Dämonisch, düster, auch mal zerbrechlich, packend, meerestauglich. Tusend tak, lieber Johan Reuter.
Bayerische Staatsoper, 24. September 2021
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
Fotos: © Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper – Nationaltheater
von Andreas Schmidt
Mit drei Weltklasseleistungen im Gesangsbereich und einem herausragendem Dirigat für ein sehr, sehr gutes Orchester startete die mit Abstand beste deutsche Oper mit einem Richard-Wagner-Masterpiece in die neue Saison: Richards erstes großes Werk, je öfter man es hört (ich komme auf 40 Aufführungen), desto besser wird es, desto mehr Nuancen und Feinheiten offenbaren sich einem von einem jungen, frischen Richard Wagner, dessen Kopf und Geist noch klar war, und dessen beste musikalische Tage noch kommen sollten.
Ich komme gleich zu den Weltklasseleistungen, darf aber vorab bemerken, dass das Münchner Publikum, hervorragende Leistungen gewöhnt, recht nordisch-kühl auf diesen herausragenden Abend reagierte. Hey MUC… Fahrt mal in andere Opernhäuser unseres schönen Landes, und Ihr werdet hören und sehen, dass dort meist nicht ansatzweise die Perfektion an schönen Stimmen und außerordentlichen Orchesterdarbietungen offeriert wird – obgleich auch an diesem Abend einzelne Blechbläser einige Individualfehler lieferten.
So, nun zu den Stars des Abends.
Immer sehr gut, und immer im Visier des Rezensenten: Bertrand de Billy, was für ein wunderbarer Dirigent aus dem Land, in dem Gott leben soll. Ich sah und spürte ihn zwei Tage zuvor in der Wiener Staatsoper, Otello, Verdi. Pardon, Monsieur, diesen Richard haben Sie noch fulminanter, noch packender, noch präziser dargeboten als diesen Mega-Verdi in Wien, der eine meiner Lieblingsopern ist. Dieser Richard in München erklang unter Ihrer Stabführung edel wie aufrüttelnd, magisch-meerisch wie visionär. Merci, Monsieur de Billy. Mögen Sie Katharina Wagner für sich einnehmen, Sie haben vraiment die Extraklasse für Bayreuth.
Kommen wir zum Holländer, einem Mann aus dem Königreich Dänemark. Lieber Johan Reuter, ich war dankbar in jeder Sekunde dieses magischen Abends, dass Sie es waren, der den Seefahrer, der nicht sterben kann, darboten. Erst einmal sind SIE optisch der Holländer, schwarz, schwer, todesschwebend. Ihre Holländer-Stimme hat mich von der ersten bis zur letzten Sekunde gepackt: Dämonisch, düster, auch mal zerbrechlich, packend, meerestauglich. Tusend tak, lieber Johan, dass Sie für einen Holländer eingesprungen sind (John Lundgren), der Ihnen nicht ansatzweise das Wasser reichen kann und kürzlich auch in Bayreuth recht schwach war. Göttlich auch – Sie sind Däne – Ihre perfekte und einfühlsame Diktion der deutschen Sprache. Wenn Sie mir gestatten, nur eines zu monieren, dann ist es das fehlende 15 Prozent Holländer-Power eines Tomasz Konieczny, die nicht mir (im Parkett), aber Wagner-Fans im 2. Rang gefehlt hat.
Tomasz und Sie, lieber Johan Reuter, Ihr seid kongeniale Holländer: Tomasz hat die wahre Seefahrerkraft und entzaubert dem Münchner Publikum einen für Wagner absolut unüblichen Zwischenapplaus nach der ersten Arie ab, Sie sind die Inkarnation des Dämonischen und glänzen durch beglückende Farben, Facetten und Formen.
Sehr viel Beifall an diesem großen Abend in der Bayerischen Staatsoper bekommt die Sopranistin Anja Kampe als Senta . Kein Wunder, sie singt diese Partie im Nationaltheater zu München regelmäßig seit der Premiere am 26. Februar 2006. Vergangenes Jahr debütierte sie mit dieser Rolle an der Metropolitan Opera in New York City.
Ich darf fast wiederholen, was ich nach der letzten Aufführung am 7. Juli 2021 schrieb:
Keine Frage, die Bayerische Kammersängerin Anja Kampe singt viele Passagen auf höchstem Niveau, vor allem im mittleren und tieferen Register. Ihr höheres Register überzeugt an diesem Abend nicht immer. Vor allem bei den höchsten Tönen singt sie bisweilen zu gepresst, eng, mit zu wenig Bruststimme und mit zu viel Druck. Das hört sich bisweilen dann schrill an und überzeugt nicht . Die Zuschauer waren überwiegend sehr angetan… Positiv hervorzuheben ist Anja Kampes herausragende Bühnenpräsenz. Sie ist eine Frau, die die Menschen durch ihr bestechendes Hier-bin-ich-und-ich-bin-ich-Dasein fesselt und bezaubert… vielleicht könnten Sie, liebe Frau Kampe, im hohen End-Bereich etwas fein-tunen, dann werden Sie auch mich vollends überzeugen.
Christoph Fischesser überzeugte gänzlich als Daland mit einem profunden, väterlichen Bass – das war auch Weltklasseniveau, lieber Christoph Fischesser. Da waren so viel Wärme und Würde und Wohlklang in der Stimme dieses Sängers, der auch mit Power und Präsenz glänzt – wunderbar, go for Bayreuth, dear Christoph!
Ein Sonderlob gebührt dem Tenor Benjamin Bruns als Erik. Er hatte an diesem Abend die perfekteste Stimme, sang jeden ! Ton lupenrein und mit einer Hingabe und Zueignung, die immer für Gänsehautmomente in einem der schönsten Opernhäuser Deutschlands sorgten. „Kraftvoll, packend, facettenreich“ notierte ich während der Aufführung. So fühlt es sich auch noch am Morgen nach der Aufführung an. Bayreuth is your place, dear Benjamin. An Ihre Strahlkraft reicht fast niemand heran.
Der Tenor Evan LeRoy Johnson war als Steuermann Garant für Wohlklang und Feinsinn bei besonders schönen Wagner-Passagen; Marina Prudenskaya hat einen präsenten Mezzo und sang leider wegen ihrer Rolle viel zu wenig.
Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper überzeugten auf ganzer Linie – hier sollten Chorleiter anderer europäischer Opernhäuser gerne mal eine Woche hospitieren. Auch an diesem Abend waren die Männer deutlich präsenter und mit mehr Inbrunst dabei als viele Frauen. Bei den Doppelchören haben die Männer die Frauen ganz klar in die Tasche gesungen.
Die 15 Jahre alte Inszenierung von Peter Konwitschny ist ansehnlich, immer wieder auch packend, wenn etwa die beiden Mannschaften im ersten Aufzug von den Brücken kommen… sie verschlägt einem aber nicht die Sprache, und vor allem die Effekte mit dem Himmel und den Wellen des Meeres könnte man im Jahr 2021 viel besser gestalten.
Andreas Schmidt, 25. September, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 7. Juli 2021
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2021
Benjamin Bruns ist immer einen Besuch wert! Jedes Mal, wenn ich ihn gehört habe, war ich begeistert. Unvergessen bleibt mir sein „Dalla sua pace“ an der Wiener Staatsoper – Don Ottavios Arie in „Don Giovanni“. Für mich eine der feinsten Arien, die Mozart geschrieben hat.
Jürgen Pathy