklärten Umständen verstarb. Diese Vorstellung scheint auch deshalb plausibel, weil der Einstieg in die Symphonie über ein tiefes Fagott-Solo sehr trist wirkt.
Dramatik entfaltet sich vor allem im späten Verlauf des ersten Satzes. Nach mehreren hellen Momenten entfesselt ein langer Paukenwirbel begleitet vom Donnern der Posaunenthemen das ganze Orchester. Der 68 Jahre alte Dirigent und seine Musiker schaukeln sich hier gegenseitig bis zu einem Ausbruch puren Schreckens auf.
Wirkungsvolle Kontraste bieten der zweite und dritte Satz. Beide beinhalten tänzerische Elemente. Während der zweite Satz seicht gehalten ist, brillieren die Streicher im dritten Satz mit schnellen Läufen und marschartigen Rhythmen. Blechbläsereinwürfe steigern sich bis zu einer voll ausgeführten Hymne mit schmetternden Trompetensignalen sowie Becken- und Trommelschlägen. Hier wecken Orchester und Dirigent mit ihrer ganzen Klasse erneut die Erinnerung an den eingangs meisterlich gespielten Krönungsmarsch.
Den stärksten Moment des Abends liefern die Musiker, als sie nach diesen bewegten Passagen in den langsamen Finalsatz einstimmen. Polyanskys präzises Timing überträgt sich auch hier in voll ausgereifter Synthese auf seine Musiker. Todesgedanken und Abschiedsstimmung lassen sich dadurch umso leichter in diesen ohnehin leidvoll düsteren Abgesang hineindeuten. Verstärkt wird dieser Eindruck durch einen einzelnen leisen Tamtam-Schlag sowie ein zart pulsierendes Ausgleiten der Streicher in die Stille.
Als Anerkennung für diese herausragende Leistung spendiert das Publikum erneut Standing Ovations. Polyansky und seine Musiker kommen aus dem Verbeugen gar nicht mehr heraus und sehen sich schließlich dazu genötigt, die Vocalise aus 14 Liedern von Sergei Rachmaninoff sowie von Tschaikowsky den Walzer aus „Dornröschen“ zu Gehör zu bringen. Und auch diese Zugaben gelingen in höchster Perfektion.
Daniel Janz, 8. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de
Foto: Milan Djakov