Tanz im Kopf: Peer Gynt überzeugt als Ballett an der Oper Halle

Ballett Halle Peer Gynt, Premiere der Uraufführung des Balletts in zwei Akte von Michal Sedláček  Oper Halle, 30. Oktober 2021

Foto: Johan Plaitano (Peer) © Bühnen Halle, Foto: Yan Revazov

Oper Halle, 30. Oktober 2021
„Ballett Halle“
Peer Gynt, Premiere der Uraufführung des Balletts in zwei Akten von Michal Sedláček

von Dr. Guido Müller

In zweiundzwanzig Szenen führt uns der tschechische Choreograph Michal Sedláček (seit 1999 an der Oper Halle) mit dem ganzen Ensemble des Balletts Halle durch das Dramatische Gedicht des norwegischen Nationaldichters Henrik Ibsen zu ausgewählter Musik sowohl aus der Schauspielmusik zu „Peer Gynt“ wie anderen – meistens Kammer-Kompositionen des Norwegers Edvard Grieg und der  für die erste Szene neue Komposition des Amerikaners Sidney Corbett. Dabei wird der Hit von Solveigs-Lied (zum Schluss von KS Romelia Lichtenstein gesungen), der sicher viele Besucher in der Erwartung auf ein großes romantisches Ballett in die Vorstellung geführt hat, doch etwas arg häufig in verschiedenen Fassungen strapaziert. Dabei hat Griegs Komposition für das Schauspiel durchaus auch sehr interessante moderne Züge, die auch zum Erklingen gebracht werden.

Außer dem Ballettensemble wirken neben der vorzüglich und konzentriert, gerade auch in den kammermusikalischen Episoden, musizierenden Staatskapelle Halle unter dem sowohl einfühlsamen wie dramatisch packenden Dirigat des Argentiniers José Miguel Esandi (seit 2019 Erster Kapellmeister an der Oper Halle) auch der Opernchor (Leitung Johannes Köhler) und vor allem optisch sehr präsent die Puppenbühne unter Louise Nowitzki (Puppenentwürfe und -bau) unter Mitwirkung der Puppenspieler Christoph Werner und Nils Dreschke mit. Die Kombination mit den oft lebensgroßen Puppen und ihren starren Masken führt in Kombination mit der Bewegung der Tänzer oft zu interessanten Kontrasten, die allerdings oft noch mutiger eingesetzt hätten werden können und eigentlich nur in der Szene im Irrenhaus ganz überzeugen.

Beherrscht wird die Bühne optisch vom Innern, auch drehbar, eines maskenähnlichen Kopfs, den der britische Bühnen- und Kostümbildner Gideon Davey entwarf. Seine Idee, die ganze Handlung im Kopf Peer Gynts passieren zu lassen wurde von der Choreographie aufgegriffen und zum Leitgedanken des Abends. Vervielfältigt wird diese Idee immer wieder durch die dem Alter angepassten Masken Peer Gynts (den 3D-Scan der Masken erstellte die Digitalwerkstatt der Kunsthochschule Burg Giebichenstein) und viele weitere Masken für die Tänzer und den Chor.

Hyona Lee (Das hässliche Kind), Carla Wieden Dobón (Die Grüne)
© Bühnen Halle, Foto: Yan Revazov

Einen regelrechten Wahnsinnstanz, auch optisch sehr packend, u.a. mit Videoeinsatz (Anke Tornow) führen dann Tänzer in äußerst fantasievollen Kostümen (Kaspar Glarner) im Irrenhaus vor (17. Szene), indem sich u.a. Hände und Arme puppenmäßig riesig immer mehr vergrößern. Dies ist eine der mißreißendsten Szenen des langen Abends.

Stark herrschen dabei im Reigen der vielen Episoden um die doch sehr widersprüchliche und in sich zerrissene – bis zum Mord – Zentralgestalt von Peer Gynt die Frauengeschichten Peers vor: angefangen mit der Mutter Åse (ausdrucksstark getanzt von Anastasiya Kuzina). Darauf folgen die Ex-Freundin Ingrid (überzeugend getanzt von Laura Busquets Garro) und die Liebende Solveig (Yulia Gerbyna mit tänzerischer, auch mädchenhafter Hingabe und mit starker Ausstrahlung). Und es geht weiter mit den Sennerinnen und weiteren verführerischen Frauengestalten. Alle diese Frauenbilder sind allerdings stark konventionell gezeichnet.

Die Grüngekleidete, Tochter des Königs der Trolle, eine Art Vamp mit Pumps, lockt Peer ins Innere der Berge – ihr verleiht Carla Wieden Dobón starken körperlichen und eleganten Ausdruck. Als arabische Anitra mit Bauchtänzerinnen-Begleitung im zweiten Teil wird allerdings schon die Grenze zum folkloristischen Kitsch überschritten und die bereits von Grieg geforderte ironische Distanz bleibt aus. Schon der Komponist wollte, dass die heikle Szene des Exotismus zu seiner Musik hinter einem Vorhang spielt. Dabei ist der Choreograph durchaus im Ersten Teil auch zu kleinen humoristischen Einlagen fähig.

Doch im Zweiten Teil überwiegen die tragischen Aspekte der Midlife-Krisis des älter gewordenen Peer Gynt, die der 43jährige Choreograph auch ausdrücklich als persönliche Motivation für seine Wahl dieses schon häufig benutzten Tanztheaterstoffs benennt.

Hier nun im Zweiten Teil kann dann auch endlich der immer noch sehr jugendlich wirkende Südfranzose Johan Plaitano in der Titelpartie (seit 2011 im Ballettensemble Halle) mit allen Möglichkeiten seines starken körperlichen Ausdrucksvermögens bis in kleinsten und feinen Details der Fingerspitzen glänzen. Da wird Tanz zum Ereignis!

Yulia Gerbyna (Solveig), Johan Plaitano (Peer)
© Bühnen Halle, Foto: Yan Revazov

Peer Gynts (innere) Stimme gestaltet von der ersten Szene an der schwarz gekleidete und maskierte Pietro Chiappara durchaus präsent und mit Ausdruck.

Am Schluß großer und langanhaltender Jubel und Standing Ovations des Publikums in der Oper Halle für das gesamte riesige Ensemble. Die ersten Vorstellungen sind schon ausverkauft.

Dr. Guido Müller, 31. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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